Zum Tod von Lou Reed:Er kannte kein Pardon

Seine Biografie erzählt die Geschichte von der Zähmung der eigenen Dämonen. Seine Musik zeugt von unfassbarer Kraft und der großen Poesie der schlechten Laune. Zum Tod des Sängers und Gitarristen Lou Reed.

Von Andrian Kreye

Lou Reed ist tot und mit ihm stirbt nicht nur ein großes Kapitel Musikgeschichte (die wichtigsten Eckdaten kennt jeder - The Velvet Underground, "Walk On The Wild Side", die Rolle als diensthabender Liedermacher für die Stadt New York, Theaterexperimente mit Robert Wilson). Es stirbt auch eine Haltung. Eine solch unfassbar tief schürfende schlechte Laune erlaubt sich kaum noch einer, weil doch jetzt jedes mürrische Wort auf Ewigkeit im Netz weiterlebt. Lou Reed kannte da kein Pardon. Wie an jenem Abend im Guggenheim Museum, als die Reichen, Schönen und Berühmten eine Ausstellungseröffnung feierten und Reed eigentlich als Stargast auf der Bühne stand, aber dann seine abgeklärten Rock-Moritaten über das Leben doch eher im Hintergrund spielte.

Sein Gesang war natürlich immer auch ein Murmeln. Stand er auf der Bühne konnte er aber davon ausgehen, dass die Meisten vor der Bühne seine Texte ja kennen. An diesem Abend aber war das anders. Da improvisierte er: "Ihr verdammten reichen Säcke, da steht ihr am Büffet und ich kann hier singen, was ich will - ihr hört mir ja doch nicht zu." Das ist nun freundlich paraphrasiert. Im Original war das mit vielen Worten gespickt, die im amerikanische Fernsehen mit einem "Beep" ausgeblendet werden.

Dabei war er da an diesem Abend schon längst sehr viel ruhiger geworden. Letztlich war natürlich seine gesamte Biografie die Geschichte von der Zähmung der eigenen Dämonen, was ihn für sehr viele Menschen seiner Zeit zu so einer messianischen Stellvertreterfigur machte. Die Anfänge kann man dabei getrost vergessen. Man kann vielleicht noch erwähnen, dass er als Teenager angeblich wegen seiner Bisexualität mit Elektroschocktherapie behandelt wurde, das könnte ein Grund für die lebenslange schlechte Laune sein. Dass er während seines Studiums an der Syracuse University sich mit seinem Professor, dem Lyriker Delmore Schwartz, anfreundete, mag etwas mit dem poetischen Tiefgang seiner Texte zu tun haben. Doch eigentlich begann natürlich alles in dem kleinen Appartement auf der Lower Eastside.

Ein Kampf gegen den Optimismus

Reeds Zimmergenosse war der Bratschist John Cale. Zusammen mit der Schlagzeugerin Maureen Tucker und dem Gitarristen Sterling Morrison gründeten sie 1964 eine Band, die sie dann The Velvet Underground nannten. Die Musik passte so gar nicht zum Geist der Zeit. Technisch konnten sie mit den Hippies sicherlich mithalten. Die finsteren Untertöne wollte aber erst einmal keiner hören. Doch Andy Warhol war begeistert.

Das war der Gegenentwurf zum Zeitgeist aus Kalifornien, ein finsteres Testament für den New Yorker Willen zum kulturellen Widerstand gegen jedwede Form von Verklärung und Weltfremdheit. Mag sein, dass die Formen ähnlich waren. Warhol heuerte The Velvet Underground für seine "Exploding Plastic Inevitable"-Shows an. Das waren nächtelange Partynächte mit Multimediaprojektion, Tänzern und ohrenbetäubender Musik. Letztlich waren sie so etwas wie ein Echo der psychedelischen Konzerte, wie sie Jefferson Airplane oder die Grateful Dead spielten. Doch was The Velvet Underground dann gemeinsam mit Nico auf ihrem ersten Album herausbrachten, Songs wie "I'm Waiting for the Man", "Run Run Run" oder "All Tomorrow's Parties" hatten nichts mehr mit den Trips in die beseelten Harmonien der Hippies zu tun.

