Zum Tod des Regisseurs Abbas Kiarostami: Ein großes Kapitel des Kinos geht zu Ende

Zum Tod des Regisseurs Abbas Kiarostami: Seine universalen Parabeln bewahrten ihn vor schärferer Repression in Iran - Abbas Kiarostami im Jahr 2014.

Seine universalen Parabeln bewahrten ihn vor schärferer Repression in Iran - Abbas Kiarostami im Jahr 2014.

(Foto: Joaquin Sarmiento/AFP)

Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami konnte wie kein anderer Alltagsszenen einfangen und in ihnen das Universelle sehen. Zum Tod eines Weisen des Kinos.

Nachruf von Tobias Kniebe

Wieder geht ein großes Kapitel des Kinos zu Ende. Und wie immer, wenn so eine traurige Nachricht kommt, denkt man zurück - an die Welt des Films, wie sie einmal war und nicht mehr ist. Es kommt einem wie gestern vor, und zugleich muss man einsehen, dass die Zeit vorangeschritten ist, mit einer Unerbittlichkeit, die man ihr dann doch nicht zugetraut hätte.

Der Moment, in dem das Werk des iranischen Filmemachers Abbas Kiarostami im Westen richtig sichtbar wird, ist so lange nun auch wieder nicht her. Das war 1989 beim Festival von Locarno. Dort lief sein Film "Wo ist das Haus meines Freundes?". Kiarostami, 1940 in Teheran geboren, ging damals schon scharf auf die fünfzig zu. Unter den Cinephilen der Welt aber war fast auf Anhieb klar: Hier ist einer der bedeutendsten Filmemacher seiner Zeit hervorgetreten, nach einer langen Phase der Arbeit fast im Verborgenen.

Große Filmemacher waren seine Fans, Kurosawa, Tarantino und Godard

Ein achtjähriger Junge in einer Dorfschule hat aus Versehen das Schulheft seines Klassenkameraden eingesteckt, er versucht es ihm wiederzubringen, bevor dem anderen am nächsten Tag eine Strafe droht - das ist die ganze Idee des Films, und eigentlich auch der ganze Plot: Wie dieser kleine Held insistiert, von Sorge getrieben, die Augenbrauen zwei bange Fragezeichen unter seinem drolligen Topfhaarschnitt, und dann wirklich losmarschiert ins Nachbardorf, in eine fremde Welt . . .

Abbas Kiarostamis Kamera begleitet diese Mission mit einer Ruhe, als gäbe es nichts Wichtigeres im Universum - und genau das war der Anspruch: dass auch im hinterletzten Dorf jeden Tag Geschichten passieren, die alle Facetten des Menschlichen umfassen, alle Erkenntnis, alle Freude, alles Leid. Allein die erste Einstellung! Der Wind bewegt die abgewetzte Dorfschultür sanft hin und her, während dahinter aufgeregte Kinderstimmen durcheinanderschnattern, mehr als eine Minute lang. Wer da nicht auf den Weg der Geduld, der Kontemplation und Entschleunigung zurückgeführt wird, der ist für ein bestimmtes Kino verloren - wie wohl die meisten heute.

Anfang der Neunzigerjahre aber war das noch nicht so, da gab es auch im Publikum noch den Wunsch, so gefordert zu werden - und bei den Cineasten sowieso. Bald wurde Kiarostami in den Pantheon der Allergrößten erhoben, nicht zuletzt von Kollegen, die schon dort waren. "Als Satyajit Ray starb", schrieb Akira Kurosawa, "war ich sehr traurig. Doch dann habe ich die Filme von Kiarostami gesehen, und ich dachte, dass Gott uns den richtigen Mann gesandt hat, um ihn zu ersetzen." Quentin Tarantino bekannte sich als Fan, und Jean-Luc Godard bemerkte: "Das Kino beginnt mit D. W. Griffith und endet mit Abbas Kiarostami." Was auch bedeutet, dass mit diesem Tod nun wirklich mehr zu Ende geht als ein erfülltes Künstlerleben.

Universale Motive statt die Wirren des Augenblicks

Könnte es so eine Karriere heute noch geben? Die Unschuld der zwanzigjährigen Lehrzeit, die Kiarostami geschenkt wurde, sicher nicht - fernab aller Aufmerksamkeit und Erwartungen. Er war Illustrator und Werbefilmer, als er 1969 am "Institut für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und jungen Erwachsenen" in Teheran angestellt wurde, mit dem Auftrag, eine Filmabteilung aufzubauen. Völlig selbstbestimmt zog er dann durch die Provinz, filmte Kinder und Laiendarsteller an realen Schauplätzen, erfand noch einmal seinen eigenen Neorealismus, steigerte sich ganz langsam von Kurzfilmen zu Spielfilmen. Erst dann war er, irgendwann, bereit für die Weltbühne.

Dort angelangt, kamen die Meisterwerke und Großpreise bald in schneller Folge. In der Landschaft seines ersten großen Erfolgs siedelte er zwei weitere Filme an, "Und das Leben geht weiter" und "Quer durch den Olivenhain", aber sie beuten das Muster nicht aus, sondern reflektieren eine Wahrheit, die bald unabweisbar war - dass man als Filmemacher nicht an derart entlegene Orte fahren kann, ohne dort die ganze Wirklichkeit zu verändern. Ein Thema, das er dann auch in "Der Wind wird uns tragen" wieder aufgegriffen hat, mit dem er in Venedig 1999 den Goldenen Löwen gewann. Zwei Jahre zuvor hatte er in Cannes schon die höchsten Ehren erfahren, mit der Goldenen Palme für "Der Geschmack der Kirsche". Das war der erste seiner Autofilme, die vor allem aus Fahren und Reden bestanden, während draußen die iranische Wirklichkeit in ihrer ganzen Lebendigkeit vorbeiglitt. Das variierte er in "Ten", dann folgten Experimente jenseits aller Erzählstrukturen, wie "Five" und "Shirin", schließlich noch Ausflüge in die Toskana ("Die Liebesfälscher") und nach Japan ("Like Someone in Love").

Stets hatte er dabei universale Motive im Blick, weniger die Wirren des Augenblicks. So konnte er in Iran bleiben, während viele Kollegen ins Exil gehen mussten, und arbeiten, während andere im Gefängnis saßen. Nur sehen konnten die Iraner seine Filme fast nie.

Warum er einzigartig bleiben wird, erkennt man heute nicht zuletzt an den Heerscharen seiner Epigonen. In einem Kinderschicksal im Nirgendwo die Welt zu finden, haben seither unzählige Filmemacher versucht - aber der wirkliche Zauber der Erkenntnis, der gehört eben doch den Pionieren, die ein Terrain zuerst für sich entdecken. Der Weg des kleinen Jungen jedenfalls, mit dem Kiarostamis Triumphzug begann, sei für immer auf unserer filmischen Landkarte abgelegt, schrieb Michael Althen einmal - "und wenn es so weit ist, werden wir wissen, wo das Haus unseres kleinen Freundes ist". Jetzt ist es so weit, für Abbas Kiarostami selbst. Wie Montagnacht gemeldet wurde, starb er in Paris, wo er wegen eines Krebsleidens in Behandlung war. Er wurde 76 Jahre alt.

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