Zum Tod von Christopher Hitchens:Anwalt des Teufels

Im Vatikan gegen Mutter Teresa argumentieren, als Linker für den Irak-Krieg sein, als Atheist Amerika lieben? Nichts leichter als das! Christopher Hitchens war immer dagegen und hatte meistens recht. Das betrunkene, wütende und aufregende Leben des britisch-amerikanischen Intellektuellen ist zu Ende.

Jannis Brühl

Über die Toten nur Gutes? Nicht, wenn sie Schweinepriester sind, das war Christopher Hitchens' Überzeugung. Er beleidigte den "Reverend" Jerry Falwell live im Fernsehen, als dessen Leiche noch nicht einmal unter der Erde war: "Wir sind einen extrem gefährlichen Demagogen losgeworden, der sein Geld mit Hass und Vorurteilen gegen andere verdient hat."

Christopher Hitchens ist tot

Christopher Hitchens wurde 62 Jahre alt.

(Foto: dapd)

Falwell war ein Liebling von Amerikas Konservativen, die gerne ein Auge zudrückten, wenn der mal wieder antisemitische Ausfälle hatte oder den 11. September als gerechte Strafe Gottes für das Land bezeichnete. Hitchens drückte kein Auge zu. Der britische Journalist und Literaturkritiker war ein Aktivist, der mit harten Mitteln für die Aufklärung stritt. Jetzt ist Hitchens selbst tot. Er hätte für sich keine Nachsicht verlangt.

In der angelsächsischen Welt gehörte er zum öffentlichen Diskurs, weil ihm die Regeln der Mediendemokratie egal waren - und er trotzdem ihre Ideale verkörperte. Er war immer für das gut, was "kontrovers" genannt wird und Einschaltquote bringt.

Fernsehkommentatoren wie Blogger hyperventilierten bei seinen Statements. Im puritanischen Amerika trat er angetrunken vor die Kamera. Er verstieß gegen das ungeschriebene Gebot, christliche Führer wie Falwell mit Samthandschuhen anzufassen. Er griff die israelische Besatzungspolitik an, was die Konservativen ärgerte. Dann erklärte er den Palästinserpräsidenten und Liebling der Linken, Jassir Arafat, zum opportunistischen Killer.

Im Oxforder Debattierclub entdeckte der Student aus Portsmouth in den sechziger Jahren seine scharfe Zunge - und seine Eitelkeit. Damals stellte der junge Christopher laut seiner Autobiographie fest: "Wenn du auf einem Podium eine gute Figur machst, musst du niemals allein abendessen oder allein schlafen."

Wer nicht alleine schlafen will, muss sich also Gegner suchen. Hitchens suchte sich die ganz Großen: Pinochet, Clinton, Saddam, Gott. Dabei machte er eine Verwandlung durch, wegen der ihn schließlich auch viele alte Weggefährten verstießen.

In Oxford und London wurde der Sohn eines britischen Marineoffiziers zum Literaturkritiker und Sozialisten. Er mischte mit Lust an der gesellschaftlichen Revolte sowie den Flügelkämpfen und Debatten innerhalb der Linken mit. In seinem letzten Lebensjahrzehnt jubelte er schließlich dem konservativen Präsidenten Bush bei seinem Angriff auf den Irak zu und wurde eine Art professioneller Gotteslästerer.

Mit dem britischen Biologen Richard Dawkins und dem US-Autor Sam Harris stand Hitchens an der Spitze der Bewegung der "neuen Atheisten". Sie wandten sich gegen das Comeback, das die Religion seit den achtziger Jahren erlebt - nicht nur in der islamischen Welt, sondern auch im Westen. Für jeden von ihnen schlossen sich Religion und persönliche Freiheit gegenseitig aus, war Blasphemie ein Verbrechen ohne Opfer. Doch nur Hitchens schaffte es, dabei nicht ähnlich verbissen und geifernd zu wirken wie die Kreuzzügler und Dschihadisten, die er eigentlich bekämpfte.

Er hatte nicht nur literarische und historische Referenzen zu praktisch jedem Thema parat, wie sich Zeitgenossen in den ersten Nachrufen erinnern. Aus England hatte er Understatement und Humor mitgebracht, nicht nur, wenn es um Politik ging: "Es ist der Gipfel der Unhöflichkeit, mit jemandem seltener als dreimal zu schlafen." Deshalb liest sich sein Buch Der Herr ist kein Hirte im Gegensatz zu den anderen Büchern der "neuen Atheisten" am wenigsten wie Indoktrination.