Die Musik von Velvet Underground war ein Kampf gegen einen Optimismus, der sich ja dann schon bald als großer Irrtum herausstellen sollte. Das Album, auf das Warhol eine gelbschwarze Banane geklebt hatte, war die düstere Vorahnung, dass der wahre Kern der Popgeschichte bald von jenem Nihilismus bestimmt sein würde, der sich vom Punk über den Hip Hop und den Grunge bis heute durch ein Großteil der Genres zieht. Weil die Welt für die meisten Menschen eben kein "Nirvana in Arbeit" ist, sondern ein verdammt unfreundlicher Ort mit verflucht schlechten Aussichten für die nähere und weitere Zukunft.

Düstere Vorahnung der Popgeschichte

The Velvet Underground hatte keinen Erfolg. Erfolg und Bedeutung ergeben sich nicht zwangsläufig. Niemand illustrierte das so deutlich, wie The Velvet Underground. Brian Eno prägte Jahre später mal das Bonmot, dass das Debütalbum der Velvet Underground zwar nur 30.000 Stück verkaufte, aber dass jeder einzelne, der eines der Alben kaufte eine Band gründete.

Im Sommer 1970 verließ Reed The Velvet Underground. Ein Jahr später bekam er einen Plattenvertrag bei RCA und nahm ein paar Songs auf, die er noch nicht veröffentlicht hatte. Die Plattenfirma steckte ihn dafür mit Musikern der prätentiösen Progrock-Band Yes ins Studio. Doch mit seinem nächsten Album "Transformer" lieferte Lou Reed mit David Bowie als kongenialem Produzenten das letztgültige Monument für die Sünden des Rock'n'Roll ab. Der Song "Walk on The Wild Side" mit seinen gegenläufigen Basslinien, seiner Shuffle-Gitarre, den ironischen Soulchören taugte zwar fürs Radio und erzählte doch aus den tiefsten Niederungen der Lower Eastside.

"Transformer" war nur der Auftakt für die nächsten vierzig Jahre, in denen er den Kanon des Rock immer wieder neu definierte und vor allem in Frage stellte. Als sich der Erfolg endlich einstellte, als er mit "Berlin" ein furioses Konzeptalbum über die Frontstadt ablieferte und mit "Sally Can't Dance" die Top 10 eroberte, veröffentlichte er "Metal Machine Music", ein Doppelalbum mit über einer Stunde Feedback-Kreischen und Gitarreneffekten, die Reed zur Quintessenz der Rockmusik erklärte. Egal, dass er mit seinem nächsten Album "Coney Island Baby" plötzlich wieder den sonnendurchfluteten Pop-Geist der frühen Sechzigerjahre aufleben ließ.

Die Grenzen zwischen den Künsten spielten keine Rolle mehr

Die schlechte Laune blieb. Wer es schaffte und ihm nach langen Vorverhandlungen als Journalist begegnete, bekam seine tiefe Verachtung für diesen Berufsstand dann eine Stunde lang bei einem Mittagessen oder einem Besuch daheim zu spüren. Doch seine Arbeit wurde immer fundierter. Alben wie "New Sensation", "New York" oder "Magic and Loss" erinnerten in unregelmäßigen Abständen daran, dass Rockmusik längst zum Kern der amerikanischen Kultur gehörte. Reed war Teil jenes kleinen Kreises des kulturellen Amerika, in dem die Grenzen zwischen den Künsten schon seit vielen Jahrzehnten keine Rolle mehr spielen. Auch wenn er sich nie zu schade war, seine alten Songs zu spielen.

Und sei es nur, um sich als guter Nachbar zu beweisen, wie an jenem Spätsommernachmittag, als er zur Eröffnung des ersten wiederaufgebauten Wolkenkratzers von Ground Zero aufspielte. Das war buchstäbliche Nachbarschaftshilfe. Reed und seine Lebensgefährtin, die Performance-Künstlerin Laurie Anderson, wohnten nicht weit vom Ort des Anschlages. Der Baulöwe Larry Silverstein hatte geladen, der Pächter des World-Trade-Center-Geländes. Da stand Lou Reed dann und spielte sogar "Perfect Day", seine freundliche Ballade, die auch auf Hochzeitfesten gern gehört wird. Dann aber schimpfte er doch noch auf die Immobilienwirtschaft in New York und auf die Präsidentschaftskandidaten, bevor er "Sweet Jane" anstimmte.

Im Mai dieses Jahres musste sich Lou Reed einer Lebertransplantation unterziehen. Am Sonntag ist er auf Long Island gestorben. Er wurde 71 Jahre alt.

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