Süddeutsche Zeitung

Zum 70. Geburtstag von Neil Young:Verschwende deine Rente!

Er meinte, die Zukunft des Autos, der Tontechnik, der freien Rede und mehr allein schultern zu müssen. Nun wird Rocker Neil Young siebzig.

Von Karl Bruckmaier

Um Neil Young zu seinem 70. Geburtstag zu gratulieren, reicht es schon, ihm die Titel einiger seiner Songs zuzurufen: "Long May You Run, Neil!", "Keep on Rocking in the Free World, Alter!", "Forever Young": Mögen deine Lieder auf immer gesungen werden, wie Bob Dylan in dieser auch von Neil Young angestimmten Hymne aus den frühen Siebzigerjahren gedichtet hat.

Nun, auf immer ist ein langer Zeitraum, aber ein Weilchen werden sie schon noch mit uns sein, auch die ersten Gehversuche mit Buffalo Springfield, seiner ungestümen Country-Rock-Band.

Doch hier muss die Zusammenfassung von Youngs Karriere auch schon gleich für eine der zahllosen Neil-Anekdoten unterbrochen werden: Es ist Sommer. Neil Youngs Schrottkiste, ein ehemaliger Leichenwagen, steht im Stau auf dem Sunset Boulevard. Ein Kanadier auf großer Fahrt. In der Gegenrichtung steht ein Wagen mit Stephen Stills hinter dem Lenkrad und Ritchie Furay auf dem Beifahrersitz. Man kennt sich, man erkennt sich wieder, der Rest ist "Mr. Soul" und "For What It's Worth".

Die Musiker mochten dann auch gemeinsam in ein altes Blechvehikel passen, ihre Egos passten in keine noch so erfolgreiche Band. Crosby, Stills, Nash & Young verzauberten mit ihren bis heute unvergleichlichen Harmoniegesängen Millionen Fans, doch in der Truppe herrschte die Harmonie nicht.

Young war mal dabei, mal draußen, seine Solokarriere nahm parallel dermaßen Fahrt auf, dass niemand aus dem Stand die Namen all seiner Begleitbands aufzählen kann: The Rockets, Crazy Horse, The Stray Gators, The International Harvesters, The Bluenotes, The Squires, Promise Of The Real . . .

Doch um Neil herum begann das große Sterben in Hippieland. Neil Young betrauerte seine verstorbenen und sterbenden Freunde - "The Needle and the Damage Done" - mit immer depressiver wirkenden Alben, schon damals jedes Marktgesetz ignorierend.

Er meinte, die Zukunft des Autos, der Tontechnik, der freien Rede allein schultern zu müssen

Einer seiner Labelbosse erinnert sich mit Grauen, dass Young auf einer Tournee nur neue Songs spielte, keinen einzigen Hit von früher. Als er nach dem Konzert hinter die Bühne kommt, wird er von diesem Geschäftsmann zur Rede gestellt: Er solle gefälligst hinausgehen und etwas spielen, das die Leute bereits kennen.

Young geht erneut auf die Bühne und spielt dasselbe Set noch mal. Denn jetzt würden die Zuschauer diese Songs ja bereits kennen. Ein Act mit schlechter Laune: Geht doch! Wie Dylan, wie Lou Reed, wie wenige andere nahm (und nimmt) sich dieser Millionenseller die Freiheit, nach seiner eigenen Façon selig zu werden, ohne zahlungskräftige Sponsoren, ohne ausgefuchste Studiotechnik, ohne Business-Plan.

In den späten Siebzigern hellten sich die Töne dann wieder auf, "Hey Hey, My My": Punk wurde zur Inspirationsquelle, nicht zur Bedrohung, und das Unfassbare, mit zwei verschiedenen Frauen zwei Kinder mit derselben, nicht von Vaterseite vererbbaren Behinderung zu zeugen, machte Neil Young offenbar entschlossener, auch an dieser Front zu kämpfen, mit einer speziellen Förderschule, mit einer Stiftung, mit Benefizkonzerten.

Doch ein Freiheitskonzept, welches verheißt, dass jede Freiheit jederzeit zusteht, steigt auch einem Neil Young zu Kopf: Mal knarzte er am Reaktionär vorbei, mal meinte er, die Zukunft des Automobils, die Zukunft der Tontechnik, die Zukunft der ökologischen Vielfalt, die Zukunft der freien Rede allein schultern zu müssen, alles in ein paar Wochen, so wie er halt auch seine ungezählten Alben aufnimmt - doch stopp! Wieder Anekdotenzeit!

Wie auch Joni Mitchell wird Neil Young von seinem Label Geffen Records in den Achtzigerjahren, als die Verkaufszahlen lahmen, ermahnt, doch bitte wieder typische Alben abzuliefern und keine Synthesizer-Experimente oder ähnlichen Quatsch.

Er nimmt daraufhin ein grottiges Rockabilly-Album auf, dann noch eine nicht viel bessere Country-Platte und droht, immer so weiterzumachen, dann sei dies typisch für ihn und sein Vertrag somit erfüllt.

Nun, Geffen ließ ihn ziehen, und nach einem kurzen, heftigen Flirt mit Rhythm & Blues - in dieser Woche erscheint mit "Bluenote Café" endlich eine Live-Platte aus jenen Tagen - brach eine neuerliche Hochphase in seiner Karriere an: Young wurde zum Paten des Grunge, nahm mit Pearl Jam eins seiner besten Alben auf ("Mirror Ball"), und auch seine Konzerte und Platten schienen zu versprechen, dass "Forever Young" mehr sei als bloß ein frommer Wunsch.

Nun haben wir gerade vom Büchner-Preisträger Rainald Goetz gehört, dass das Altern der Kunst und dem Handwerk nicht unbedingt zuträglich sei. Daraus mag man schlussfolgern, dass irgendwann die Zeit des Schweigens gekommen sein wird oder eine Zeit, in der es klug ist, kreative Hilfestellung anzunehmen.

Die Einsicht in die eigene Unfehlbarkeit sei ihm vergönnt

Ein Johnny Cash hat sich diese Hilfe bei Rick Rubin, dem Produzenten seines Alterswerks, geholt. Lou Reed ließ sich von Laurie Anderson vermenschlichen. Bob Dylan schiebt die Ideen seines Exegeten Greil Marcus wie einen intellektuellen Rollator vor sich her - nur Neil Young scheint aufbrausend, jähzornig, unbelehrbar wie eh und je.

Mit jeder Platte entfernt er sich von einst selbst gesetzten Standards, und wenn es einen Wunsch an diesen Unverbesserlichen, diesen in so vielem nicht zu Verbessernden geben kann, dann den, dass ihm die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit vergönnt sei. Verschwende deine Rente, möchte man ihm zurufen. Mit Autos, mit Datenreduktionsklimbim, mit Modelleisenbahnen oder was auch immer.

Schlussanekdote: Wenige Monate nach dem Mauerfall spielt Young, begleitet von Booker T. & the MGs, ein Open Air irgendwo in Franken. Neben mir steht ein junger Mann aus der damals noch existierenden DDR, der sich zum Schutz vor dem Regen in eine große Plastiktüte gehüllt hat. Auf ihr ist zu lesen: "Test the West!" Du bist hier richtig, dachte ich, "Test the West": Besser wird's nicht.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2015
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