Zum 70. Geburtstag von Anselm Kiefer:Man erwartet immer noch Großes von ihm

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Als 2011 das Museum Frieder Burda in Baden-Baden Werke von Anselm Kiefer zeigte, setzte sich der vor sein Gemälde "Der fruchtbare Halbmond" (2009). (Foto: dpa)

Je größer die Umgebung wurde, desto gewichtiger wurden seine Werke: Anselm Kiefer hat sich wie kein anderer deutscher Künstler mit den Schrecken und den Mythen der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Nun wird er 70.

Von Thomas Steinfeld

Es ist nicht weit von Donaueschingen, wo Anselm Kiefer am 8. März 1945 im Luftschutzkeller eines Krankenhauses geboren wurde, bis in das Dorf bei Rastatt, wo er seine Jugend verbrachte. Und von dort sind es nicht viele Kilometer nach Freiburg, wo er, in seltsamer Kombination, ein Studium der Rechtswissenschaften und der Romanistik begann.

Und schließlich liegt auch Karlsruhe in der Nachbarschaft, wo Anselm Kiefer bis 1969 an der Akademie studiert hat. Danach trug es ihn hinaus in die Welt, nach Düsseldorf und in den Odenwald und dann weiter nach Südfrankreich und nach Paris, bis er in der ganzen Welt als deutscher Künstler bekannt war.

Anselm Kiefer hat der Kunst einen Ausweg eröffnet

Und je größer und weltläufiger die Umgebung wurde, desto gewichtiger wurden die Werke, so sehr, dass sie oft aus allen Rahmen herauszufallen drohen, um sich irgendwo niederzulassen, dauerhaft und unverrückbar - wie die Zweige in Gips oder die Bücher aus Blei. Nur liegt dieser Ort weder in Donaueschingen noch am Oberrhein, sondern irgendwo auf dem Globus, und vermutlich ist das Werk, so gewaltig es ist, doch transportabel.

Mit keinem anderen deutschen Künstler, Gerhard Richter ausgenommen, haben sich Kunstbetrieb und Kunstkritik auf der ganzen Welt so beschäftigt wie mit Anselm Kiefer. Das hat durchaus etwas mit der Größe und dem Gewicht dieser Werke zu tun. Der erste Grund dafür ist ein kunsthistorischer: Seit die Kunst vor hundert Jahren abstrakt wurde, scheint der Weg zurück ins Figurative versperrt zu sein. Anselm Kiefer aber wollte ihn gehen.

Der Ausweg, den er der Kunst eröffnete, nachdem er im Jahr 1971 zunächst mit seinem ultrabreiten Gemälde "Märkische Heide" international für Aufsehen gesorgt hatte, führt in den Stoff und ins Stoffliche. Stroh, Sonnenblumen, Sand, Blei, Holz, Äste, Erde - Anselm Kiefer hat, eher als dass er malte, seinen Bildern Stoffe einverleibt.

Bis die Leinwände - von Anfang an groß zugeschnitten - Zwitter wurden zwischen Gemälden und Skulpturen, in hohem Maße physische Gebilde, in denen ganze Lebenswelten aufgehoben sein können. Und immer scheint zu viel Stoff da zu sein, als dass man ihn tatsächlich bewältigen könnte.

Der zweite Grund ist die Geschichte. Von Joseph Beuys, seinem Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie, hatte Anselm Kiefer die Begeisterung für die scheinbar würdelosen Materialien übernommen. Was für jenen Fett, Talg und Filz gewesen waren, ist für diesen das Holz, der Lehm und das Blei.

Beide nutzen diese zweifelhaften Stoffe, weil sie Geschichte bergen, oder weil die Geschichte an ihnen in einer viel intensiveren Weise hängen bleibt als an den Materialien der Repräsentation: Es ist das Historische, das in der Materie gelebte Leben, das den Stoffen ihre Energie verleiht.

Bei Anselm Kiefer bleibt alle Geschichte als Verhängnis erhalten

Doch wenn Joseph Beuys eine Straßenbahnhaltestelle aufstellt, um Lebenserinnerungen in "Selbstbestimmung" zu verwandeln, dann will er sich und den Betrachter von der Geschichte erlösen; bei Anselm Kiefer aber gibt es keine Befreiung. Im Jahr 1973 wird er die fast sieben Meter breite, mit Sackleinen verstärkte Leinwand "Deutschlands Geisteshelden" malen. Als lang gestrecktes, düsteres Dach-Gebälk, in das Namen wie Friedrich Hölderlin, Adalbert Stifter, Richard Wagner und Theodor Storm eingeritzt sind, in schlichter Schrift, von flackernden Feuern beleuchtet. Beuys war der einzige Lebende unter ihnen.

Bei Anselm Kiefer bleibt alle Geschichte als Verhängnis erhalten, und je tiefer er sich in die Geschichte hineinarbeitet, in den historischen Schrecken und in den Mythos hinein, desto verhängnisvoller - und desto faszinierender - wird sie. Auch für dieses Verhängnis steht das Übermaß an Stoff. Denn der dritte Grund schließlich ist das Motiv der Macht. Anselm Kiefer ist ein Künstler der Bemächtigung, ein Macher, einer, der sich der Dinge und Stoffe bemächtigen will - und der dann erfährt, dass sie sich nicht befehlen lassen: Als junger Künstler reiste er durch Europa und hob - für die Kamera - den Arm zum Hitlergruß.

Doch die "Besetzungen" bannten die Geschichte nicht. Die Dinge und die Stoffe blieben, und je größer und schwerer sie werden, desto mächtiger werden sie. An den Objekten von Anselm Kiefer - vor allem den bleiernen Flugzeugen mit ihren hängenden Tragflächen - sieht man beides: den Versuch der Überwältigung und das, was diesem Versuch widersteht.

Und wenn die Dinge ganz groß werden, so in Gestalt des Sternenhimmels , dann hören sie, in ihrer Allgewalt und in ihrer Distanz zum Betrachter, fast auf, Dinge zu sein. Kiefer setzt, ganz klein, die Bezeichnung der Sterne darunter, so wie in der Astronomie, in Gestalt von Ziffern und Buchstaben. Es ist das nicht zu Bewältigende, das sich dann Ausdruck verschafft.

An diesem Sonntag wird Anselm Kiefer, der Deutschland im Jahr 1980 auf der Biennale in Venedig vertreten hat und dreimal zur Documenta eingeladen war, siebzig Jahre alt. Unter all den Auszeichnungen, die er für sein Werk erhielt, fällt der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auf, den er im Jahr 2008 entgegennahm, als erster bildender Künstler überhaupt. Es wäre ironisch zu sagen, man erwarte noch Großes von ihm. Aber es trifft ja zu, in jedem Sinne.

© SZ vom 06.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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