Zum Tod von Isaac Hayes:Soul Man

Zwischen Gott, Sex und Bürgerrechtskampf: Aus den Tiefen des Ghettos von Memphis aufgestiegen, war Isaac Hayes durch und durch politisch.

Jonathan Fischer

Eine neue Zeit würde anbrechen. Mit einem Propheten, dessen dunkles Vibrato nicht nur den Herzschlag beschleunigte. Sondern auch Erlösung versprach.

Zum Tod von Isaac Hayes: Isaac Hayes, 1973 - glatzköpfig, muskelbepackt, Sonnenbrille. Die Ketten über dem mächtigen Brustkorb erinnerten einerseits an den Kampf gegen Unterdrückung und Sklaverei, symbolisierten  andererseits aber "Black Pride" und materiellen Erfolg.

Isaac Hayes, 1973 - glatzköpfig, muskelbepackt, Sonnenbrille. Die Ketten über dem mächtigen Brustkorb erinnerten einerseits an den Kampf gegen Unterdrückung und Sklaverei, symbolisierten andererseits aber "Black Pride" und materiellen Erfolg.

(Foto: Foto: dpa)

Erlösung von einer rassistisch verseuchten Geschichte, die diesen zärtlichen Riesen nicht am Singen hindern konnte. Erlösung vor allem aber vom eigenen Selbsthass, dem hier ein stärkeres, cooleres ja unbesiegbares Alter Ego entgegenstrahlte.

Wo Isaac Hayes seine Stimme erhob, da war Soulsville, da war schwarzer Stolz. Das reflektierten nicht zuletzt die 120.000 jubelnden Fans, als der Mann, den sie "Black Moses" nannten, an einem heißen Sommerabend im Jahre 1972 von einer Motorradeskorte begleitet ins Stadion von Watts, Los Angeles, einfuhr, um dem siebenstündigen Wattstax-Festival die Krone aufzusetzen.

Isaac Hayes - glatzköpfig, muskelbepackt, Sonnenbrille - betrat die Bühne im goldenen Kettenhemd. Eine Botschaft, die alle verstanden: Die Ketten über dem mächtigen Brustkorb des Soulsängers erinnerten einerseits an den Kampf gegen Unterdrückung und Sklaverei, feierten andererseits "Black Pride" und materiellen Erfolg.

Symbol des "Cool"

Man hatte Martin Luther King und Malcolm X verloren. Nun aber war Isaac Hayes aus den Tiefen des Ghettos von Memphis gekommen, nicht als Agitator sondern als Pop-Ikone: ein selbstbefreiter Sklave, halb "Bad Nigger", halb Messias.

Zuvor hatte der Bürgerrechtskämpfer Reverend Jesse Jackson den Black- Power-Gruß entboten und an die Toten während der Aufstände in Watts sieben Jahre zuvor erinnert.

Hatte Soulsänger Pops Staples gepredigt: "We are somebody! Kein Volk könnte das durchmachen, was wir durchgemacht haben, und dennoch überleben wie die Afroamerikaner". Es sollte die letzte große Beschwörung der Synergien von schwarzem Selbstbewusstsein, kommerziellen Interessen und Bürgerrechtsbewegung sein.

Mit Isaac Hayes als Medium eines durch und durch politisch gewordenen Soul: Dazu brauchte er bloß auf der Bühne zu stehen, seine ins Monumentale überhöhte Künstlerpersona mit dieser Bassstimme auszufüllen. Und die Zeilen zu seinem Grammy-gekrönten 1971er Hit "Shaft" singen: "Who's the black private dick, that's a sex machine to all the chicks?"

Rasend wechselnde Bläser- und Streichereinsätze, peitschende Becken und Wah-Wah-Gitarren: Der Soundtrack zum gleichnamigen Blaxploitation-Film traf die urbane Rastlosigkeit und hedonistische Energie seiner Generation, und erzählte ganz nebenbei auch die Geschichte seines Komponisten, eines ehemaligen Fleischpackers aus Memphis, der zum Symbol des "Cool" aufgestiegen war, einer schwarzen Männlichkeit, welche die weißen Stereotypen bewusst herausforderte.

Hip-Hop-kompatibel mit Knarre und Sexappeal

"Soulmusik", hatte mir Isaac Hayes 2007 in einem seiner letzten Interviews gesagt, "handelte immer von einem Gefühl. Sie hat eine spirituelle Dimension, und wir versuchten, das auch in den Texten auszudrücken."

Da saß der gebrechlich gewordene Hüne auf einem Hotelbalkon in seiner Wahlheimat Beverly Hills und musste sich beim Aufstehen und Hinsetzen stützen lassen. Dennoch war er immer noch eine imposante Erscheinung. Im afrikanischen Dashiri-Gewand hatte er, nach einem Schlaganfall mühsam um jede Silbe ringend, über sein Erbe sinniert.

"Ja, meine Monologe haben die Rapper beeinflusst. Sie haben auch meine Musik abgekupfert. Und mir ein paar dicke Schecks beschert." Mit den Gewaltphantasien der meisten Rapper aber, sagte Hayes, wolle er nichts zu tun haben. Und das obwohl er selbst als Schauspieler in Filmen wie "Tough Guys" oder "Truck Turner" durchaus Hip-Hop-kompatible Typen mit Knarre und Sexappeal verkörpert hatte.

Doch "Black Moses" hin, "Bad Nigger her", viele seiner Hollywood-Engagements waren wohl genauso dem kommerziellen Überlebensinstinkt des Soulmannes geschuldet, wie später die von Hayes komponierten Werbejingles für Pepsi und Burger King.

