Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Jeanne Moreau:Das weibliche Ideal

Jeanne Moreau war die Muse der Nouvelle Vague, ihre Königin. Nun ist die Schauspielerin, die immer zu viel Frau für einen Mann war, im Alter von 89 Jahren gestorben.

Nachruf von Julian Dörr

Sie ist das Ideal. Dieses Lächeln, so stolz und elegant wie eine antike Statue. Dieses Lächeln, so mysteriös und verführend, dass zwei Männer schwören, ihm ein Leben lang zu folgen.

Als Catherine in das Leben von Jules und Jim tritt, springt die Filmkamera aus der Handlung. Sie geht ganz dicht ran, sie analysiert, sie spürt dem Ideal nach, der Perfektion im Gesicht dieser Frau. Erst frontal, dann im Profil. "Ihre Nase, ihr Mund, ihr Kinn, ihre Stirn", kommentiert die Erzählstimme. Und: "Es begann wie ein Traum."

Was dann tatsächlich beginnt, ist eine der schönsten Liebesgeschichten der Filmgeschichte. "Jules und Jim", François Truffaut hat diesen Film 1962 gedreht. Jules und Jim, das sind ein Österreicher und ein Franzose, zwei Freunde in Paris, vor dem großen Krieg, der die beiden zu Gegnern in den Schützengräben machen wird. Jules und Jim lieben Catherine. Und Catherine ist das Ideal, sie ist die Frau. Aber vor allem ist sie Jeanne Moreau.

Der Titel wird ja viel zu oft bemüht, aber wenn er irgendwo angebracht ist, dann hier und heute: Jeanne Moreau war die Grande Dame des französischen Films. Sie war die Frau der Nouvelle Vague, der neuen Welle - die Geburtsstunde des modernen französischen Kinos. Sie drehte mit François Truffaut, mit Louis Malle und mit Roger Vadim.

Ihre Kühle und Distanz waren immer auch Bilder für die Entfremdung des Menschen in der Moderne

Geboren 1928 in Paris, begann Jeanne Moreau ihre Karriere als Theaterschauspielerin. In den Fünfzigern feierte sie auf den Pariser Bühnen sensationelle Erfolge. Der große Durchbruch gelang ihr aber erst vor der Kamera, 1958, in Louis Malles "Der Fahrstuhl zum Schafott". Es war die Initialzündung der Nouvelle Vague und der Beginn eines neuen Kinos, das vom Menschen in der Moderne erzählen wollte. Dieser Mensch, auch das war Jeanne Moreau.

Die Kühle und Distanz, die Moreau für ihre größten Rollen in ihrem Gesicht trug, waren immer auch Bilder dafür, wie sehr die moderne, kapitalistische Gesellschaft die Menschen entfremdet hatte. Keiner hat das so schön eingefangen wie François Truffaut. In "Jules und Jim" entscheidet sich Catherine für den Österreicher Jules. Sie heiratet ihn und zieht mit ihm nach Deutschland. Aber glücklich werden sie nicht. Als Jim die beiden nach dem Krieg besucht, gesteht ihm eines Nachts ein niedergeschlagener Jules: "Ich bin nicht der Mann, den sie braucht."

Catherine ist ruhelos, sie betrügt Jules, sie verlässt ihn und kehrt doch wieder zurück. Kurz: Sie behandelt ihn wie Dreck. Und er? Gibt ihr keine Schuld. Sie ist das Ideal. Sie ist die Naturgewalt. "Du sprichst von ihr wie von einer Königin", sagt Jim. "Sie ist eine Königin", antwortet Jules.

"Sie ist keine Frau für einen Mann", sagt Jim einmal über Catherine. Man schluckt heute kurz, wenn man solche Zeilen hört, man kann das ja so eigentlich kaum noch sagen. Bei Truffaut ist das jedoch kein slut shaming, hier wird keine Frau wegen ihrer Promiskuität vorgeführt, im Gegenteil. Truffaut verwandelt diesen Satz in einen der zärtlichsten und respektvollsten Sätze der Filmgeschichte. Schuld ist nicht die Frau.

Auf der Suche

Es ist eines der großen Themen des großen Romantikers Truffaut: die ewige männliche Unzulänglichkeit und das unerreichte weibliche Ideal. Die Königin, die Göttin. Das war Jeanne Moreau. In "Jules und Jim" und ein paar Jahre später in "Die Braut trug schwarz". Da war Moreau schon von der Muse der Nouvelle Vague zu ihrem Racheengel geworden.

Das Treibende, Verlorene und Ziellose dieser Generation von Menschen und Filmemachern, kaum eine Frau hat es so verkörpert wie Jeanne Moreau. Immer wieder driftete sie in ihren Filmen durch die Nacht. Im "Fahrstuhl zum Schafott". Oder - Italien statt Frankreich - in Michelangelo Antonionis "Die Nacht". Eine Frau auf der Suche, ja, nach was eigentlicht? Nach einer Liebe, die nicht unmöglich ist? Nach einem Leben, das nicht vergeblich ist?

In ihren größten Rollen war Jeanne Moreau ein Mensch auf der Suche. Eine Frau, perfekt und vollkommen, die sich irgendwie mit diesem unvollkommenen Leben in dieser unvollkommenen Welt arrangieren wollte. Unermüdlich hat Jeanne Moreau gearbeitet, in mehr als 120 Produktionen trat sie auf, drehte mit den größten Regisseuren ihrer Zeit, mit Orson Welles und Elia Kazan, mit Fassbinder und Wenders. 1977 heiratete sie den US-amerikanischen Regisseur William Friedkin, ihr zweiter und letzter Ehemann. Die Ehe hielt zwei Jahre. Danach heiratete sie nie wieder. In Cannes erhielt Moreau 2004 die Goldene Palme für ihr Lebenswerk. "Ich höre erst auf, wenn ich tot bin", sagte sie einmal. Nun ist Jeanne Moreau im Alter von 89 Jahren in ihrer Pariser Wohnung verstorben.

"Sie ist eine Erscheinung", sagt Jim zum verliebten Jules, "sie ist keine Frau für einen Mann." Das war Jeanne Moreau. Eine Erscheinung. Und zu viel Frau für ein Kino.

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