Zum Tod von Ellis Kaut:Am liebsten treibt sie Schabernack

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"Ich bin durchaus neugierig, was kommt", sagte Ellis Kaut einmal übers Älterwerden. (Foto: dpa)

Der Kobold, den sie erfand, klebte untrennbar an ihr. Dabei war sie eigentlich Bildhauerin und Schaupielerin. Nun ist die Pumuckl-Mama Ellis Kaut gestorben.

Von Alex Rühle

Es gibt Wörter, die verbinden sich im kollektiven Gedächtnis für immer mit einer Figur. Das Wort "Schabernack" klebt so fest am Pumuckl wie der Pumuckl am Leimtopf des Meister Eder, in der allerersten Geschichte über den Kobold, einen so stolzen wie kleinen Nachfahren der Klabautermänner. Das eherne Koboldgesetz besagt, dass man bei demjenigen Menschen bleiben muss, der einen erstmals gesehen hat.

Also leben der Pumuckl und sein Meister Eder - ein bayerischer Buddha, tiefenentspannt, weise, und ganz und gar verwurzelt im Hier und Jetzt seiner Hinterhofwerkstatt - von da an in einer so seltsamen wie unterhaltsamen Zweckgemeinschaft.

Ellis Kaut muss es zuweilen vorgekommen sein, als klebe der Kobold, den sie 1962 erfunden hat, so untrennbar an ihr wie der Pumuckl an jenem Leimtopf, der ihn damals in unsere Welt zwang. Kaut war studierte Bildhauerin und Schauspielerin, sie hat viele Hundert Texte für den Bayerischen Rundfunk verfasst und mehrere Fotobände herausgegeben, "aber jeder, der mich erkennt, spricht mich auf meinen Kobold an", wie sie einmal sagte. Als sie mit fast 90 Jahren ihre Autobiografie in Angriff nahm, versuchte sie sogar zuerst, ihr eigenes Leben aus Sicht des Pumuckl zu erzählen. Das hat dann nicht funktioniert, sie gab dem Buch aber einen Satz ihres Kobolds als Titel: "Nur ich sag ich zu mir".

Kaut sagte mehrmals, dass der Pumuckl viel von ihr habe, weshalb wir hier eingangs noch mal auf diesen nervösen Genusskobold zurückkommen, der Schokolade und Schiffschaukeln liebt und es eigentlich immer rundum gut meint, aber trotzdem zur großen Freude seiner Zuhörer in jeder Geschichte größtmögliche Unordnung verbreitet.

Pumuckls wichtigstes Attribut: die Stimme!

Aufgrund seines prekären ontologischen Status - er ist ja einen Großteil der Zeit völlig unsichtbar - ist sein wichtigstes Attribut die Stimme. Weshalb es ein Riesenglück war, dass Ellis Kaut damals im Rundfunk hörte, wie Hans Clarin Otfried Preußlers "Kleine Hexe" einsprach. Clarin lieh dem Kobold, dessen Hirnwindungen man sich vielleicht vorzustellen hat wie einen Haufen Luftschlangen, so verdreht ist seine Logik, diese eindringliche Stimme, die von einem Moment auf den anderen von liebevollem Singsang in jähzornig migränöses Jaulen kippen konnte und dem man aber auch diese narrische Liebe zur Sprache abnahm. Der Pumuckl ging mit den Wörtern um wie der Meister Eder mit dem Holz: Schau nur, wie interessant, was kann man damit alles machen!

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Während der Meister Eder seine Möbel schreinerte, drechselte der Pumuckl seine Gedichte: "Vernunft, Vernunft hat keine Unterkunft, in der großen Koboldszunft." Oft sprang er in diesen Gedichten auch einfach nur in den Klang der Sprache hinein, lustvoll wie in eine Matschpfütze: "Kommt daher ein dicker Mensch, reim ich pinsche pansche pensch!" Weshalb man davon ausgehen kann, dass Ulimantulus Irrichmich ein ferner Verwandter des kleinen Klabautermanns war: "Uli der Fehlerteufel", eine weitere Figur von Kaut, geisterte durch viele Rechtschreibfibeln der Siebzigerjahre, verdrehte Buchstaben oder stahl Satzzeichen und Wörter aus ersten Lesetexten.

