Süddeutsche Zeitung

Zum Siegeszug der Grünen:Grüner wird's noch

Offenbar besteht Diskussionsbedarf über die Grünen und ihre Wähler: Wer sind die, was wollen die - und warum haben die auf einmal das Sagen?

Ruth Schneeberger

Die Weltlage geht zurzeit nicht gerade zimperlich um mit ihren Beobachtern: Kernschmelze in Japan, Krieg in Libyen, Unruhen und Umstürze in anderen Teilen der arabischen Welt, Wutbürger-Wahlen, zu Recht und zu Unrecht zurücktretende deutsche Politiker - und dann noch ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg: Woran soll man da noch glauben, welche Wahrheiten sind noch sicher?

Nun gelten also die Grünen in Deutschland als Wahlsieger, und eifrig macht man sich ans Analysieren: Wer sind ihre Wähler, warum sind es so viele, und sind unter den 20 bis 40 Prozent, in Freiburg bis zu 70, nicht ganz viele dabei, die eigentlich besser CDU und FDP wählen sollten, oder auch einfach die SPD?

Die Antwort lautet: ja und nein. Einfachere Antworten gibt es nicht mehr. Natürlich haben viele derjenigen, die früher ihr Kreuzchen bei den anderen Parteien gemacht haben, nun die Grünen gewählt. Weil die Öko-Partei nun einmal für den Ausstieg aus der Atomindustrie steht, die zurzeit wieder einmal die Welt bedroht. Weil im Zuge von Stuttgart 21 an eine breite Öffentlichkeit gedrungen ist, wie wenig die Bürger im Regelfall über politische Vorgehensweisen informiert sind - und wie viel sie bewirken können, wenn sie sich dafür interessieren.

Auf die Straße zu gehen, um für Transparenz und Bürgerbeteiligung zu demonstrieren, ob nun gegen Atomenergie, gegen Krieg, gegen ein umstrittenes Bauvorhaben, gegen Massentierhaltung oder für erneuerbare Energien und ein friedlicheres Miteinander, das hat es in Westdeutschland seit der 68er-Bewegung und seit den Anfängen der Grünen in den achtziger Jahren und der Anti-Atomkraft-Bewegung nach Tschernobyl in dieser Masse lange nicht mehr gegeben. Man kann sich auch einfach mal darüber freuen.

Das Jahr des Wutbürgers

Das Jahr 2010 also war das Jahr des Wutbürgers, des Protestes auch aus dem bürgerlichen Lager - und das missfiel vielen Kritikern, von Anfang an: Sie vermuten eine Überlagerung der doch eigentlich visionären Ideologien durch egoistische Partikulär- und Kleinbürgerinteressen.

Natürlich, auch die Grünen sind älter geworden. Und Konservative oder Liberale, die früher nie die Grünen gewählt hätten, ließen sich zumindest teilweise bekehren - in der Wahl ihrer Partei und in der Wahl ihrer Aussagen. Das liegt aber nicht nur daran, dass sie nun erkannt haben, dass die Ziele der Grünen mit ihren ureigensten Interessen vom Häuschen im Grünen deckungsgleich geworden wären. Sondern auch daran, dass ihr Wohlstand es ihnen ermöglicht, über Dinge nachzudenken, die über ihren eigenen Gartenzaun hinausreichen, um dem Gemeinwohl, der Zukunft und damit auch wieder ihren eigenen Kindern und Kindeskindern zu dienen.

Natürlich ist auch dies eine Folge des Wohlstands durch Kapitalismus, der es den Menschen ermöglicht, sich über Dinge außerhalb der Nahrungsbeschaffung Gedanken zu machen. Aber nicht nur und nicht immer. Schließlich sorgt der Kapitalismus auch dafür, dass sich die Menschen um noch viel mehr Dinge Gedanken machen müssen als sie eigentlich möchten und sollen müssten. Zum Beispiel über die Einzelheiten ihres Handy-Vertrags.

Es ist ungerecht, den Grünen vorzuwerfen, sie seien zugleich Nutznießer und heuchlerische Kritiker des gierigen Kapitalismus der westlichen Welt. Der Unterschied ist nämlich: Grüne wollten immer schon eine andere Politik als die bestehende.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Grünen als Partei nicht so wichtig sind wie ihr Gedanke.

Entstanden im Jahre 1980 als Zusammenschluss der Friedens-, der Frauen-, der Ökologie- und der Bürgerrechtsbewegung, hatten die Grünen von Anfang an vor, der herrschenden Politik etwas entgegenzusetzen, das anders ist: Mehr Transparenz, mehr Demokratie, weniger Personenkult, Politik näher am Bürger. Das kommt ihnen immer dann zugute, wenn die anderen Parteien sich besondere Unbill der Bevölkerung zugezogen haben, und nun verstärkt durch die aktuelle Weltlage und die Dringlichkeit ihrer ureigensten Themen.

Die Grünen nun daran messen zu wollen, wie gut sie die bisherigen Ministerpräsidenten nachahmen oder als ehemalige "Chaostruppe" nun plötzlich administrative Aufgaben erledigen wollen, bedeutet, ihr Prinzip nicht verstanden zu haben: Die Grünen wollen und sollen es anders machen, im Bestfall besser. Aber erst einmal anders. Denn so, wie es ist, ist es ihnen nicht gut genug.