Oder seine Sprecherrolle als Chefkoch in der Zeichentrickfilmserie "Southpark" Hayes letzter großer Pop-Erfolg, auch wenn er nach einer Folge, in der seine Scientology-Religion durch den Kakao gezogen wurde, die Sprechrolle des schwarzen, singenden Schulkantinenkochs ablegte.

Seitdem kennen viele jüngere Amerikaner die Bassstimme des Soulveteranen jedoch vor allem durch den plump anzüglichen "Southpark"-Song: "Chocolate Salty Balls".

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie sich Hayes bis zuletzt politisch engagierte.

Soul Man

Schade. Gehört doch Hayes spätestens seit dem Jahr 1964 zu den ausgewiesenen Legenden des Soul. Damals herrschte Goldgräberstimmung in den Stax-Studios in Memphis.

Man hatte mit Rhythm'n' Blues-Aufnahmen lokaler Talente wie Rufus Thomas, William Bell oder Otis Redding erste Hits gelandet, die Rolling Stones hatten sich als Fans des hauseigenen improvisierten Sounds geoutet und selbst die Beatles liebäugelten mit einer Session im schwarzen Ghetto. Isaac Hayes wollte nichts lieber als Teil dieser Erfolgsgeschichte werden.

Geboren in Covington, Tennessee, kannte der junge Mann nicht viel mehr von der Welt als Armut, Gospelgottesdienste und Baumwollfelder. Seine Mutter war früh gestorben, der Vater hatte sich aus dem Staub gemacht und den Jungen den Großeltern überlassen.

"Gehe aufrecht!"

Hayes schämte sich für "die Lumpen, die wir von Nachbarn gespendet bekamen". Damals beim Baumwollpflücken hätte er sich kaum vorstellen können, einmal in rosa Leggins, extravaganten Pelzmänteln und goldverzierten Cadillac-Limousinen durch die Welt zu touren.

Seiner analphabetischen Großmutter aber, sagt Hayes, verdanke er den wichtigsten Ratschlag seines Lebens: "Gehe aufrecht!" Und: "Sei der Mensch, der du bist."

Hayes brachte sich das Klavierspielen selbst bei, gründete eine Doo-Wop-Band. Als er in einem Club in Memphis mit Mitgliedern der legendären Mar-Keys spielte, rief Stax-Präsident Jim Stewart an: Er sei mit Otis Redding im Studio. Hayes sollte sofort vorbeikommen.

Der 22-Jährige, der damals noch in einer Fleischfabrik arbeitete, hatte da schon drei Mal bei Stax vorgespielt - und drei Mal einen Korb erhalten. Nun bekam er als Ersatzmann seine Chance.

Hayes aber war auf Größeres erpicht. Zusammen mit dem Texter David Porter schloss er sich nächtelang ins Studio ein, und schrieb innerhalb von wenigen Monaten Dutzende Soul-Hits: "Baby" und "Let Me Be Good To You" für Carla Thomas, "I Had A Dream" und "I've Got To Love Somebody's Baby" für Johnnie Taylor, Jackie Moores Millionenhit "Precious Precious". "Hold On I'm Coming" und "Soul Man" für Sam & Dave.

Eine Hymne männlicher Selbstqual

Nur selber singen durfte der Erfolgsautor nie. Hayes, der Nat King Cole verehrte, klang für den Geschmack der Firmenbosse "einfach zu schön".

Bis der glatzköpfige Hüne 1969 die Gesetze des Popmarktes auf den Kopf stellte: Sein zweites Album "Hot Buttered Soul" veränderte die Parameter schwarzer Musik grundlegend. Seine lose arrangierten Stimmungslandschaften kombinierten Blues-Melancholie, Jazz, psychedelischen Rock und die klassischen Streicher des Memphis Symphony Orchestra. "Ich erinnerte mich aus dem Schulunterricht an die wunderbaren Klänge von Bach, Beethoven und Debussy".

Die Ära der Drei-Minuten-Single war mit einem Schlag überholt. Und Hayes, dessen brütende, sinnliche, schweratmige "Love Raps" etwa die Easy-Listening-Nummer "Walk On By" in eine zehnminütige Hymne männlicher Selbstqual verwandelte, wurde mit einer Million verkaufter "Hot Buttered Soul"-Kopien zum ersten schwarzen Album-Künstler überhaupt.

"Du bist Moses, du führst uns alle mit deinen Songs", hatte ein schwarzer Prediger zu Hayes gesagt. Der Titel blieb ihm. Und Hayes - der einst neben Martin Luther King Jr. marschiert war und sich in Memphis aktiv gegen Polizeibrutalität und für schwarze Sozialprogramme engagierte - posierte nicht nur auf dem Albumcover von "Black Moses" im alttestamentarischen Prophetenmantel, sondern schwor sich auch "an einer Zukunft zu arbeiten, in der meine zwölf Kinder niemals wegen ihrer Hautfarbe Gewalt erfahren."

Erst letztes Jahr war der Soulveteran für ein neues Album ins Studio gegangen. Die Wiederbelebung seines alten Labels Stax hatte ihn motiviert - wie auch die Präsidentschaftskandidatur Barack Obamas: "Wenn ein schwarzer Mann Präsident werden würde, dann hat Black Moses Sinn gemacht", sagte er.

Hayes wird die mögliche Erfüllung seines Wunsches nicht mehr erleben. Er starb am Sonntagabend in einem Krankenhaus in Memphis, nachdem ihn seine Frau bewusstlos neben dem Laufband gefunden hatte. 65 Jahre war er alt. Die goldenen Ketten - sie sind nun endgültig von ihm gefallen. Sein dunkles Vibrato aber bleibt mit uns.

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