Zum Tod von Johannes Heesters:Der Operettenheld

Jopie Heesters war ein Bonvivant der alten Schule. Ein Verführer, ein Entertainer, ein Faszinosum - mit einer Karriere in der Nazi-Zeit, die sein Leben bis zuletzt überschattete. Jetzt ist er mit 108 friedlich entschlafen, an Heiligabend, im Beisein der Familie.

Christine Dössel

Jetzt hat der Tod ihn doch eingeholt. Am Ende ist er ja immer der Sieger. Aber selten hat ihm einer derart fidel getrotzt wie Johannes Heesters, dieses Urviech von einem Strahlemann, der die Freude am Leben lehrte.

Die Art, wie er daran festhielt, hatte zuletzt etwas geradezu Sportives. "Ich schaffe die 108!", ließ "Jopie", wie ihn alle nannten, siegessicher via Bild verkünden, als er wegen eines Schwächeanfalls Ende November ins Krankenhaus kam. Und das klang, als biege er keuchend, unter Aufbietung seiner letzten Kräfte in die Zielgerade ein - vor sich: die Wimpel für seinen 108. Geburtstag -, um ihn wieder einmal im ewigen Wettlauf zu schlagen: den schnittigen Sensenmann mit seinen oft so unfairen Methoden.

Stets war ihm Johannes Heesters hakenschlagend voraus, so dass man sich spätestens nach seinem Hundertsten schon mal fragen durfte, ob der schlitzohrige Entertainer den Tod nicht vielleicht - wie der Brandner Kaspar den Boandlkramer im bayerischen Volksstück - unter den Tisch getrunken oder listig über selbigen gezogen hatte, um ein paar zusätzliche Jahrzehnte herauszuholen.

Zuzutrauen wäre es ihm gewesen, dem kecken Jopie mit seinem Charme. Der Operettenheld aus dem vorigen Jahrhundert hat mit seinem Sonnyboy-Appeal ganze Generationen um den Finger gewickelt und schien tatsächlich mit einer methusalemischen (Über-)Lebenskraft gesegnet. Als er am Neujahrstag 2008 in seinem Tiroler Feriendomizil gestürzt war und mit Rippenbrüchen in die Innsbrucker Uniklinik eingeliefert wurde, fürchteten alle, nun ginge es zu Ende. Doch schon am nächsten Tag verlautete aus dem Krankenhaus: "Heesters singt schon wieder!"

So war das immer. Unverwüstlich schien er zu sein in seiner Durchhaltekraft und Vitalität - ein Faszinosum und gerontologisches Phänomen. Fossil? Mitnichten! In einer Gesellschaft des demographischen Wandels, in der es längst nicht mehr nur um die Frage geht, wie alt wir werden, sondern mehr noch darum, wie wir alt werden - mit welcher Freude, Würde und Kraft -, übernahm der späte Heesters geradezu eine Vorbildfunktion.

Urgestein des Entertainments

Für alle Uhus (Unterhundertjährigen) war er der lebendige Beweis, dass man bis ins hohe Alter Spaß haben und aktiv sein kann und dabei nicht einmal auf Genuss verzichten muss. Jopie rauchte, sprach dem Alkohol zu und war auch sonst kein Kostverächter. Und er hatte immer einen flotten Spruch auf Lager. "Ich lebe weiter, als wenn ich 80 wäre", kokettierte er munter. Oder: "Nichts lässt einen so schnell altern wie das Nichtstun. Das Leben will gelebt werden." Das war überhaupt Heesters' Antriebsmotor: sein unbedingter, ungebrochener Lebenswille.

Und damit hat er ja auch wieder sein jüngstes Etappenziel erreicht, seinen 108. Geburtstag am 5. Dezember. Heesters wurde zuvor aus dem Krankenhaus entlassen und konnte ihn zuhause im Kreis seiner Familie feiern, in seinem Haus in Söcking am Starnberger See. Allerdings soll sich sein Zustand seither akut verschlechtert haben. Vor einer Woche wurde Heesters auf die Intensivstation des Klinikums Starnberg gebracht. Dort ist er an diesem Samstag an den Folgen eines schweren Schlaganfalls gestorben, "friedlich verstorben" an Heiligabend, wie es das Krankenhaus formulierte - im Kreise seiner Frau Simone Rethel und seiner Enkelin Wiesje Herold.

Hier verabschiedet sich nicht nur der älteste aktive Schauspieler und Sänger der Welt - als solcher steht er seit 2001 im Guinness-Buch der Rekorde. Jopie, der 90 Jahre lang auf der Bühne stand, war auch ein Urgestein des Entertainments: das letzte Zirkuspferd einer glitzernden Revue- und Operettenwelt, in der Kriege im Salon geschlagen und schöne Frauen mit süßen Melodien erobert wurden.

