Zum Tod von Erich Böhme:Die vielen Leben des Krokodils

Er war Jahre lang eine Größe des Spiegel, doch zum Star wurde er danach, als Talkshow-Moderator im Privat-TV. Erich Böhme starb mit fast 80 Jahren.

Hans-Jürgen Jakobs

In der gewiss nicht einfachen Welt des Spiegel, mit seinen Pfauen, Löwen und Erdmännchen, hatte er die Rolle des Krokodils. Er war einer, der ruhig, ironisch die Dinge verfolgte - um dann final zuzuschnappen. Erich Böhme liebte diese Metapher, genauso wie das Kokettieren mit seiner hessischen Mundart.

Erich Böhme

Als Brille schwenkender Fernsehgastgeber führte Erich Böhme in Deutschland die politische Talkshow am Sonntagabend ein.

(Foto: Foto: AP)

Größte Gemeinheiten klingen nun einmal fast nett, wenn sie im rundgeschliffenen Dialekt der Hessen vorgetragen werden. Und der gebürtige Frankfurter Böhme musste in fast 17 Jahren Chefredaktion im Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel genügend Unbequemes verkünden.

Wie kein Zweiter verstand er es, zwischen der Redaktion und dem ganz oben thronenden Herausgeber Rudolf Augstein zu vermitteln. Der bei aller Gemütlichkeit ehrgeizige Böhme hatte das Ohr des Spiegel-Gründers, ein Verhältnis, das nur durch die Wirren der Wendezeit vor 20 Jahren beeinträchtigt wurde. Da kommentierte Böhme mit dem berühmt gewordenen Satz: "Ich möchte nicht wiedervereinigt werden." Augstein konterte bald darauf: "Ich will wiedervereinigt oder neu vereinigt werden."

Über diesem deutsch-deutschen Disput endete nach fast 17 Jahren Chefredaktion die Amtszeit des "hessischen Schlappmauls", wie sich Böhme selbst bezeichnete. Es begann das neue Leben des Spitzenjournalisten, das ihn in Deutschland richtig populär machen sollte.

Den Satz mit dem Nicht-Wiedervereinigt-Werden hat er ein paar Jahre später öffentlich bereut - da war er Herausgeber der Berliner Zeitung, einst ein Leuchtfeuer des DDR-Systems, das nun auch "Wessis" als Beispiel für eine moderne, gesamtdeutsche Zeitung gelten sollte.

Seinen Spruch von der "deutschen Washington Post" hat Böhme später genauso bereut. Der Verve der Berliner Zeitungs-Eigentümer (das war der Gütersloher Medienriese Bertelsmann) hielt nur wenige Jahre.

Nun aber hatte sich längst ein neues Bild in den Köpfen der Deutschen eingeprägt: das des Brille schwenkenden Fernsehgastgebers, der die Leute in seiner Talkshow reden ließ und im entscheidenden Moment seine Beute machte, krokodilsgleich eben. So führte Erich Böhme in Deutschland die politische Talkshow am Sonntagabend ein, und das beim Privatsender Sat 1. Gleiches ist heutzutage angesichts des meist debilen Programms der Kommerziellen nur noch schwer vorstellbar.

Sein "Talk im Turm" aber wurde - lange vor "Sabine Christiansen" und "Anne Will" - zur deutschen TV-Institution. 393mal moderierte Böhme, und als sich ein anderer Spiegel-Mann, Stefan Aust, danach mit dem Format versuchte, war es tot. Böhme ist dann noch eine Weile an der Spitze von "Der grüne Salon" und "Talk in Berlin" durchs Privatfernsehen gezogen, ein Brillenschwenker in der Nische von n-tv. Im Jahr 2007 hatte er dann noch einmal als Urlaubsvertretung seiner einstigen Ko-Moderatorin Sandra Maischberger einen Auftritt in der großen ARD.

Ein Mann mit "bullerköpfigem Charme“

"Es gibt ein Leben nach dem Spiegel", befand Böhme einmal. Er war so bekannt geworden, dass auch seine Ehegeschichten in der Boulevardpresse landeten. Einige Zeit nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau Monica durch Gehirnschlag im Jahr 1990 hatte er seine Nichte Daniela geheiratet, doch diese Verbindung scheiterte. Spätes Glück fand der Medienstar dann in der vierten Ehe mit der früheren DDR-Nachrichtensprecherin Angelika Unterlauf. Mit ihr wohnte er im märkischen Oderland und erfuhr viel über das Land, mit dem er einst nicht vereinigt werden wollte.

Doch auch wenn Böhmes zweite Karriere ihn zum Talkshowgiganten machte, der einmal nur spektakulär am Rechtspopulisten Jörg Haider scheiterte - er blieb im Herzen ein Spiegel-Veteran, einer aus Augsteins Geschichts- und Geschichtenwerkstatt. Der Verleger selbst hatte ihm 1993 öffentlich nachgerufen, wie sehr er ihn im Redaktionshaus an der Hamburger Brandstwiete vermisse.

1958 war der Nationalökonom von der Deutschen Zeitung zum Nachrichtenmagazin gestoßen, auf Empfehlung seines Freundes Günter Gaus. Er begann im Hauptstadtbüro in Bonn als Wirtschaftskorrespondent, und war rasch ein geschätzte Gesprächspartner der Spitzenpolitiker, egal, ob es sich um Ludwig Erhard oder Willy Brandt handelte, mit dem er sich lange auf Spaziergängen austauschte.

1969 übernahm Böhme die Leitung des Bonner Büros, das den Charme einer männerbündischen Intellektuellen-WG hatte. Und vier Jahre später folgte er dann Günter Gaus als Chefredakteur des Spiegel.

Ein "ganz besonderer Kollege"

Die Sozialliberalen regierten, was Böhme schätzte. In seiner Ära an der Spitze des Nachrichtenmagazins erschienen die großen Enthüllungsstories, zum Beispiel über die Neue Heimat, die Flick-Affäre oder das Coop-Desaster. Höhepunkt der investigativen Serie war 1987 eine Geschichte über miese PR-Mauscheleien des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU). Da Böhme sich im Wesentlichen auf einen einzigen Zeugen, den windigen Medienreferenten Pfeiffer, verlassen hatte, war Augstein skeptisch gewesen; Mit-Chefredakteur Werner Funk hatte die Geschäfte ganz Böhme überlassen. Aber der Hesse hatte seinen Scoop.

Tatsächlich musste Barschel aufgrund der Faktenlage zurücktreten; neun Tage später starb er unter nie ganz geklärten Umständen. Die CDU verlor in Kiel die Macht. Erst 1993 kam heraus, dass die SPD frühzeitig von Pfeiffers Tricks wusste. Für Erich Böhme aber blieb die Affäre das wichtigste Ereignis seiner journalistischen Karriere. Er war ein Heros der Redaktion, ein Mann mit "bullerköpfigem Charme", wie das Fachmagazin Medien einmal schrieb, einer, der sich zum Literaturfreund und zum Gourmet entwickelte. Einer, der die schlechten Seiten des Lebens aufdeckte und die guten genoss.

Als "ganz besonderen Kollegen" würdigt der Spiegel den langjährigen Chefredakteur jetzt. "Mit Erich Böhme verlieren wir einen herausragenden Journalisten, einen großartigen Kollegen, einen wunderbaren Menschen. Wir beim Spiegel haben ihm so viel zu verdanken. Wir werden ihn vermissen", erklärten die Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron.

Am Samstag ist Erich Böhme nach einem Krebsleiden verstorben. Er wäre im Februar des nächsten Jahres 80 Jahre alt geworden.

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