Zum 20. Todestag des Autors Richard Yates:Die Kunst des Scheiterns

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Richard Yates war das Vorbild einer ganzen Schriftstellergeneration Amerikas. Langsam wird der große amerikanische Menschenkenner und Stilist aber auch hierzulande bekannt. Nicht zuletzt dank der Einführung in sein Leben und Werk von Rainer Moritz.

Meike Fessmann

Sieben Romane und zwei Erzählungsbände umfasst das schmale Werk von Richard Yates, dessen Stil jeder bewundert, der sein Augenmerk darauf lenkt. Denn ohne dass man eigens darauf achtet, bemerkt man ihn gar nicht. So unangestrengt kommt er daher, so beiläufig und sicher. In der Prosa des Richard Yates drängt sich die Sprache nicht in den Vordergrund. Sie steht im Dienste der Figuren, schmiegt sich ihren Innenwelten an, erwächst aus Dialogen und erhält ihre Dyna-mik aus dem Wechselspiel von hoher Erwartung und Desillusionierung.

In "Baumeister", der letzten Erzählung seines ersten Erzählungsbandes mit dem charakteristischen Titel "Elf Arten der Einsamkeit" ( 1962), lässt sich ein Schriftsteller in Geldnöten von einem Taxifahrer als Ghostwriter anheuern. Und diese Erzählung, einer der wenigen selbstironischen, in der ersten Person erzählten Texte des Autors, enthält in nuce die Tragik seines Schriftstellerlebens. Aus dem Rückblick von dreizehn Jahren auf das Jahr 1948 erzählt sie vom Zwiespalt zwischen dem hohen Anspruch an sich selbst - die Messlatte verkörpert zunächst noch Hemingway, später werden es Flaubert und Fitzgerald sein - und den Niederungen der Ebene.

Während der Taxifahrer stolz allerlei Unsinn über das Geschichtenerzählen von sich gibt - es sei wie Häuserbauen, man müsse beim Fundament beginnen und sich dann Stockwerk für Stockwerk nach oben arbeiten -, redet sich der Schriftsteller ein, sein Auftraggeber habe "etwas von der Schwierigkeit und dem Wert von Verdichtung in Prosatexten" verstanden. Er verbringt Tage damit, einen falschen Anfang nach dem anderen zu produzieren. Als er seine Probearbeit schließlich abliefert, erhält er nur ein Fünftel des in Aussicht gestellten Honorars. Doch selbst unter diesen Bedingungen lässt er sich auf die Zusammenarbeit ein. Das im Entwurfsstadium verharrende Romanprojekt muss aufgeschoben werden. Und daraus ergibt sich, was sich im Leben von Richard Yates oft wiederholen sollte: "dass es nur langsam voranging, vergrößerte das Versprechen seiner schließlichen Großartigkeit".

Bei aller Zeitdiagnostik stets unmodisch

Das führt immer wieder zu Blockaden. Zwischen seinem gefeierten Debüt von 1961, dem Roman "Revolutionary Road" ("Zeiten des Aufruhrs"), der nicht zuletzt durch Sam Mendes' Verfilmung mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio auch hierzulande seine Leser fand, und dem zweiten Roman, "A Special Providence" ("Eine besondere Vorsehung"), vergingen acht Jahre. Richard Yates steht mit seinem Leben und seinem Werk für eine Entwicklung, die in den fünfziger Jahren begann und mittlerweile wohl ihren Zenit erreicht hat: die Aufspaltung des Individuums in eine reale Person und in das Bild, das es von sich entwirft, den Images der Film- und Werbeindustrie nachgebildet, denen es niemals genügen kann.

Frank und April Wheeler, das scheiternde Ehepaar aus "Zeiten des Aufruhrs", sind Prototypen dieses Prozesses. Sie leben in der Vorstadt, die sie zugleich ver-achten, weil sie meinen, zu Höherem geboren zu sein. Und jeder sieht am anderen, dass er seinem übersteigerten Selbstbild nicht genügt. Diese wechselseitige Desillusionierung, das Durchschauen des Scheins des anderen, ist das Grundmuster in Yates' Werks. Es wurde ihm in die Wiege gelegt.