In den siebziger Jahren trieb er sich mit seinem besten Freund, dem Schriftsteller Martin Amis, in Londoner Literaturzirkeln herum - was vor allem gemeinsame Barbesuche bedeutete. Später berichtete er als Korrespondent aus dem geteilten Zypern, aus Kuba und dem Irak. In seinen letzten Jahren schrieb er von Washington aus für den Atlantic Monthly, das Online-Magazin Slate und für Vanity Fair. Für Letztere testete er nicht nur die Foltermethode Waterboarding am eigenen Leib. Er schickte auch bis zum Ende mit der Regelmäßigkeit, die ihm seine schwere Krankheit erlaubte, Depeschen aus der Schattenwelt ständiger Untersuchungen und Chemotherapien, in der Krebskranke leben. Er nannte diese Welt Tumortown.

Hol' den Vorschlaghammer

Bei den meisten Menschen provoziert der Anblick eines Denkmals andächtiges Innehalten, bei Hitchens den Ruf nach einem Vorschlaghammer. So beim ehemaligen Außenminister Henry Kissinger, weil dieser bei Kriegsverbrechen von Verbündeten Amerikas mitgeholfen haben soll. Dem Ehepaar Clinton warf er Lügen und angeblich unsaubere Geschäfte vor - und erklärte die first family im Titel seiner Abrechnung zur worst family.

Auf seinem Kreuzzug gegen Mutter Teresa brachte er es bis in den Vatikan. Die Kirche lud ihn ein, in der Tradition des advocatus diaboli Argumente gegen die Seligsprechung vorzutragen und angebliche Wunder in Frage zu stellen. Für ihn war selbst die albanische Nonne, die in Indien den Armen half, kein Engel - sondern eine eiskalte Missionarin, deren einziges Ziel es war, unter den Schwächsten der Gesellschaft neue Katholiken zu rekrutieren. Seliggesprochen wurde sie natürlich trotzdem.

Seine Prinzipien Meinungsfreiheit, Aufklärung, Wissen statt Aberglaube waren international, doch nur in den Vereinigten Staaten sah er sie verwirklicht: 2007 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Von der Linken hatte er sich bereits am 11. September endgültig verabschiedet: Die islamistischen Terroristen sah er als Wiederkehr der Tyrannen und Faschisten, gegen die er schon immer gekämpft hatte. Er unterstützte den "Krieg gegen den Terror" und den Einmarsch im Irak als Kampf gegen den Irrsinn von Diktatoren und religiösen Ideologen.

Doch er war ein Verbündeter, den sich Amerikas Konservative nicht gewünscht hatten. Mit der gleichen Wut und Scharfzüngigkeit, mit der er auf die Vernichtungsphantasien islamistischer Zellen losging - die tatsächliche Terrorgefahr im Post-9/11-Amerika überschätzte er wohl völlig -, verspottete er Sarah Palin, Michele Bachmann und alle anderen, die dem säkularen Amerika ihre primitive Version des Christentums aufdrängen wollen.

Es war genug Stoff für mehr als ein Leben: Hitchens versteckte seinen Freund Salman Rushdie, als die Mullahs ihn per Fatwa für vogelfrei erklärt hatten. In Beirut schlugen ihn syrische Nationalisten zusammen, weil er deren Sticker mit einem hakenkreuzähnlichen Parteilogo von einer Laterne gekratzt hatte. Und er stand an der nordirakischen Front mit kurdischen Rebellen, als die Offensive gegen Saddam mit US-Unterstützung rollte. Ausgerechnet Hitchens, der sich als Freidenker vermarktete, war ein embedded journalist geworden, der nicht Schlechtes sehen wollte im planlosen Angriff auf ein ethnisch zersplittertes Land am anderen Ende der Welt. Doch auch in seinem heißgeliebten Amerika sah er die Freiheit des Einzelnen bedroht.

Der nanny state, der seine Bürger mit übertriebenen Verboten vor sich selbst beschützen will, wurde in den Augen von Hitchens' durch New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg personifiziert. In seinem Artikel I fought the Law in Bloombergs New York führt Hitchens den Irrsinn dieses Denkens vor - indem er versucht, in der Stadt eine Zigarette zu rauchen.

Sein Verständnis von individueller Freiheit wurde ihm am Ende zum Verhängnis: Christopher Hitchens starb am Donnerstag im Alter von 62 Jahren in Houston an einer Lungenentzündung, Folge seines Speiseröhrenkrebses. Er rauchte Kette, gerne auch bei Vorträgen in amerikanischen Hörsälen, lange bevor die Serie Mad Men die Kippe im Mundwinkel wieder cool machte. Von seinem Vater hatte er die Vorliebe für Schnaps übernommen. Getrunken wurde eigentlich immer. Er schrieb einmal, viele Leute fragten sich, wie er "jeden Tag genug trinken könne, um ein durchschnittliches Maultier zu töten oder zu betäuben". Über die Toten nur Gutes.

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