Zum Tod von Ara Güler:Adieu, Auge Istanbuls

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"Ein Mensch lebt mit den Souvenirs seines Lebens": Ara Güler in seinem Cafe in Istanbul. (Foto: ddp/abaca press)

Magnum-Fotograf Ara Güler arbeitete für "Time Life", "Paris Match" und den "Stern". Aber am liebsten portraitierte er seine Heimatstadt. Nun ist er im Alter von 90 Jahren gestorben.

Nachruf von Christiane Schlötzer, Istanbul

Istanbul war seine Stadt. Sie gehörte ihm ganz, sie lag ihm zu Füßen, verehrte ihren Chronisten, schließlich zeigte niemand ihre Schönheit so wie er. Ara Güler sagte über sich selbst, er sei kein Künstler, sondern Fotojournalist. Seine Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren sind Erzählungen mit der Kamera, aus einer Welt, die längst vergangen ist: die armenischen Fischer von Kumkapi, die Armada ihrer winzigen Boote auf dem Bosporus, Moscheen im Dunst, Anzugmänner auf winzigen Schemeln, Teeverkäufer, die Angler auf der Galatabrücke, alte Pracht und die Gesichter der Armut, in grobem Korn der analogen Fotografie, mit wenig Licht und viel Schatten. Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk sagte einmal, Gülers Bilder hätten ihn so sehr beeinflusst, dass er manchmal nicht mehr wisse, ob ihm gerade seine eigene Erinnerung oder ein Bild Gülers ins Gedächtnis komme. Auch der deutsch-türkische Filmemacher Fatih Akin verriet, er habe seine Bildsprache an der Ästhetik Gülers geschult.

Der sagte, ihn interessierten stets die Menschen, nicht die Architektur oder das Ambiente. Für ihn gebe es keine Fotografie ohne Mitgefühl, ohne Menschenliebe wäre seine Arbeit sinnlos. Güler war Autodidakt, er wurde 1928 in Istanbul geboren, als Sohn einer armenischen Apothekerfamilie. Der Vater wollte, dass er Arzt wird, aber Güler trieb sich in den Theatern der Stadt herum, wollte erst Schauspieler oder Regisseur werden, weil ihn der Film faszinierte. Dann bekam er eine Kamera und hatte sein Metier gefunden. Erst arbeitete er für türkische Magazine, später bereiste er für Time Life, Paris Match und den Stern die halbe Welt, wurde Magnum-Fotograf, porträtierte Picasso, Hitchcock, Adenauer. Aber Istanbul blieb seine Liebe.

Hier mühte er sich noch in hohem Alter auf den steilen Gassen ab, die Leica um den Hals, die Schultern gebeugt. Oder er saß in dem nach ihm benannten Ara Kafe, wo einige seiner berühmtesten Aufnahmen hängen. Dort war er umringt von jungen Helfern und Bewunderern. Güler nannte sich einen Kosmopoliten, aber er wollte nur in seiner Geburtsstadt leben. Deren Aufstieg zur Megalopolis gefiel ihm gar nicht. Als Güler anfing sein Istanbul zu portraitieren, hatte die Stadt gerade mal eine Million Einwohner. Heute sind es offiziell 15 Millionen, aber keiner weiß, wie viele es wirklich sind. Trotzdem, wohin hätte er sonst gehen können: "Ein Mensch lebt mit den Souvenirs seines Lebens, ich habe kein anderes. Ich mag die Katzen, die Vögel, dies ist mein Land, meine Stadt", sagte er 2014 der taz, als im Berliner Willy-Brandt-Haus eine große Retrospektive seiner Arbeiten gezeigt wurde.

Das Ara Kafe liegt mitten in Beyoğlu, jenem Stadtviertel, in dem einst die Minderheiten lebten, die Griechen, die Armenier, die Juden. Noch immer liegen hier Nachtklubs und Kinos neben Kirchen, Moscheen, Synagogen, einem Derwisch-Kloster. Wer ein bisschen sucht, findet auch noch die dunklen Ecken, die Höfe der Metallhändler, die frierenden Eckensteher, die - eine Waage vor sich auf dem Boden - versuchen, mit diesem Service ein paar Lira zu verdienen. Menschen wie Güler sie ins visuelle Gedächtnis der Stadt geschrieben hat. "Träger warten auf Arbeit am Öl-Anleger" hat er eines seiner Bilder aus dem Istanbuler Hafenviertel aus dem Jahr 1954 genannt. "Ich erkläre die Welt nicht, ich sehe", auch das hat Güler in dem Interview in Berlin gesagt.

Zu seinem 90. Geburtstag wurde in Istanbul das Ara-Güler-Museum eröffnet, es soll Stück für Stück den Schatz seiner mehr als 800 000 Aufnahmen heben. In der Nacht zum Donnerstag ist der mit vielen Preisen ausgezeichnete Künstler, den sie das "Auge von Istanbul" nannten, in einem Istanbuler Krankenhaus an Herzversagen gestorben.

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