Beide Eltern des am 3. Februar 1926 in Yonkers, New York, geborenen Schriftstellers hatten künstlerische Ambitionen. Sein früh verstorbener Vater wäre gern Sänger geworden und verdiente sein Geld als Verkaufsleiter von Mazda-Glühbirnen. Seine Mutter verstand sich als Künstlerin und zog nach der Scheidung im Jahr 1929 mit ihren beiden Kindern von einer schäbigen Wohnung in die andere. Von ihr haben Richard und seine fünf Jahre ältere Schwester Ruth die Trunksucht geerbt.

Ruth starb mit nicht einmal siebenundvierzig Jahren. Bei ihrem Bruder kam zum Alkoholismus und psychischer Krankheit noch eine Lungenerkrankung hinzu, die er sich als junger Soldat im Zweiten Weltkrieg zugezogen hatte und durch exzessives Rauchen so sehr verschlimmerte, dass er schließlich von einem Sauerstoffgerät abhängig war. Als er am 7. November 1992 in Birmingham, Alabama, starb, hatte er immerhin ein Alter von sechsundsechzig Jahren erreicht - und ein Werk geschaffen, das die Grundkonstellation seiner Herkunftsfamilie und seine beiden gescheiterten Ehen in immer neuen Variationen zu Geschichten ausformt, die auch zwanzig Jahre nach seinem Tod nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben.

Literarische Moden waren diesem bei aller Zeitdiagnostik stets unmodischen Schriftsteller zutiefst suspekt. Als Ende der 1960er Jahre "metafiktionale" Auto-ren wie Donald Barthelme, William Gass oder John Barth die Aufmerksamkeit auf sich zogen, goss er seinen Spott über die Kollegen aus. Wie einer der Verspotteten, der sechs Jahre jüngere Robert Coover, lehrte Yates "Creative Writing" an der University of Iowa, das war eine der zahlreichen Lehrtätigkeiten, mit denen er sein Geld verdiente, nachdem er zuvor für die Nachrichtenagentur United Press und den Computerhersteller Remington Rand gearbeitet hatte sowie Reden für den Justizminister Robert Kennedy schrieb.

Auch ein großer Menschenkenner

Die Deutsche Verlags-Anstalt macht sich seit einigen Jahren um die Edition des Werks von Richard Yates verdient, der auch in seinem Heimatland nach seinem Tod rasch vergessen wurde. In einem flammenden Essay wies Stewart O'Nan 1999 darauf hin, dass die Bücher von Yates vergriffen sind. Er fürchtete, der von Kollegen wie Raymond Carver, Alice Munro, Joyce Carol Oates, Andre Dubus, Tobias Wolff, Cormac McCarthy und Richard Ford bewunderte Autor könnte für immer ein "writer's writer" bleiben. Doch die Verlage begriffen, dass die Stunde von Yates kommen würde. Denn dieser Autor ist nicht nur ein Maßstäbe setzender Stilist, sondern auch ein großer Menschenkenner, dessen Bücher dem Leser keine Hindernisse in den Weg stellen. Und er hat früh das visuelle und elektronische Zeitalter begriffen, das den existentiellen Grundsituationen einen neuen Stempel aufdrückt.

Mittlerweile sind fünf seiner Romane auf Deutsch erschienen sowie beide Erzäh-lungsbände. Wer bis zum Erscheinen der letzten beiden Romane, "Young Hearts Crying" (1984) und "Cold Spring Harbor" (1986), Werk und Leben von Richard Yates näher kennenlernen möchte, dem sei die Monographie von Rainer Moritz empfohlen. "Der fatale Glaube an das Glück" ist eine gut erzählte Einführung, die keinen Hehl daraus macht, dass sie Blake Baileys großer Biographie "A Tragic Honesty. The Life and Work of Richard Yates" viel verdankt. Das schadet nicht. So hat Rainer Moritz, Kritiker, Autor und Leiter des Hamburger Literaturhauses, die Hände frei, um seinen Stoff höchst anschaulich zu gestalten.

Rainer Moritz: Der fatale Glaube an das Glück. Richard Yates - sein Leben, sein Werk. DVA, München 2012. 208 Seiten, 19,99 Euro.

© SZ vom 07.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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