Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Anthony Bourdain:Ein Entdecker und Abenteurer in Sachen Essen

Anthony Bourdain ist tot. In seinen Büchern demaskierte er die Welt der Luxusrestaurants und erkundete im Fernsehen ganz gewöhnliche Lokale rund um die Welt.

Nachruf von Jörg Häntzschel

Essen ist in Deutschland kein so großes Thema wie in China, Italien oder New York. Und doch hat sich auch hier viel verändert. Daran hat ein Mann nicht unerheblichen Anteil: Anthony Bourdain, der Koch, der als Weltreisender in Sachen Essen weltbekannt wurde. Seine begeisterte Ethnologie der schlichten, aber guten und originellen Küche an den Straßenrändern von Bangkok bis Baku hat auch die deutsche Esskultur inspiriert. Am Freitag hat er sich in einem Hotel in der Nähe von Straßburg das Leben genommen. Bourdain, der 1956 in New York geboren wurde, begann seine Karriere wie viele. In 13-Stunden-Tagen arbeitete er sich durch Restaurantküchen hoch, bis er Chefkoch im New Yorker Restaurant Brasserie Les Halles wurde. Doch statt bis zum Burn-out weiterzumachen, schickte er Ende der Neunziger dem New Yorker unaufgefordert einen schonungslosen Bericht vom Alltag in der Gastronomie: von den endlosen Schichten, vom Geschrei der Chefs und Betrug an den Gästen. Aus dem Stück wurde Bourdains erster Bucherfolg, "Geständnisse eines Küchenchefs", mit dem er im Jahr 2000 berühmt wurde. Bourdain entlarvte darin die Verlogenheit und die Ausbeutung in der Spitzengastronomie, aber er verhalf der sehr guten Küche auch zu neuer Glaubwürdigkeit. Kochen, das war für Bourdain - und für seine Leser - der neue Rock 'n' Roll.

Seine eigentliche Berufung fand Bourdain im Fernsehen. Nicht, wie so viele, als Promikoch, sondern als Entdecker und Abenteurer. Die Idee seiner Serie "No Reservations" war einfach. In jeder Folge besuchte er einen mehr oder minder exotischen Ort, immer auf der Suche nach dem Genius der lokalen Küche. Nicht die Top-Restaurants interessierten ihn, in denen es überall auf der Welt gleich schmeckt, nämlich nach Geld. Sondern ganz gewöhnliche Lokale, solange dort nur jemand mit Verstand und Können an den Flammen stand. Gerichte waren für ihn Geschichten.

So sah man Bourdain an speckigen Tischen Platz nehmen, an denen er sich dann vorsetzen ließ, was die meisten Touristen nie anrühren würden. Natürlich war seine Sendung auch Reality-TV: Wird er die gerösteten Schweineohren runterkriegen? Welches Gesicht wird er wohl mit Heuschrecken zwischen den Zähnen machen? Ganz zu schweigen von den zahllosen anderen Abenteuern, die ihm auf seinen Reisen widerfuhren.

Doch Bourdain spielte sich nie als Indiana Jones des Streetfood auf. Er interessierte sich ernsthaft für die Kultur des Essens - und zwar über alle nationalen und kulturellen Grenzen hinweg. Was er praktizierte, war Globalisierung im besten Sinne: Er bereiste die Welt, weil ihn das Lokale und Einzigartige interessierte. Und weil er so mit den Leuten ins Gespräch kam. Nicht nur mit Prominenten wie Barack Obama, den er in Hanoi in ein Arbeiterlokal führte, wo sie auf Plastikstühlen saßen und Nudeln aßen. Sondern vor allem mit den Leuten, die das Kochen ebenso liebten wie er und denen er immer mit derselben Achtung und Bewunderung begegnete - von Koch zu Koch.

Auch deshalb war seine Sendung so populär: Bourdain war nicht nur ein guter Koch, er war vor allem ein guter und das heißt: geselliger Esser. Über das Medium des Essens gelang es ihm in jeder Sendung, die Freundschaftlichkeit zu eben noch Fremden herzustellen, die vielen, nicht nur auf Reisen, so unerreichbar erscheint.

Anthony Bourdain wurde 61 Jahre alt.

Anmerkung der Redaktion: Wegen der Nachahmerquote nach Selbsttötungen berichten wir in der Regel nicht über Suizide, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe.

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SZ vom 09.06.2018/khil
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