Zum Tod von Alan Sillitoe:Sprudelnd am Spülbecken

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Millionen 16-Jährige haben seine Einsamkeit des Langstreckenläufers gelesen, er prägte den sozialen Realismus - jetzt ist Alan Sillitoe im Alter von 82 Jahren gestorben.

Thomas Steinfeld

Im Englischen gibt es einen sprechenden Namen für die Dichtkunst des sozialen Realismus, wie sie in den fünfziger Jahren (und danach) einen großen Teil der westeuropäischen und nordamerikanischen Literatur beherrschte: "kitchen sink drama", "Geschichten am (oder im?) Spülbecken". Alan Sillitoe, im Jahr 1928 in Nottingham als Proletarierkind geboren, Arbeiter in der ehemals berühmten Fahrradfabrik Raleigh, Funker bei der Royal Air Force auf den Malaien, mit 21 Jahren wegen Tuberkulose pensioniert - als dieser Mann zum Schriftsteller wurde, verwandelte sich das Spülbecken in einen sprudelnden Quell, ohne doch je das stumpfe und zerkratzte Blech, den leckenden Hahn, das sich über Feuchtigkeit wellende Resopal vergessen zu machen.

Sein "Langstreckenläufer"war auch ein Bild von Alan Sillitoe: Das Foto zeigt den Schriftsteller im Jahr 1973. (Foto: Foto: getty)

Der Held verweigert die Erlösung

Zwei solcher Geschichten reichten, um Alan Sillitoe zu einem international bekannten Schriftsteller zu machen: zuerst Saturday Night and Sunday Morning aus dem Jahr 1958, ein Tableau aus Schichtarbeit, Untreue, Wirtshaus, Schlägerei und lauter kleinen Hoffnungen. Dann, im Jahr 1959, The Loneliness of the Long Distance Runner, den Bericht eines jugendlichen Diebs oder Räubers, der in einer Erziehungsanstalt sein Talent zum Langstreckenläufer entdeckt, plötzlich kurz vor einer bürgerlichen Erlösung (einem Sieg, einem sozialen Aufstieg) steht - und diesen verweigert.

Vor allem der "Langstreckenläufer" zog in das feste Repertoire der Nachkriegsliteratur ein, nicht nur als Allegorie auf einen existentialistisch inspirierten Widerstand, nicht nur wegen seines wunderbar einprägsamen Titels, sondern auch, weil diese Geschichte ihren Weg in die Curricula des gehobenen Englischunterrichts fand. Millionen Sechzehnjährige auf der ganzen Welt werden sie gelesen haben, und gewiss nicht nur mit Überdruss und Langeweile. Und auch ein Bild seines Autors war dieser "Langstreckenläufer", ein Bild des radikalen Individualismus und der persönlichen Souveränität.

Denn eher, als dass sich Alan Sillitoe als Autor realistischer Erzählungen verstand (und als solcher schrieb er weiter, bis in die neunziger Jahre hinein), sah er sich als Poet. Und immer wieder war da etwas Abenteuerliches, Überraschendes, angefangen bei seinem Interesse für Chopin (er hatte lange auf Mallorca gelebt) bis zu seinen vielen Reisen nach Russland. Am Sonntag ist Alan Sillitoe im Alter von 82 Jahren in London gestorben.

© SZ vom 26.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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