Zum Rücktritt von Guttenberg:Märtyrer für Soldaten und Volk

Wenn der Fall Guttenberg die Spaltung zwischen akademischen Eliten und populistischen Stimmungen verstärkt hat, ist das kein Grund für Triumphgeheul. Die deutsche Wissenschaft kann trotzdem ein wenig stolz sein.

Johan Schloemann

Nein, es hat nicht einfach "die Wissenschaft" den Minister gestürzt. Die Wissenschaft, so es sie überhaupt im Singular gibt, dürfte wissenschaftlich genug sein, um zu wissen, dass eigene politische Mechanismen die Politik bestimmen. Aber den Anteil des akademischen Protests am Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs zu unterschätzen, das hieße, jener luftdichten Abtrennung der politischen von der akademischen Sphäre das Wort zu reden, mittels derer die Unionsparteien bis zuletzt versucht haben, den Minister zu halten.

Buergermeister von Guttenberg

Haben sich nicht die Bild-Zeitungs-Leser mit Guttenberg solidarisiert, hat er sich nicht selbst noch beim Rücktritt in einer Dolchstoßlegende zum Märtyrer für Soldaten und Volk stilisiert?

(Foto: dapd)

In Wahrheit sind beide Sphären, Politik und Wissenschaft, nicht bloß durch den sehr idealistischen, aber immer noch schönen und wirksamen Gedanken Wilhelm von Humboldts miteinander verbunden, der Staat solle von den Universitäten "nichts fordern, was sich unmittelbar und geradezu auf ihn bezieht, sondern die innere Überzeugung hegen, dass, wenn sie ihren Endzweck erreichen, sie auch seine Zwecke und zwar von einem viel höheren Gesichtspunkte aus erfüllen".Nein, die Berührung ist in einer komplexer gewordenen Gesellschaft mit wachsenden Studentenzahlen eher enger geworden.

Was wohl Joachim Sauer sagt?

Professoren sind heute von der Bioethik bis zur Verkehrspolitik, von der Kultur- bis zur Gesundheitspolitik in die Entscheidungsfindung der Parlamente einbezogen. Die promovierte Bundeskanzlerin ist mit einem Professor verheiratet - was wohl der angesehene Chemiker Joachim Sauer zu Hause über die Plagiatsaffäre so gesagt hat?

Ein großer Anteil der Politiker hat selbst ein wissenschaftliches Studium durchlaufen, nicht wenige bis zur Promotion. In den Referaten der Bundesministerien sitzen lauter Doktoren, ebenso in den Abteilungen der Verbände und Lobbyorganisationen, die ihnen in Berlin spiegelbildlich gegenüberstehen.

Und Kurt Biedenkopf, dessen düstere Worte über Guttenberg neben der Erklärung des Doktorvaters einen wichtigen, vielleicht den entscheidenden letzten Anstoß zum Rücktritt gegeben haben, dieser Kurt Biedenkopf hat mit doppelter Autorität sein Urteil gesprochen: als gewichtiger, affärengeschulter Senior der Partei, aber auch als Professor der Rechte, der im Sturm von 1968 Rektor in Bochum war, einer der wichtigen Universitätsneugründungen der Nachkriegszeit.

Promovierte und Professoren machen ganz bestimmt nicht die bessere Politik; aber die gelegentlich aufflammende, seit Bismarck bekannte Professorenschelte fällt wohl gerade deswegen so heftig aus, weil viele politische Karrieren selbst von der Universität ausgehen, weil die Politik sich ganz ohne die akademischen Experten hilflos fühlt - weil sie zugleich aber ihre demokratisch legitimierte Autonomie selbstbewusst markieren muss.

Karl-Theodor zu Guttenberg musste nicht wegen wissenschaftlicher "Fehler und Versäumnisse" gehen (so immer noch in seiner Rücktrittserklärung), sondern weil sein gezielter Wissenschaftsbetrug aus seiner politischen Karriere ein Lügengebäude machte. Die Trennung der Sphären hat nicht funktioniert.

"Der Rücktritt macht uns ja nicht froh"

Die an den deutschen Universitäten arbeitenden Wissenschaftler hat das Verhalten einer Politik, die sonst gerne von Bildung und Exzellenz, Forschung und Innovation nicht nur redet, sondern daraus allerlei Reformexperimente ableitet, fassungslos gemacht. Deshalb die lauffeuerartigen Doktoranden- und Professorenaufrufe im Internet - und nicht, weil das Glück des Forschers darin läge, den Kopf eines Ministers zu erbeuten.

"Der Rücktritt macht uns ja nicht froh", sagte Oliver Lepsius, der Lehrstuhlnachfolger von Guttenbergs Doktorvater, am Dienstag der SZ. Es ging schlicht um die Mindestanforderungen des ehrlichen Erwerbs von formalen Qualifikationen, unter deren Geltung gute wissenschaftliche Arbeit überhaupt erst anfangen kann zu gedeihen.

Entsprechend kann die deutsche Wissenschaft vielleicht ein wenig stolz auf ihre klar vernehmliche Stimme in den letzten Tagen sein - eine hübsche Volte ist es übrigens, dass dabei auch Literaturwissenschaftler, die sich sonst am Tod des Autors abarbeiten, und Philosophen, die sich mit postmoderner Vernunftkritik beschäftigen, das jakobinische Wahrheitspathos der Aufklärung für sich wiederentdeckten -, aber einen Grund für Triumphgeheul gibt es nicht. Schlechte Dissertationen gibt es auch ohne Plagiatsversuch; es gibt auch schlechtere und bessere Professoren; und der Fall Guttenberg kann ein Anlass sein, die inflationäre Promotionspraxis zu überdenken.

Im größeren Rahmen hinterlässt der Fall die Sorge, die Spaltung zwischen akademischen Eliten und populistischen Stimmungen könnte verstärkt worden sein. Haben sich nicht die Bild-Zeitungs-Leser mit Guttenberg solidarisiert, hat er sich nicht selbst noch beim Rücktritt in einer Dolchstoßlegende zum Märtyrer für Soldaten und Volk stilisiert?

Der Bayreuther Jurist Oliver Lepsius, der unverhofft und unerwartet zum Medienstar wurde, ist da viel optimistischer: "Rechtstreue ist doch nichts Elitäres", das habe der schlussendliche Rücktritt gezeigt. Und die Akademiker hätten im Internet neue Formen der Zivilgesellschaft erfolgreich erprobt.

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