Zum Tod von Dieter Hildebrandt:Die da oben haben angefangen

Kabarettist Dieter Hildebrandt ist tot

Kabarettist Dieter Hildebrandt, hier auf einem Archivbild von 2004, ist an diesem Mittwoch im Alter von 86 Jahren gestorben. Er hinterlässt seine Frau und zwei Töchter aus erster Ehe.

(Foto: dpa)

Er war Gründer der "Lach- und Schießgesellschaft" und des "Scheibenwischer" und stand auf der Bühne, solange er konnte: Mit Dieter Hildebrandt ist Deutschlands größter politischer Kabarettist gestorben. Ein Nachruf.

Von Ruth Schneeberger

"Ich muss mal ... zur Reparatur" hieß es in den vergangenen Wochen auf der Homepage von Dieter Hildebrandt. Ende August hatte er noch verkündet: "Wäre ich ein Schiff, müsste ich in die Werft. So muss ich nun Reparaturarbeiten an mir durchführen lassen und kann von Anfang September bis Mitte Oktober nicht auftreten." An diesem Dienstag wurde klar: "Mein Mann wird nie mehr öffentlich auftreten", ließ seine Frau Renate Küster wissen. Nur einen Tag später hat Deutschlands einflussreichster politischer Kabarettist im Alter von 86 Jahren den Kampf gegen den Krebs verloren.

Noch zum 9. November, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, hatte er ein Interview gegeben - trotz seines rapide schlechter werdenden gesundheitlichen Zustands. Erst im Sommer hatte Hildebrandt von seiner Prostatakrebserkrankung erfahren, war operiert und wieder nach Hause entlassen worden. Bis Ende August hatte er noch fast jeden Abend auf der Bühne gestanden, auch die Auftritte für Anfang 2014 waren schon durchgeplant. Er wollte auftreten, solange es ihm irgend möglich war.

Innerlich getrieben, äußerlich gelassen

Dieter Hildebrandt war ein Getriebener. Aber er wirkte dabei nie gehetzt. Das war es auch, was ihn für viele so verbindlich machte, was den scharfzüngigen Meister des geschriebenen und den stotternden Volksvertreter des auf der Bühne gesprochenen Wortes so sympathisch und für fast alle Bevölkerungsschichten verständlich erscheinen ließ.

Äußerlich gediegen, mit Brille, Anzug und Frisur, sorgte er für Vertrauen, während er seine Attentate auf die bürgerlichen Überzeugungen mit einem sprachlichen Feingefühl schärfte, das seine Gegner machtlos erscheinen ließ. Er führe ein Leben "mit den Tugenden eines ordentlichen Bürgers", sagte Hildebrandt einst, Tennisspieler und Fußballfan, wobei ihn vom Spießbürger ein "gehöriges Maß an Toleranz" trenne.

Nicht nur mit Nebenthemen beschäftigen

Er hatte seine Überzeugungen und stand öffentlich für sie ein. Weshalb ihm Kritiker vorwarfen, einseitiges parteipolitisches Kabarett zu Gunsten der SPD zu machen. Auch das ZDF hatte ihm und der von ihm begründeten Kabarettsendung "Notizen aus der Provinz" einst eine "Denkpause" verpasst. Doch Hildebrandt, nicht verzagt, gründete einfach eine neue Sendung - in der ARD. Und entzog nach seinem eigenen Ausscheiden dem "Scheibenwischer" schließlich die Namensrechte an der Sendung. Weil dort nun auch Comedians geladen wurden und ihm nicht gefiel, dass "TV-Kabarett sich nur mit Nebenthemen beschäftigt".

Das Hauptthema seines Lebens war die deutsche Politik - und wie sie die Menschen prägt. Selbst geprägt durch seine Erfahrungen in der Hitlerjugend, wo er seine Liebe zur Schauspielerei in einer Spielschar entdeckt hatte, und als Flakhelfer stand der 1927 in Bunzlau (Niederschlesien) geborene Dieter nach dem Krieg - wie so viele - vor dem Nichts. Er fand seine Familie wieder, machte das Abitur nach, studierte in München Literatur- und Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Doch sein Jugendtraum, Schauspieler zu werden, sollte sich erst mal nicht erfüllen.

Vom Platzanweiser zur Instanz des politischen Kabaretts

Die Aufnahme an der Otto-Falckenberg-Schule scheiterte. Als Platzanweiser arbeitete er stattdessen im Theater "Die Kleine Freiheit" in München, für das Erich Kästner Programme schrieb, und eroberte sich bald einen Platz in der frischen jungen Kabarett-Szene.