Heesters war der unerreichte Superstar dieser heilen Glanz- und Glitterwelt. Ein Mann, galant und strahlend schön, wie einem kaum je einer unterkommt, ein Bonvivant der alten Schule, mit Champagnerglas und Gardemaß und einer furios auftrumpfenden, aber auch zart schmeichelnden Tenor-Stimme. Einfach: herr-lich!

Der Frack, hieß es, sei eigens für ihn erfunden worden, und er trug ihn mit einer Grandezza, die ihresgleichen sucht und ganz wunderbar mit seinem weißen Seidenschal und dem Zylinder harmonierte. Die Frauen liefen dem singenden Charmeur scharenweise hinterher, "eskottierten" ihn, wie er das nannte, nach Hause, vor allem in seinen Berliner Jahren 1935 bis 1946: Trauben von Frauen, die ihn bedrängten und seine (erste) Frau Wiesje beschimpften, warum sie ihn nicht ziehen lasse.

"Dandy des Jahrhunderts"

Er war ein Ereignis, dieser Mann - ein Jahrhundertereignis, wie wir heute getrost sagen können. Wer kann schon von sich behaupten, zwei Weltkriege, den Wiederaufbau, den Mauerfall, die digitale Revolution und den Umbruch der Welt nach 9/11 erlebt zu haben und trotzdem noch als Dinosaurier seiner Kunst gefragt oder zumindest bekannt zu sein?

Johannes Heesters befindet sich in 'kritischem Zustand'

Jopie Heesters (2004): Unverwüstlich schien er zu sein in seiner Durchhaltekraft und Vitalität - nun ist er an Heiligabend gestorben

(Foto: dapd)

Als Johannes Marius Nicolaas Heesters am 5. Dezember 1903 im niederländischen Amersfoort als jüngster von vier Kaufmannssöhnen geboren wurde, gab es noch kein Radio und keinen Fernseher. In Deutschland regierte Kaiser Wilhelm II., in Detroit ließ Henry Ford sein erstes Auto vom Fließband. Bing Crosby, George Orwell, Mark Rothko, Konrad Lorenz, Hans Jonas, Theodor W. Adorno oder der Hitler-Attentäter Georg Elser wurden im selben Jahr geboren - alle lange schon tot.

Heesters, der spätere "Dandy des Jahrhunderts", wollte eigentlich Priester und dann Kaufmann werden, verfiel jedoch, nachdem er mit 16 zum ersten Mal ein Theater von innen gesehen hatte, sofort der Schauspielkunst und gründete mit Freunden eine Theatergruppe.

Schon damals fiel er als Sänger auf und ließ sich, dem Rat der anderen folgend, am Amsterdamer Operettentheater ausbilden. Schnell feierte er in seiner Heimat Erfolge als Operettentenor, und auch seine Frau Louise Ghijs ("Wiesje"), die er 1928 in Rottterdam kennen lernte und 1985 starb, war ein junger Operettenstar. Aus der Ehe stammen die beiden Töchter Wiesje (*1931) und Nicole (*1937).

Jopies Durchbruch begann 1934 an der Wiener Volksoper in der Titelpartie von Carl Millöckers "Bettelstudent". Als ihn ein Jahr später die Komische Oper Berlin abwarb, spielte Heesters den "Bettelstudenten" auch in der opulenten Ufa-Verfilmung von 1936, mit Carola Höhn und der vom Varieté kommenden Marika Rökk, die bald Heesters´ wichtigste Filmpartnerin wurde.

Es folgten binnen kürzester Zeit die Ufa-Filme "Das Hofkonzert", "Wenn Frauen schweigen" und "Gasparone", mit denen der Beau aus Holland in typischer Befrackung endgültig zum "Typus des amerikanischen Tonfilmcharmeurs" avancierte. Heesters´ Startposition in Berlin war glänzend, hatten die Nazis doch die berühmten jüdischen Operettenstars samt und sonders aus Deutschland vertrieben, und auch wenn es kein Kalkül war: Heesters profitierte davon.

Mit Operettenmelodien und Songauskopplungen seiner Filme wurde er jetzt auch zum Plattenstar. "Man müsste Klavier spielen können", "Ich knüpfte manch zarte Bande", "Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen" - die Heesters-Lieder wurden ganz große Hits.

Seine Paraderolle war der Danilo

Aber es sollte noch viel dicker kommen. Am 31.12.1938 spielte Heesters am Münchner Gärtnerplatztheater zum ersten Mal den Grafen Danilo in Franz Lehárs Operette "Die lustige Witwe", jenen Gigolo und Hallodri, der für ihn wie maßgeschneidert war, die ultimative Paraderolle seines Lebens, mehr als 1600mal hat er den flotten Herzensbrecher gegeben. Den dazugehörigen Paradehit "Heut geh ich ins Maxim" konnte Heesters bis ins Greisenalter reflexhaft abrufen, als sei er darauf programmiert.

