Zum Tod von Anthony Minghella:Dieser irre Wechsel

Vom Außenseitertum zum unverschämten Glück: Anthony Minghella schuf das Kino der wahren, tiefen, verrückten Gefühle. Ein Nachruf.

Fritz Göttler

Es hat seine Tücken, wenn kreative Geister sich mit den großen Tieren einlassen, den Mega-Kulturmaschinen. "Die große Befürchtung, wenn man für so einen Elefanten arbeitet, und noch dazu zum ersten Mal, ist, ob man Poesie und Emotion schaffen kann . . . Anthony Minghella hat das mit seiner Madame Butterfly geschafft, und das gab mir Hoffnung, dass auch wir etwas hinkriegen und nicht von der Riesenmaschinerie zermalmt werden."

Es ist nicht das große Hollywood mit seinen Studios und ihrer Blockbusterstrategie, um die es hier geht, sondern die große Met, die New Yorker Oper, die von ihrem neuen Leiter Peter Gelb gerade gehörig aufgemöbelt wird mit allen Mitteln der Kunst. Dazu gehört auch die Arbeit mit Leuten vom Big Showbusiness, vom Kino - und 2005 hatte Anthony Minghella einen gewaltigen Triumph, als die Met seine farbenfrohe, gefühlsintensive Butterfly-Inszenierung übernahm: die Kinofreunde und Kollegen und Stars zeigten sich alle bei der Galapremiere. Gelb hat ihn darauf für eine eigene Oper verpflichtet, für die Saison 2011/2012, und der Komponist, Osvaldo Golijov, freute sich auf die Zusammenarbeit und war - siehe oben - sehr zuversichtlich.

Immer neue Grenzen

Das Glück und der Schmerz, die Verlassenheit, die Gewissheit, immer neue Grenzen überschreiten zu müssen . . . es waren die großen Gefühle, die Anthony Minghella immer wieder beschäftigten, die wahren, tiefen, verrückten Gefühle. Und es waren die eher kleinen Geschichten und Filme, in denen er sie am besten zum Glühen bringen konnte. Ein Film hat seine Arbeit überstrahlt und in diesem Sinne auch überschattet - der "Englische Patient", 1996, nach dem Roman von Michael Ondaatje, mit Ralph Fiennes, Kristin Scott Thomas, Juliette Binoche. Ein Welterfolg, mit neun Oscars ausgezeichnet, darunter dem für den besten Film, einem für Regisseur Minghella und für die Montage von Walter Murch.

Seine anderen Filme sind durch diesen Erfolg zum Phantomdasein verkümmert, der Film, den er davor machte - "Wie verrückt & aus tiefstem Herzen/Truly, Deeply, Madly", ein amour fou über den Tod hinaus, mit dem geisterbleichen Alan Rickman, der auf dem Cello triste Töne von sich gibt - und dem danach, der unterschätzten Highsmith-Verfilmung "Der talentierte Mr. Ripley", mit Matt Damon und Jude Law, die von einer jeunesse dorée erzählt, vergoldet durch den Glanz der italienischen Sonne, die sich ihr Glück durch cooles Doppelspiel und eiskalten Mord erkauft und am Ende merkt, wie wenig dieses Glück sie wärmen kann. Ein Leben hinter den Spiegeln.

Weniger Glück hatte er mit "Cold Mountain" - Nicole Kidman und Law kämpfen ums Überleben im amerikanischen Bürgerkrieg und gegen einen erstarrenden epischen Atem. Den forcierten dramatischen Gestus hat er dagegen auf der Opernbühne leicht bezwungen - man muss eben auch da den Blick fürs Detail bewahren, hat er fröhlich erklärt.

Blitze des Glücks

Es ist eine merkwürdige Diskrepanz zwischen all den verlorenen Kids, von denen er erzählte, und der Lebenslust und Menschenfreundlichkeit, die der Mensch Minghella verbreitete. Ein geradezu südländischer Touch in der Londoner kulturellen Landschaft - er wurde als Sohn italienischer Eltern am 6. Januar 1954 auf der Isle of Wight geboren. Sein Spektrum war breit, Literaturprofessor und Bühnenautor, Schauspieler, Fernsehregisseur und Produzent. Die gemeinsame Firma mit Sydney Pollack steckte hinter Tom Tykwers "Heaven" und der Verfilmung von Bernhard Schlinks "Der Vorleser", die eben in Berlin gedreht wird.

Gemeinsam haben sie die Neuverfilmungsrechte an Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der Anderen" erworben, um das Stasi-Geisterland hinüberzuspiegeln ins Nach-9/11-Amerika. In wenigen Tagen soll Minghellas neuestes Werk in der BBC ausgestrahlt werden, "The No. 1 Ladies' Detective Agency", den er nach den Krimis von Alexander McCall Smith in Botswana gedreht hat.

Minghella war, wie viele Männer mit Leibesfülle, ein agiler Typ, ein Produzent vom alten Schlag. Ein spiritus rector, der gern Dinge in Bewegung brachte und dann seine Freude daran hatte, wenn sie sich entwickelten, nicht unbedingt wie geplant. So passierte es auch in seinem letzten Film, "Breaking and Entering", der von der Kritik zerzaust und vom Publikum zurückgewiesen wurde - und bei uns nur auf DVD erschien.

Jude Law ist ein Architekt, der in seinem Schaffen ein Menschenfreund bleiben möchte und, bei der Jagd nach einem Einbrecher, auf merkwürdige Abwege gerät, in ein London hinter den Spiegeln, bis ins Bett mit Juliette Binoche. Es ist Minghella pur, dieser irre Wechsel von Außenseitertum und Ausweglosigkeit zu Blitzen unverschämten Glücks. Am Dienstag ist Anthony Minghella im Alter von 54 Jahren in London nach einem Routineeingriff an einer Gehirnblutung gestorben.

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