Zum 80. Geburtstag von Ismail Kadare:Unbeirrter Patriot

Zum 80. Geburtstag von Ismail Kadare: Anwalt der Unabhängigkeit Albaniens: Ismail Kadare.

Anwalt der Unabhängigkeit Albaniens: Ismail Kadare.

(Foto: Gali Tibbon/AFP)

Er ist die literarische Stimme des albanischen Patriotismus, weswegen ihm sein Land unbedingt zum Literaturnobelpreis verhelfen will. Geklappt hat es bisher nie. Jetzt wird Ismail Kadare achtzig Jahre alt.

Von Karl-Markus Gauss

Der am 28. Januar 1936 im südalbanischen Gjirokastra geborene Ismail Kadare ist einer der großen europäischen Erzähler unserer Zeit. In seinem vielbändigen, vielstimmigen Werk hat er eine unbekannte, hinter Mauern, Mythen und Vorurteilen verborgene Welt erkundet und Albanien der Weltliteratur erschlossen.

Seine Romane preisen den Stolz der Albaner, die Leidensfähigkeit eines kleinen, in seiner Geschichte mehrmals von der Auslöschung bedrohten Volkes, das er einmal als "die rebellischste aller Nationen" rühmte.

In seinem packenden historischen Roman "Der Schandkasten", der von einer Revolte gegen die jahrhundertelange Herrschaft der Osmanen handelt, heißt es gar: "Der Geist der Rebellion war so umfassend und unveränderlich wie das Klima des Landes."

Ismail Kadare ist ein unbeirrt patriotischer Autor, der mit den Mitteln der modernen Literatur einen uralten Auftrag der Epik wieder aufnehmen und fortführen möchte. Es gilt ihm, die großen Überlebensfragen des Stammes, der Nation im literarischen Bild zu gestalten und als Deuter, als Stifter von Identität auf das Kollektiv zurückzuwirken.

Widersprüchlich ist sein Unterfangen, moderne Stilformen zu benutzen, um die aus der Geschichte überkommene Identität seiner Nation zu erfassen, ja ihre Unbeugsamkeit vor den Mächtigen verschiedener Zeiten und Systeme zu verklären.

Magie und Realismus

Widersprüchlich ist freilich auch die Wirklichkeit jenes Landes selbst, dessen Chronik durch die Jahrhunderte Kadare zu schreiben versucht. Da existieren fremde Welten dicht nebeneinander, da prallen, oft in derselben Familie, ja, in der Seele eines einzigen Menschen, Kommunismus und Wunderglaube, laizistisches Recht und Kodex der Ehre, staatlich verordneter Atheismus und islamisches Lebensgefühl aufeinander.

Dass Kadare häufig Magie und Realismus vereint, hat also nicht nur mit seiner ureigenen künstlerischen Prägung und Begabung, sondern auch mit seiner Heimat zu tun, der er, von bewundernswerter Schaffenskraft bis ins Alter, seit bald sechzig Jahren Buch um Buch widmet.

Aus Magie und Realismus sind so grandiose Romane wie "Chronik aus Stein" gebaut, der 1971 auf Albanisch erschienen ist und später von Joachim Röhm ins Deutsche gebracht wurde, in dem Kadare seinen sowohl landeskundigen als auch sprachmächtigen Übersetzer gefunden hat.

In diesem meisterlichen Werk wird das grausame Geschehen, die wechselnde Besatzung einer Stadt während des Zweiten Weltkriegs, aus der Sicht eine Kindes gesehen und gedeutet, das manche Zusammenhänge der Erwachsenenwelt falsch versteht, andere dafür intensiver erlebt und fortwährend versuchen muss, die Zeichen des Krieges, auf die es überall stößt, in sein magisches Weltbild zu integrieren.

Den Diktator ins Überirdische entrückt

Viele Romane Kadares haben ihr historisches Sujet in jener Epoche, da Albanien eine unterworfene, indes nie völlig befriedete osmanische Provinz war. Die bizarre Bürokratie der Osmanen, die allgegenwärtige Despotie, das ausgedehnte Spitzelwesen, die Rätselhaftigkeit der bald belohnenden, bald strafenden Macht - in all dem, was er der osmanischen Herrschaft anlastet, hat Kadare verschlüsselt wohl auch Kritik am albanischen Stalinismus geübt.

Dass er sich in einem Staat, in dem Lyriker wie Visar Zhiti für ein einziges Gedicht jahrelang ins Lager gesperrt wurden, nicht als Held des Widerstands hervorgetan hat, mag ihm ankreiden, wer aus sicherer Entfernung gerne mit seiner moralischen Überlegenheit renommiert. Auch dass er in etlichen Romanen den einsamen Weg des kommunistischen Albanien rühmte, spricht nicht rundweg gegen ihn.

Das epische Kolossalgemälde "Der große Winter", das 1977 den folgenreichen Beschluss der albanischen KP feiert, lieber die weltpolitische Isolation zu wählen, als sich weiterhin von der Sowjetunion bevormunden zu lassen, ist eher ein Hohelied auf die nationale Souveränität denn auf den Stalinismus.

Freilich finden sich nicht nur in diesem Roman Miniaturen, die den Diktator Enver Hoxha ins Überirdische entrücken und mit der legendenumwobenen Gestalt Skanderbegs, des ewigen Widerstandskämpfers aus dem 15. Jahrhundert, überblenden.

Problematischer ist, dass Kadare post festum von all dem nichts mehr wissen wollte und seinen Büchern später eine antikommunistische Stoßrichtung zusprach, die sie keineswegs hatten. Und in der kuriosen politischen Schrift "Albanischer Frühling" versuchte er sich 1991, nach dem Sturz des Regimes, gar zum obersten Dissidenten, zum gefährlichsten Feind Enver Hoxhas zu stilisieren, zu dessen Personenkult er doch manches beigesteuert hatte.

Manchmal in nationalistischer Enge

Für ihn war der bizarre Führer, der Abertausende ermorden ließ, die längste Zeit eben doch jene historisch verdienstvolle Persönlichkeit, in deren Herrschaftsjahren Albanien zur Nation wurde, an deren Existenz keiner mehr zweifelt, und zu einem Staat, dessen Souveränität niemand infrage stellt.

Sein Patriotismus hat Kadare manchmal in die nationalistische Enge geführt und zu heftigen Attacken auf die slawischen, zumal die serbischen Nachbarn gereizt. Vehement behauptet er seit Langem, dass ausgerechnet die Albaner die einzige ureuropäische Nation des Balkans wären.

Das hat ihn in den letzten Jahren auch zum kompromisslosen Kritiker der neoosmanischen Ideologie werden lassen, mit der die Türkei neuerdings die osmanische Zwangsherrschaft über den Balkan wider jede geschichtliche Realität zur goldenen Ära umzufälschen trachtet.

Der künstlerische Rang Ismail Kadares ist unbestreitbar, als Verfasser vieler grandioser Erzählwerke gebührten ihm alle Ehrungen und Auszeichnungen, die es für Schriftsteller nur gibt. Dass er jenen einen Preis nicht erhalten hat, der in Stockholm vergeben wird, haben vielleicht gerade diejenigen verschuldet, die ihm unbedingt dazu verhelfen wollten: Allzu nachdrücklich hat Albanien zu kommunistischen wie postkommunistischen Zeiten vermittelt, dass der Nobelpreis für Kadare nachgerade eine Staatsangelegenheit wäre, eine längst fällige Auszeichnung nicht nur für einen großen Schriftsteller, sondern für Staat und Nation.

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