Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von George A. Romero:Die Lebenden sind sich selbst die größeren Feinde

1968 erfand George A. Romero mit seinem Film "Night of the Living Dead" den Horrorfilm - und den Zombie in seiner modernen Form. Für die Untoten hatte der Filmemacher immer Sympathien.

Nachruf von Doris Kuhn

Der Film beginnt auf einem Friedhof, ausgerechnet. Zwei Geschwister besuchen das Grab ihrer Mutter, und noch während die Schwester betend davor kniet, nähert sich ein Mann im schwarzen Anzug. Grundlos greift er an, tötet den Bruder und will die Schwester beißen.

Logisch, ein Zombie, würde heute jeder sagen. Aber als George A. Romero seinen Film "Night of the Living Dead" 1968 ins Kino brachte, war der Zombie, der schon einmal mit dem Film "White Zombie" (1932) nach Hollywood gelangt war, wieder eine vergessene Figur - zeitgenössische Kritiken sprachen nur von "Ghoul". Romero hat den Zombie in seiner gegenwärtigen Form erst erfunden, und er hat ihm in seinem Werk eine Entwicklung gegeben, von der jeder Horrorfilm-Regisseur profitiert, bis hin zur aktuellen Milliardenindustrie um das "Walking Dead"-Franchise.

"Night of the Living Dead" begann als Idee im Freundeskreis. Romero, 1940 in der Bronx geboren, lebte damals in Pittsburgh, drehte Werbefilme und hatte Richard Mathesons Science-Fiction-Roman "I Am Legend" gelesen, eine Mischung aus Seuchen- und Vampirroman. Die Idee mit den Untoten gefiel ihm. Zehn Freunde gaben jeweils 600 Dollar, gedreht wurde nur nach der Arbeit - doch heute befindet sich dieses erste Werk in der Filmsammlung des Museum of Modern Art. Er war der Anfang von allem.

Vietnamprotest, Anprangerung von Rassismus, Auflehnung gegen bisher geheiligte Familienwerte

Dabei geht es nicht nur um die blutverschmierten Zombies und ihren Hunger auf das Fleisch lebender Menschen. Vietnamprotest findet sich darin, Anprangerung von Rassismus, die Auflehnung gegen bisher geheiligte Familienwerte. Romero lässt den durchschnittlichen amerikanischen Bürger auf die Zombies antworten, und der kennt keine Differenzierung zwischen schwarz oder weiß, infiziert oder gesund, sobald er sich auf der richtigen Seite wähnt. Die vielen Toten am Ende des Films sind keinesfalls bloß Opfer der Zombies.

Das gab Verrisse der etablierten Kritiker, aber der Erfolg in den Drive-in-Kinos und Mitternachtsvorstellungen war nicht mehr aufzuhalten - und hat ein Modell geschaffen, wie Horrorfilmer weit außerhalb des Mainstreams Erfolg haben konnten. Dieser blieb Romero in seinen nächsten Filmen, etwa in "The Crazies" oder "Martin", zunächst verwehrt. Zombies sollten sein Lebensthema bleiben.

"Dawn of the Dead" von 1979, sein nächster großer Wurf, ist bis heute der beste Film im gesamten Zombie-Kanon. Darin nimmt Romero den Kapitalismus unter Feuer: Zombies belagern eine Gruppe Menschen in einem Einkaufszentrum, Lebende wie Untote werden ständig mit dem Ort des exzessiven Konsums konfrontiert. Zudem engagierte er seinen alten Bekannten Tom Savini, zuvor Kriegsfotograf in Vietnam, für besonders blutige Zombie-Effekte jenseits jeder Altersfreigabe - der Splatterfilm war geboren und sogleich immens erfolgreich. Mit "Day of the Dead" folgte 1985 der Abschluss dieser ersten Trilogie. Egal aber, was Romero sonst anpackte - etwa Stephen-King-Stoffe wie "Creepshow" oder "The Dark Half", oder "Two Evil Eyes", zusammen mit dem Horrormeister Dario Argento -, nichts zeigte vergleichbare Wirkung. So setzte er 2005 seine Zombie-Saga noch einmal fort. In schneller Folge entstanden drei Filme, dokumentarisch im Stil, inhaltlich voller Sympathie für die Untoten, die darin die Welt allmählich in Besitz nehmen. Denn die Lebenden sind, da ist Romero immer konsequent, sich selbst die größeren Feinde.

Betrachtet man Romeros Gesamtwerk, hat die Menschheit zwischen 1968 und heute nichts gelernt. Die Filmindustrie allerdings schon. Das Horrorgenre wäre ohne Romero nicht das, was wir kennen und lieben, weder visuell noch in der Rezeption. Romeros Zombies waren soziopolitische Erscheinungen, Produkte der Gesellschaft, aus der sie stammten. Sie eroberten Filmhochschulen und Festivals, Cineasten wie Nerds. Zweifellos werden sie weiter durch die Welt torkeln - aber nun ohne ihren großen Meister. George A. Romero ist am Sonntag in Toronto 77-jährig an Lungenkrebs gestorben.

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SZ vom 18.07.2017/doer
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