Der Pumuckl hat noch einen anderen heimlichen Verwandten, den Kater Musch, eine sprechende Katze, die bei einem alleinstehenden Schriftsteller (dem "Tonerl") wohnt und nur mit diesem zu sprechen bereit ist. 120 Hörspielfolgen erfand Kaut Ende der Fünfzigerjahre mit dem Kater. Als einer der Sprecher dieser auch schon erfolgreichen Serie den BR verließ, baten die Kollegen sie um eine neue Serienfigur. Kurz danach trat der Pumuckl in unser aller Leben, von dem keiner so genau weiß, wo er sich bis dahin herumgetrieben hat.

Weltberühmt wollte sie werden, "eine Heilige oder wenigstens eine Klaviervirtuosin"

Ellis Kaut selbst wurde 1920 in Stuttgart geboren. Zwei Jahre später zogen ihre Eltern mit ihr nach München. Weltberühmt wollte sie werden als Kind, eine katholische Heilige, oder wenn das schon nicht klappt, dann wenigstens Klaviervirtuosin. Stattdessen war sie 1938 erst einmal das erste Mädchen, das das Münchner Kindl verkörpern und den Einzug der Wiesnwirte anführen durfte. Sie studierte kurze Zeit Schauspielerei. Eines Tages radelte sie dann mit einer selbstgefertigten Skulptur an die Akademie für bildende Künste in München und tat dort kund, sie wolle Bildhauerin werden. Gesagt, studiert.

Nach dem Krieg begann sie aber bald, angeregt durch ihren Mann, den Journalisten und Schriftsteller Kurt Preis, Novellen, Erzählungen und Hörspiele zu verfassen. Womit wir wieder beim Kater Musch und ihrem ewig jungen Alter Ego, dem Kobold mit dem roten Haar, wären.

Sie schrieb auch Kinderbücher. Freunde der Augsburger Puppenkiste kennen Schlupp vom grünen Stern, der zunächst im Südwest-Verlag erschien und sich zwölf Jahre später auf der berühmten Marionettenbühne materialisierte. Die Augsburger hatten auch überlegt, den Pumuckl zu schnitzen. Das aber behagte Ellis Kaut nicht, schließlich war der Witz an der Figur ja, dass sie sich unsichtbar machen konnte. Sehr schön gelöst wurde das Problem dann vom Bayerischen Fernsehen, in der Serie mit Gustl Bayrhammer, in die der Kobold nachträglich hineingezeichnet wurde.

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In späteren Jahren hörte man vom Pumuckl eher traurige Geschichten. Er wurde zu einer Art Scheidungskind. Ellis Kaut stritt sich mit der Zeichnerin Barbara von Johnson um das Sorgerecht. Ein Gericht musste entscheiden, dass der Kobold nicht nur Nachfahre von Klabautermännern sei, sondern auch zwei Mütter habe.

Kaut wollte Johnson dann noch verbieten, dem Kobold eine "Pumuckeline" als Freundin anzudichten. In ihrer Autobiografie klärte sie die Welt darüber auf, auch Elfen hätten keine Elferiche, das Schlossgespenst keine Gespenstin. Sie verlor den Prozess, versöhnte sich später aber wieder mit Johnson.

Sie selbst hatte glücklicherweise immer einen Elf. Über ihre Ehe mit Kurt Preis schreibt sie so schön, dass man jedem Menschen nur wünschen kann, eine derart erfüllende Beziehung erleben zu dürfen.

Ihr Kobold hatte Großes vor nach seinem Tod: "Ich komm noch öfter auf die Welt, weil mir das Feiern so gefällt." Sie selbst war da bescheidener. Zu ihrem 90. Geburtstag wünschte sie sich "nur Gesundheit - und dass alle so lange leben wie ich, damit ich niemand sterben seh'". Sie ließ damals anklingen, dass das Älterwerden "nicht leicht ist. Aber ich bin durchaus neugierig, was kommt." Jetzt wird sie es hoffentlich erfahren: Am Donnerstag ist sie nach langer Krankheit im Alter von 94 Jahren gestorben - "ausgerechnet jetzt", wie ihre Tochter in einem Telefongespräch mit der Süddeutschen Zeitung anmerkte. "Das erste Münchner Kindl, und dann stirbt sie während der Wiesn."

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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