Süddeutsche Zeitung

Zum Tod des großen Kameramanns:​Wie Michael Ballhaus der Kamera das Tanzen beibrachte

So elegant und frei wie er ließ kaum einer die Bilder gleiten. Den künstlerischen Höhepunkt erreichte der deutsche Kameramann in der Zusammenarbeit mit Martin Scorsese.

Nachruf von Julian Dörr

Es ist eine der schönsten Kamerafahrten der Filmgeschichte. Ach was, es ist eine der schönsten Szenen des Kinos überhaupt. Alles beginnt mit einem Handschlag, Geldschein und Autoschlüssel wechseln den Besitzern, die Musik setzt ein. Dann schwenkt die Kamera nach oben, wir sehen den Möchtegern-Mafiosi Henry Hill und sein Date für diesen Abend.

Gemeinsam überqueren sie die Straße, steigen die Treppen hinab in den Nachtclub Copacabana. Und die Kamera folgt ihnen. Durch die engen, verwinkelten Gänge, vorbei am Türsteher, an ungeduldig wartenden Gästen und gestressten Kellnern, durch die Küche und mitten hinein in den Club. Drei Minuten und drei Sekunden lang, eine einzige fließende Bewegung, keine Schnitte.

Michael Ballhaus hat diese berühmte Plansequenz fotografiert, für Martin Scorseses Gangster-Epos "Goodfellas". Nur acht Einstellungen hat er dafür gebraucht, acht Versuche. "Ich hatte keine Ahnung, was wir da gerade drehten", erinnert sich die Schauspielerin Lorraine Bracco, die in dieser Szene Henry Hills Date und zukünftige Frau Karen spielt. "Ich hatte noch nie zuvor eine Steadicam gesehen."

Eine Kamera, die mit Hilfe einer Tragweste und eines Gelenkarms vor dem Körper des Kameramanns schwebt. Ebenso frei und beweglich wie eine Handkamera, aber nicht so verwackelt. Ebenso elegant wie eine Kamerafahrt am Kran oder auf Schienen, aber nicht so eingeschränkt.

Michael Ballhaus hat die Kamera zwar nicht befreit, das waren andere Filmpioniere in den Jahrzehnten vor ihm, aber er hat ihr das Tanzen beigebracht. Keiner ließ sie so vollendet durch die filmischen Räume gleiten wie er.

Die Kamera dreht sich. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ein dreifacher Ballhaus-Kreisel

Als junger Mann durfte Ballhaus Max Ophüls bei den Dreharbeiten zu "Lola Montez" über die Schulter schauen. Die "kreisende Kamera" des großen Regisseurs faszinierte ihn. Sie sollte Ballhaus' Markenzeichen werden. Für Rainer Werner Fassbinders "Martha" filmte er 1974 zum ersten Mal in einer 360-Grad-Kamerafahrt um die Darsteller herum. Eine einzige Einstellung ohne Schnitte, die als "Ballhaus-Kreisel" bekannt werden sollte.

Eine Kunst, in der sich der Kameramann bald nur noch selbst übertreffen konnte. In "After Hours", seiner ersten Zusammenarbeit mit Martin Scorsese, lässt Ballhaus gleich in den allerersten Sekunden des Films die Kamera quer durch das ganze Großraumbüro des frustrierten Programmierers Paul Hackett fliegen.

Eine Bewegung, die Ballhaus anderthalb Stunden und einen kafkaesken Trip durch die New Yorker Nacht später, in der letzten Szene des Films wieder aufgreift. Paul sitzt in den frühen Morgenstunden wieder an seinem Platz. Zu klassischer Musik gleitet die Kamera durch das Büro, sie dreht sich um den Protagonisten, sie dreht sich um sich selbst. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ein dreifacher Ballhaus-Kreisel.

Männer, die durch ihr Leben treiben, wie Ballhaus' Kamera durch den filmischen Raum

1985 beginnt mit "After Hours" die produktive Arbeitsbeziehung zwischen dem Regisseur Scorsese und dem Kameramann Ballhaus. Ein Jahr später realisieren die beiden den Billardspielerfilm "Die Farbe des Geldes".

"Es gibt wohl keinen Scorsese-Film, in dem sich die Kamera so elegant bewegt", wird der Kulturkritiker Georg Seeßlen später schreiben, "und immer wieder nimmt sie die Bewegung der Protagonisten selber auf, die arrogante Vitalität von Tom Cruise, oder die gelassene Grandezza Paul Newmans."

Die künstlerische Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit aber ist "Goodfellas" aus dem Jahr 1990 und die berühmte Szene aus dem Nachtclub Copacabana. Hier verbindet sich die Ästhetik des Kameramanns Ballhaus mit der Erzählkraft des Regisseurs Scorsese. Denn die Männer in Scorseses Filmen sind Getriebene, unfertige Möchtegern-Kriminelle, die durch ihr Leben treiben, wie Ballhaus' Kamera durch den filmischen Raum. Sie umschwärmt diese Männer, die unbedingt etwas sein wollen, aber nichts sein können. So wie Henry Hill.

Als Hill die Treppen in den Nachtclub hinabsteigt und die Kamera mit ihm, beginnt der Sog. Die Kamera zieht uns in diese Welt, lässt uns sanft die Gänge entlang gleiten, durch das hektische Chaos der Küche, hinein in den Glamour des Clubs. Das ist die Welt, in die es Henry Hill drängt. Eine Welt, in der er endlich jemand ist. In der er mit den hübschesten Frauen ausgeht und in der die Kellner ihn hofieren. Eine Welt, in der sich alle Türen für ihn öffnen. Was wir sehen, ist der Traum eines Mannes. Und diesen Traum tanzt Ballhaus' Kamera.

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