Zum Tod von Fritz J. Raddatz:Das Träumen nicht lassen

Literaturkritiker Fritz J. Raddatz gestorben

Vom aktuellen Literaturbetrieb hielt Fritz J. Raddatz nicht viel (Archivbild aus dem Jahr 2010).

(Foto: dpa)

Seine Lebensgeschichte zeigt Elend und Glanz der literarischen Bundesrepublik: Was Fritz J. Raddatz für die Literatur geleistet hat, ist unendlich verdienstvoll. Der Publizist blieb bis zu seinem Tod streitbar.

Von Willi Winkler

Es geht gar nicht anders, als jetzt an Kurt Tucholsky zu denken, der sich 1935 im schwedischen Exil das Leben nahm, lebensenttäuscht, krank, ein "aufgehörter Schriftsteller". Fritz J. Raddatz hat wie kein anderer seinem "Tucho" nachgeeifert. Kein größeres Glück deshalb für Tucholskys Jünger, als selber ins Französische übersetzt zu werden und in der Welthauptstadt der Literatur, in Paris, ziemlich groß herauszukommen, als eigenständiger Erzähler, als Autor von "Kuhauge".

1984 erschien die autobiografische Geschichte und markierte seinen Abschied vom Feuilleton. Als ihn die recht wenig literate, aber machtbewusste Gräfin Dönhoff 1985 nach Gutsherrinnenart von seinem Lieblingsamt entband und öffentlich aus dem Feuilleton der Zeit warf, hätte das sein Glück sein können, doch Raddatz konnte gar nicht anders, als dieser Kränkung bis zuletzt nachzugeben.

Nachruf auf Fritz J. Raddatz

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Mit seiner staunenswerten Schnelligkeit hatte er in weniger als zwei Stunden einen ausgefallenen Aufmacher für die Buchmesse zusammengeschustert, sich großzügig beim Einfall eines Kollegen bedient und dabei dessen satirischen Ansatz übersehen. Der Hohn in ganz Deutschland war ohrenbetäubend, aber auch ohrenbetäubend dumm.

Statt sich auf die endlich erlangte Freiheit zum Schreiben zu beschränken, klagte Raddatz beständig über die Ungerechtigkeit der Welt und insbesondere der Zeit, die im Ernst glaubte, auf ihn und seinen Weltliteraten-Adresskalender verzichten zu können. Den hatte er von Anfang an mit großen Namen zu füllen gewusst.

Blitzkarriere in der DDR

Noch vor dem Abitur hatte der 1931 als Sohn eines Ufa-Direktors geborene Fritz Joachim Raddatz seine ersten Artikel veröffentlichen können. Die staatlicherseits und vor allem von der SED geförderte Kultur in der DDR erlaubte ihm eine blitzschnelle Promotion über Herder, und schon war er Lektor beim Verlag Volk und Welt. Als er 1958 nach Westdeutschland übersiedelte, war er nicht vollkommen fremd, aber wie anders sein Bildungsgang verlaufen war, deutete er vor Kurzem in einem Gespräch in der Zeitschrift für Ideengeschichte an.

Raddatz' große Zeit begann bei Rowohlt, wo er als Cheflektor und faktischer Verlagsleiter waltete, den er nur vertreten sollte. Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten zutrifft, die er in seiner Autobiografie "Unruhestifter" erzählt, muss sich um das vorstädtische Reinbek eine Gelehrten- und Bohème-Republik gebildet haben, die in Triumph und Größenwahn, aber auch in Niedertracht und dem üblichen Kollegengezänk bestes Weimarer Niveau erreichte.

Der Lektor Raddatz gründete die unendlich verdienstvolle Reihe rororo-aktuell, machte sie zur Dependence der immer politischer agierenden Gruppe 47 und diskutierte selber bei deren Tagungen mit.

Irgendwann wurde es dem Verlag dann doch zu viel, und Raddatz wurde mit ziemlichem Kawumm hinausgeschmissen. Es war Rudolf Augstein, der ihn auffing und ihm sein öffentlich zelebriertes Leben zwischen Marxismus und Lebenskünstlertum in seinem kurzlebigen Spiegel-Institut finanzierte. Raddatz habilitierte sich bei Hans Mayer, dem er beim Verlassen der DDR geholfen hatte, und wurde dann zum Feuilletonchef der Zeit berufen. Es war, und darüber gibt es keinen Zweifel, nicht nur seine besten, sondern auch die besten Jahre der nicht immer nur moralischen Wochenschrift.

Die Kritiker waren ihm anfangs peinlich gewogen

Fritz J. Raddatz' Lebensgeschichte zeigt ein letztes Mal Elend und Glanz der literarischen Bundesrepublik, von der die Nachgeborenen nur mehr träumen konnten. Auch Raddatz mochte das Träumen nicht lassen. So mälzte er sein Leben, seine traumhafte Karriere in Ostberlin und dann in Hamburg in immer neuen immer talmihafteren Romanen aus. Die Kritiker waren ihm anfangs pflichtschuldig und fast schon peinlich gewogen, doch ließ das Interesse an dem Feuilletonisten, der jetzt selber Romane schrieb, rasch wieder nach.

Raddatz schrieb weiter, schrieb vor allem weiter in der Zeit (und in den Tagebüchern war später nachzulesen, wie wichtig ihm das Gehalt und der damit verbundene Status waren), er ergänzte die Romane durch seine Autobiografie und lieferte zuletzt noch die scheinbare Rohform der Tagebücher nach. Zu seinem Unglück gehörte, dass er zuletzt ein Gnadenbrot bei der Welt am Sonntag verzehren durfte.

Im vergangenen Jahr hat er sich in einem bewegenden Schlusswort von der Literaturkritik verabschiedet. Die gegenwärtige Produktion, und wer wollte es ihm verdenken, interessiere ihn nicht mehr, sie öde ihn an, es gebe für ihn nichts mehr, für das es sich zu schreiben lohne. Nein, so einen wie ihn wird es nicht mehr geben.

Gestern hat Fritz J. Raddatz seine Ankündigung wahr gemacht und ist mit 83 Jahren in Hamburg gestorben.

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