Zum Literatur-Nobelpreis:Die Verschwörer von Stockholm

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Was heckt die Schwedische Akademie diesmal aus? Es wäre nett, wenn mal ein Autor von Bedeutung den Nobelpreis erhielte.

Thomas Brussig

In vielen Jahren - nicht in diesem - fällt die Bekanntmachung des neuen Literatur-Nobelpreisträgers auf einen Buchmessendonnerstag. Gegen 13 Uhr befragen die Verlagsdirektoren ihre internetfähigen Handys. Doch die Becker-Faust des glücklichen Verlagsleiters, der eben noch ausrief: "Yep, wir haben ihn!", erlahmt mitunter schlagartig, wenn offenbar wird, dass er zwar die Rechte des gekürten Autors hat - aber nicht dessen Bücher auf der Messe. Peinlich für einen Verlag, wenn der seinem hässlichen Entlein aus dem Lieferverzeichnis die Verwandlung in den Schwan nicht mehr zutraute. Doch Häme ist unangebracht. Denn die Logik der Entscheidungen des Nobelpreis-Komitees lässt sich mit der eines Triebtäters vergleichen: Alle Opfer passen in ein gewisses Profil - aber vorhersagen lässt sich da nichts.

Thomas Brussig, 44, ist Schriftsteller. Zu seinen Werken gehören "Helden wie wir", "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" und "Wie es leuchtet". (Foto: Foto: Regina Schmeken)

Eines der großen Rätsel des Nobelpreises ist, dass er konsequent die bedeutendsten Autoren vernachlässigt, dies seinem Ruf als bedeutendste Auszeichnung der literarischen Welt aber nicht schadet. Im Gegenteil, die Willkür, mit der er waltet, scheint ihn noch mächtiger zu machen.

Nun mag es sein, dass mit einem großen Preis auch ein großer Autor entdeckt wird, dass sich die Welt in Dankbarkeit Richtung Stockholm verneigt - aber so ist es nicht. Selbst das begeisterungsfähigste Lesepublikum der Welt - das deutsche - fällt auf die undurchsichtigen Entscheidungen der Schwedischen Akademie nicht herein und reagiert in der Buchhandlung allenfalls mäßig. Der Deutsche Buchpreis hingegen, der jeweils zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse vergeben wird, konnte dem preisgekrönten Werk fast immer an die Spitze der Bestsellerliste verhelfen. Insofern ist dieser erst fünf Jahre alte Preis trotz seiner stets wechselnden Jury eine vertrauenswürdigere Marke als der mehr als hundertjährige Literatur-Nobelpreis.

Dass die Auszeichnung standfestes Gutmenschentum ehrt, ist nicht der Schwedischen Akademie anzulasten - das ist schon per Auslobung festgelegt. Alfred Nobel verfügte, dass immer derjenige Autor den Preis erhalten soll, der "das Beste in idealistischer Richtung geschaffen hat". Aber dass sich der Preis, der wohl gern Modernität ausstrahlen will, auf das kapriziert, was vor dreißig, vierzig Jahren modern war, gibt ihm einen altbackenen Beigeschmack. Und dass aus dem westlichen Kulturkreis vornehmlich Autorinnen und Autoren gekürt werden, die nicht zur ersten Riege gehören, scheint eine ganz perfide Form von Kulturchauvinismus zu sein: Der Westen kürt denn mal nur Autoren aus seiner Hemisphäre, vor denen sich auch der Rest der Welt nicht verstecken muss.

Im Jahr 2002 wetterte John Irving gegen die Akademie; er forderte geradezu den Nobelpreis für sich - nachdem ihn V. S. Naipaul bekommen hatte. Irving, der Naipauls Bücher kannte, fragte: "Was hat der, das ich nicht habe?" Überhaupt, was immer man in den Begründungen der Schwedischen Akademie lese - das treffe doch alles auch auf ihn, John Irving, zu. Sollte die Akademie Irvings Wutausbruch zur Kenntnis genommen haben, dann hat sie souverän reagiert - indem sie ihn in den Folgejahren mit noch größeren Zumutungen verhöhnte: Elfriede Jelinek (2004). Harold Pinter (2005). Oder Jean Marie Gustave Le Clézio (2008).