1955 gründete er das Studenten-Kabarett "Die Namenlosen", das sogleich im Fernsehen übertragen wurde und in Schwabing für Furore sorgte, ein Jahr später rief er zusammen mit dem Sportreporter Sammy Drechsel die "Lach- und Schießgesellschaft" ins Leben. Sie wurde ebenfalls von Anfang an in TV und Radio übertragen und sollte zu einer der einflussreichsten Kabarettbühnen Deutschlands avancieren. Drechsel sollte sein Leben lang Hildebrandts bester Freund bleiben. Nach dessen Krebstod 1986, kurz nachdem auch Hildebrandts erste Frau Irene Mendler an Krebs gestorben war, fiel der Kabarettist, auf dem Höhepunkt seines Erfolges, in eine tiefe Sinnkrise. Dass er in dieser Zeit alkoholkrank geworden sei, erzählte er erst viel später - und auch, dass er für seine neue Frau, Renate Küster, noch einmal die Kurve gekriegt habe. Um sie wieder lachen zu sehen.

"Wesentlich zur Aufklärung beigetragen"

Für die Jury des Adolf-Grimme-Preises ging durch Hildebrandts Abschied vom Scheibenwischer 2003/2004 eine "Ära des politischen TV-Kabaretts zu Ende, die mit seinem Namen verbunden ist". Hildebrandt zähle "zu den Begründern des politischen Kabaretts im Deutschland der Nachkriegszeit" und habe "wesentlich zur Information und zur Aufklärung durch das Medium Fernsehen beigetragen." Josef Hader und Georg Schramm benennen ihn als ihr größtes Vorbild.

Zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2007 waren sich die Kritiker, die ihn einst als "staatstragend" verurteilt hatten, nun sicher, es mit dem "bedeutendsten und einflussreichsten politischen Kabarettisten der Bundesrepublik" zu tun zu haben. Er habe die Republik verändert. Auch dadurch, dass immer wieder Sendungen von ihm zensiert wurden, unter anderem zum Thema Tschernobyl. Aus der Schweiz urteilte Publizistin Christine Steiger, er sei wohl "der einzige Deutsche scharfer Zunge, der sich im Fernsehen einen solchen Freiraum für politische Satire erobern konnte". Zeitgleich wurde bekannt, dass Hildebrandt Mitglied der NSDAP gewesen sei. Doch im Gegensatz zu ähnlichen Fällen glaubte ihm die Öffentlichkeit seine Versicherung, davon nichts gewusst zu haben.

Ein Text, den er auf seiner Homepage veröffentlichte, zeugt davon, wie Hildebrandt selbst auf den Ruhm reagierte. Wie immer bissig, aber sich selbst nie so wichtig nehmend, wie es so vielen anderen passiert, sobald sie eine Bühne erobert haben:

"Eine knappe Vita in einer Lüneburger Heidezeitung umfasst ganze 20 Zeilen und enthält fünf Falschmeldungen. "Dieter Hildebrandt ist ein echter Berliner". Falsch, ich komme aus Schlesien. "Er erblickte 1927 in Bunzlau (heute Tschechoslowakei) ..." Falsch. Bunzlau liegt heute in Polen. "... das Licht der Welt und wurde in Berlin bekannt." Falsch. Bekannt wurde ich in München. "Dort war er einer der Mitbegründer (also in Berlin) der Münchner Lach und Schiessgesellschaft." Falsch, wir haben die Münchner Lach und Schiessgesellschaft in München gegründet. "Noch heute arbeitet er in der berühmten Kabarettistengruppe 'Die Berliner Stachelschweine'." Falsch, denn noch immer haben die Berliner Stachelschweine ihr Theater nicht in München. Richtig wäre die Vermutung, dass es sich bei mir nicht um Dieter Hallervorden handelt."

Auch im Ruhestand gab Hildebrandt längst noch keine Ruhe, schrieb zahlreiche Bücher, gründete mit stoersender.tv die "Plattform für Kabarett, Journalismus und soziales Engagament" im Internet und reiste mit seinen Solo-Programmen durch die Republik. Denn: "Die da oben haben angefangen", sagte er einst, und meinte damit die hierzulande Herrschenden. Sein politisches Engagement im Kabarett sei deshalb "Notwehr".

Scharf geschossen, pointensicher getroffen

Diverse Filmrollen wurden ihm auch im fortgeschrittenen Alter noch auf den Leib geschrieben, unter anderem in "Kir Royal", "Zettl" und immer wieder von Gerhard Polt. Trotz allem: Sein schauspielerisches Talent blieb hinter seinem schreiberischen zurück. Die Menschen sahen ihn gerne im TV - aber nicht, weil er so gut spielen konnte, sondern, weil er der Hildebrandt war.

So mächtig, wie er bis zuletzt geschossen hatte gegen Lethargie und Volksverdummung, so mächtig - und so plötzlich - holte ihn nun der Krebs, an den er schon zwei seiner Lieblingsmenschen verloren hatte, von der Bühne herunter.

Die Kabarettwelt, die Kultur in Deutschland, das Fernsehen und auch die Politik werden einen Menschen schmerzlich vermissen, der wie kein Zweiter die scharfe und bisweilen vernichtende Analyse des Zeitgeschehens mit der Fähigkeit verband, sie durch pointensicheren Humor gleichzeitig zu erleichtern und doch nie zu verharmlosen. Ein so umfangreiches Können, dass es viele Kabarett-Fans bei den meisten seiner Nachfolger vergeblich suchen.

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