Zu den größten Fans der "Lustigen Witwe" zählte Adolf Hitler, der die Vorstellung mehrere Male besuchte und Heesters zu seinem Lieblings-Danilo erkor. Auch Goebbels konstatierte Heesters Charme. Man kann sich seine Bewunderer eben nicht aussuchen.

Nach dem Krieg konnte Heesters seine Karriere bruchlos fortsetzen. Und weil sie jetzt unterging, die gute alte Operettenwelt der Grafen und Galane, widmete sich Heesters nun dem Musical und den Möglichkeiten des Fernsehzeitalters. Vorne dran war er immer, getreu seiner Devise: "Wenn man zu sehr den alten Dingen nachhängt, versäumt man die Zukunft."

750 Mal - bis zu seinem 80. Geburtstag - spielte er ab Mitte der siebziger Jahre, wieder am Münchner Gärtnerplatztheater, die andere große Lebemann-Rolle seiner Karriere: den Honoré Lachailles in Frederick Loewes Erfolgsmusical "Gigi". Später kehrte er auch ans Theater zurück, spielte im zarten Alter von 86 Jahren den greisen "Casanova auf Schloss Dux" und stand ab 1996 ganze 250 Mal in der Hauptrolle des Stücks "Ein gesegnetes Alter" am Berliner Kurfürstendamm auf der Bühne, der Boulevardtheaterkönig Curth Flatow hatte es eigens für ihn geschrieben.

Die Deutschen liebten ihren Jopie vorbehaltlos, seine holländischen Landsleute aber haben ihm die Karriere in Nazi-Deutschland schwer verübelt. Für sie war Heesters ein Kollaborateur, Auftritte in Holland wurden ihm verwehrt. Dass er nicht einmal zum 100. Geburtstag offizielle Glückwünsche aus seiner Heimat bekam, hat den alten Mann getroffen. Umso beseelter war er, als er im Februar 2008 nach fast einem halben Jahrhundert wieder in seiner Geburtsstadt Amersfoort auftreten durfte. Damals verlas Jopies Frau Simone Rethel eine Entschuldigung, und es gab Standing Ovations. Und trotzdem: Von einem Staatsbankett, das Bundespräsident Christian Wulff im April dieses Jahres für die niederländische Königin Beatrix gab, wurde Jopie ganz unnett wieder ausgeladen.

Der Stachel sitzt tief. Noch 2008 setzte sich Heesters vor Gericht gegen Behauptungen zur Wehr, er sei 1941 bei einem Besuch des Gärtnerplatz-Ensembles im KZ Dachau dort auch aufgetreten. Der KZ-Besuch selbst ist unumstritten; Simone Rethel-Heesters hat ihn im 2006 herausgegebenen Fotoband "Ein Mensch und ein Jahrhundert" sogar mit Fotos dokumentiert.

Unverwüstliche Neugier

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Ein Gottesgeschenk: 1992 heiratete Jopie Heesters die fürsorgliche Simone Rethel.

(Foto: dpa)

Simone Rethel, fast 46 Jahre jünger als er, ist seit 1992 Heesters Frau. Schon als Elfjährige war sie in ihn verknallt, und wer je erlebt hat, wie ungemein fürsorglich und geduldig sie mit ihrem greisen Mann umging, der zuletzt kaum mehr hörte und komplett erblindet war, der ahnt, was für ein Gottesgeschenk sie für Heesters war. 2003 standen sie in der Stuttgarter Komödie am Marquardt sogar gemeinsam auf der Bühne, in der Revue "Heesters - eine musikalische Hommage".

"Im Herzen blieb ich jung", sang Jopie in einem seiner jüngeren Lieder. Sein regelmäßiges Fitnesstraining hat sicher dazu beigetragen. Aber vor allem auch die Arbeit, von der er bis zuletzt nie abließ. 2002 spielte er - im Frack, versteht sich - den alten Diener Firs in Tschechows "Kirschgarten". Den 104. Geburtstag feierte er singend im Berliner Admiralspalast, zum 105. trat er in Hamburg im Winterhuder Fährhaus als Kaiser Franz Joseph im "Weißen Rössl" auf. Und jedes Jahr gab es seit dem Hundertsten einen Bambi.

Jopies Schaffenskraft war so unverwüstlich wie seine Neugier. 2007 nahm er mit Claus Eisenmann, dem ehemaligen Sänger der "Söhne Mannheims", bei einem Hip-Hop-Label die Maxi-Single "Generationen" auf; im Sommer 2010, mit sagenhaften 106 Jahren, trat er im Berliner Ensemble in einer kleinen Rolle als König in einem Hochhuth-Stück auf. Und während er Anfang Dezember im Krankenhaus lag, ist in München der Kurzfilm "Ten" herausgekommen, in dem Jopie den "Petrus" spielt. Es ist seine letzte Rolle: der Himmelspförtner.

"Ich bin gut durchgekommen", hat Heesters einmal über sein reiches Jahrhundertleben gesagt. "Es war ein großes Abenteuer." Ja, das war es - für alle Beteiligten.

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