Gute, große Literatur richtet sich zunächst immer an Minderheiten. Ein Buch, das nach Mehrheiten schielt, stinkt. Dass der Nobelpreis nicht nachträglich Bestseller auszeichnen will, ist völlig in Ordnung. Aber Literatur wird nicht allein dadurch bedeutend, indem sie avantgardistisch, sperrig oder engagiert ist. Wenn ich wählen dürfte, ob ich mich lieber ein Jahr lang in eine Bibliothek mit Büchern von nobelpreisgekürten Autoren einschließen ließe oder von Autoren, die ihn eigentlich hätten kriegen müssen - ich wählte Letzteres.

Vor Jahren hatte ich in Peking eine Begegnung mit chinesischen Literaturstudenten. Die gestanden mir ihre über die Jahre gewachsenen nationalen Minderwertigkeitskomplexe, weil nie ein Chinese beim Nobelpreis berücksichtigt worden war - obwohl es doch in China so gute Autoren gebe. Wie gut müssen wir denn noch sein, um endlich diesen Preis zu bekommen?

Doch dann, endlich, bekam ihn im Jahr 2000 ein Chinese: Ein gewisser Gao Xingjian - der in China und Taiwan ebenso bedeutungslos war wie in Paris (wo er lebte) und Stockholm. Und dadurch, so sagten mir die Literaturstudenten, hatte sich der Preis für die Chinesen entzaubert. Wenn der diesen Preis kriegt, dann kann der Preis nichts wert sein. Dann tanzt die Literatur um ein goldenes Kalb.

Was sind das für Deppen?

Einige Entscheidungen der Schwedischen Akademie sind unumstritten nur in dem Sinne, dass sie auf einmütige Ablehnung gestoßen sind. Sie rücken die Akademie in den Fokus. Man fragt sich unwillkürlich: Was sind das für Deppen, die solche Entscheidungen fällen? Bei Gao Xingjian (der zweifellos der dickste Bock war, den die Schwedische Akademie in den vergangenen zehn Jahren geschossen hat) hieß es hinterher, dass dessen schwedischer Übersetzer Akademiemitglied sei.

Der Fall wurde aber nicht an die große Glocke gehängt - zum Glück, denn ich wittere einen Roman. So wie Dan Brown den Vatikan als Fassade und als Instrument mächtiger Interessen beschreibt, mach' ich es mit der Schwedischen Akademie. Die wird nämlich in Wirklichkeit ferngesteuert von einer RTL-Disney-Connection, die das Ziel hat, alle Menschen in Fernsehglotzer zu verwandeln. Die Verschwörer verfolgen den Plan, uns langweilige Bücher als "das Beste, das zwischen zwei Buchdeckeln steht" vorzusetzen; in der Hoffnung, uns die Literatur zu entfremden, auf dass wir aufhören zu lesen - und nur noch glotzen. Um das Offensichtliche halbwegs zu verschleiern, lässt man hin und wieder würdige Kandidaten wie Günter Grass, J.M. Coetzee oder Orhan Pamuk küren.

Mehr sollte ich an dieser Stelle nicht verraten, denn ich will diesen Stoff gleich mal selbst in die Tasten hacken. Und parallel die Verfilmung anschieben. Armin Mueller-Stahl spielt Horace Engdahl, den langjährigen Sekretär der Akademie, Corinna Harfouch kommt als Elfriede Jelinek, und Marcel Reich-Ranicki wird mit 'nem Komiker besetzt, am besten Didi Hallervorden.

Zuverlässig die bedeutendsten Autoren der Welt zu ehren, ist eine Aufgabe, die natürlich schier unlösbar ist. Doch es wäre der Schwedischen Akademie zu wünschen, dass sie in Zukunft auf einem höheren Niveau als dem bisherigen scheitert.

© SZ vom 7.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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