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Zum Tod von Jaki Liebezeit:Wie eine Maschine, nur besser

Als Schlagzeuger der legendären Krautrock-Band Can spielte sich Jaki Liebezeit für eine internationale Karriere ein, die ihn mit Brian Eno und Depeche Mode zusammenführte. Nun ist er gestorben.

Nachruf von Karl Bruckmaier

Jeder scheint zu wissen, wer oder was Can waren. Krautrocker. Maschinenwesen. Elektronikpioniere. Nochmals Krautrocker. Deutschlands erste Rockband von internationalem Rang. Czukay. Schmidt. Karoli. Liebezeit. Langes Haar. Stolze Schnauzbärte. Rollende Rhythmen. Psychedelische Drogen. Atonale Abwege. Kraut. Rock.

Und doch: Es bleibt eine seltsame Unbestimmtheit, wenn man Can sagt. Was bedeuten mag, dass dieses Unbestimmbare zumindest verweist auf den Kern der Can-Musik, vielleicht sogar der Kern selber ist und all der Rock und das Kraut nur der Pudel: "Habe nun, ach, Jazz, Stockhausen und Funk und leider auch den Blues durchaus studiert, mit heißem Bemüh'n ..." Can, so deutsch wie der Faust?

Am Sonntag ist Jaki Liebezeit, der Taktgeber der Band, im Alter von 78 Jahren an Lungenentzündung verstorben. "Das will mir schier das Herz verbrennen", um noch einmal Goethe zu bemühen. Und Liebezeits überraschendes Ableben soll als Vorwand dienen, Can hinterherzulauschen, einmal mehr.

1968: Czukay und Schmidt kamen von der elektronischen Musik, hatten studiert bei Stockhausen. Karoli sah vor allem gut aus mit seiner E-Gitarre, zehn Jahre jünger als die anderen, Blickfang zu einer Zeit, als man keinem über Dreißig trauen sollte.

Und Jaki Liebezeit? Der hatte diese magische Altersgrenze wie Czukay und Schmidt bereits überschritten, konnte zurückblicken auf eine Karriere als Jazz-Schlagzeuger, vor allem als nervöser Puls im Free-Ensemble von Manfred Schoof; Liebezeit hat sich aber mit Can schnell gelöst von den internationalen Vorbildern und einen eigenen, bis heute immer wieder kopierten Stil der Schlagzeug-Stoik etabliert.

Mal Experimente, mal richtige Hits

Zusammen mit den oftmals wechselnden, immer irgendwie deplatziert wirkenden Sängern ersannen, erfühlten Can eine Musik, die sich von angloamerikanischen, vor allem von afroamerikanischen Vorbildern und Einflüssen emanzipierte, als andere noch zwanghaft versuchten, genau den amerikanischen oder britischen Stilvorgaben zu genügen.

Die Basis der Can-Musik war eine Art Kollektivimprovisation; da war man nahe am Free Jazz. Aber das Agens dieses Zusammenspiels war nicht die Expressivität, der schwitzende Funk-Körper, der schrille Blues-Schrei, sondern ein Emotionstableau, eine flächige Klangwelt des Individuellen, die zwar formal etwa der Musik des Art Ensembles of Chicago ähneln konnte, aber eben auch im nächsten Moment der Stupidität eines Velvet Underground-Songs.

Holger Czukay montierte aus dem gemeinsam kreierten Material dann ganz im Geiste des großen Miles-Davis-Produzenten Teo Macero Can-Stücke, die mal ausufernd-experimentell wirken konnten, mal richtige Hits zeitigten wie etwa "Spoon" oder "I Want More".

Internationale Karriere

Zusammengehalten wurden diese eigentlich ständig wie nach einem Urknall auseinanderstrebenden Elemente der Can-Musik von einer Can-eigenen Band-Mystik, die mit einer Art elektronischen Geisterglaubens ebenso jonglierte wie mit den psychedelischen Drogenerfahrungen der Musiker: "Die Geisterwelt ist nicht verschlossen..."

Jaki Liebezeit fiel hier vielleicht die Rolle des pulsgebenden Skeptikers zu, des dunklen Sterns. Als Can Ende der Siebziger den musikalischen und persönlichen Fliehkräften nicht mehr standhalten konnten, begann für Jaki Liebezeit wie selbstverständlich eine internationale Karriere.

Er legte den rhythmischen Grund für Michael Rothers seinerzeit so unglaublich erfolgreiche Solo-Alben; er wurde von Brian Eno, Depeche Mode und Jah Wobble engagiert, um mittels seiner Schlagzeugmeditationen einen gewissen Sinn für die Unverrückbarkeit der Dinge zu generieren.

Alt, berühmt, bescheiden

Das Aufkommen einer elektronischen Spielart von Pop, das schließlich in House und Techno mündete, erfüllte den Großrhythmiker mit einiger Freude, auch weil sein körperliches Spiel auf einem ganz einfachen Schlagzeug regelmäßig für die verwunderte Feststellung sorgte, er, Liebezeit, spiele wie eine Maschine, bloß besser.

Am besten dokumentiert ist diese Hinwendung zur zeitgenössischen Elektronik auf den Alben mit Burnt Friedman. Aber Jaki Liebezeit nahm sich auch immer wieder die Zeit, mit einem relativ unbekannten Musiker wie Robert Coyne Platten aufzunehmen; drei Alben sind in dieser unerwartbaren Konstellation entstanden, jedes eine Abfolge knochentrocken eingespielter Song-Miniaturen: Und die Bescheidenheit, mit welcher der alte, berühmte Liebezeit hier der Musik eines jungen Mannes aus London dient, erzählt uns vielleicht mehr über den Mann als das Gesamtwerk von Can.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2017
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