Natürlich ist das, was dabei herauskommt, am Ende Politik: Da geht es um Macht, um Stimmen, um Posten und um das Bild in der Öffentlichkeit. Das aber spielt sich innerparteilich ab.

Ob etwa ein Joschka Fischer den Grünen insgesamt eher genutzt oder geschadet hat, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Der Stimmen- und Menschenfänger widersprach zutiefst dem Konzept der Grünen, Politik abseits von Personenkult zu betreiben. Er öffnete aber auf der anderen Seite Herzen, die den Grünen sonst niemals zugeflogen wären. Als unter ihm als Vizekanzler die rot-grüne Bundesregierung 1999 den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr seit Kriegsende im Kosovo unterstützte, rückten viele Stammwähler für immer von den Grünen ab.

Längst hat sich eine grüne Bewegung manifestiert, die unabhängig von der grünen Partei agiert: Die Nachfrage nach ökologisch verträglichen Lebensmitteln, Kleidung, Strom, Möbeln steigt stetig - und damit sinken die Preise der Anbieter. Konnten sich vor 20 Jahren tatsächlich nur die gutgepolsterten mittleren bis oberen Einkommensklassen den Einkauf im (damals noch winzigen) Bioladen leisten, so haben sich inzwischen nicht nur die Preise nach unten angeglichen, sondern ist vielen Verbrauchern das Geldausgeben für nachhaltige Produkte auch wichtiger geworden.

Traumtänzer und Stimmvieh

Sicher: Auf diesen Zug springen auch Unternehmen und Geschäftemacher auf, denen die Umwelt Wurst ist. Auch sie haben ihre Käufer, die für ihr fehlendes ökologisches Gewissen ein Feigenblatt benötigen. Doch die meisten mündigen Bürger, die grün denken, können diese Heuchler im Zuge der Informationsgesellschaft recht schnell entlarven. Jeder kann sich nun die Informationen suchen, die er braucht, um die Konsequenzen seinens Lebensstils zu überprüfen. Das mag anstrengend sein, aber es kann auch Spaß machen.

Die Grünen sind nicht die Partei der Egoisten. Dafür sind andere zuständig. Seit ihrer Gründung vor 30 Jahren sind hierzulande viele, auch politische, Anstrengungen unternommen worden, den CO2-Ausstoß zu minimieren, den Klimawandel wenn nicht zu stoppen, dann doch den verursachenden Lebenswandel zu korrigieren, die Flüsse zu säubern, über alternative Energiekonzepte zumindest nachdenken zu dürfen.

Natürlich kann nicht jeder Bürger der westlichen Welt in letzter Konsequenz alleine die Welt retten. Aber er kann viele kleine Schritte tun und sich vor allem Gedanken darum machen, wie er das am schlausten anstellt. Oder ist es altmodisch, nach dem Grundsatz zu leben, dass jeder sein Schärflein zum Wohl des Ganzen beiträgt, so gut er eben kann?

Viele der grünen Bürger wissen, dass sie in einem Dilemma leben - und sie versuchen gerade, dieses Dilemma aufzulösen. In kleinen Schritten, die ihnen möglich sind, und in großen Schritten, die die Welt bedeuten können. Das eine im Privaten, das andere in der Politik: Was ist falsch daran, zu probieren, weniger Fleisch bis gar keine tierischen Lebensmittel zu konsumieren, weniger Auto zu fahren, auf unnötige Flüge zu verzichten, zu duschen anstatt zu baden, beim Zähneputzen das Wasser nicht laufen zu lassen, Mehr-Generationen-Häuser zu errichten, sich über eine Energiepolitik Gedanken zu machen, die nicht in einem Super-GAU mündet, und bis dahin eben gegen Atomkraftwerke zu demonstrieren? In einer Stadt wie München gab es nie so viele vegane Restaurants wie heute, und das obwohl und weil der Pro-Kopf-Fleischverzehr der Deutschen höher ist denn je. Viele von ihnen bemühen sich um moderate Preise.

Wer die Grünen als Partei ansieht, die unrealistische Utopien in die Welt posaunt, um traumtänzerisches Stimmvieh einzufangen, verkennt den grünen Gedanken: die tatsächliche Vision von einer besseren Welt inklusive dem Wissen um die Schwierigkeit, sie zu umzusetzen. Er äußert sich mal innerhalb, mal außerhalb der Partei, aber er grünt und blüht und wächst seit der Gründung der Grünen stetig. Ob die Grünen weiter mit ihm wachsen, liegt an ihnen selbst. Die grünen Bürger werden nicht auf die Grünen warten.

Wenn nun vermehrt andere Parteien die ureigenen Ziele der Grünen in gemäßigter Form in ihre eigenen Parteiporgramme übernehmen, gibt das dem grünen Gedanken nur recht: In welcher Partei sich diese Ziele verfolgen lassen, ist fast schon egal. Hauptsache, sie werden umgesetzt - Schritt für Schritt. Denn anders geht es wohl nicht.

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