Zum 11.11.: Karneval und Faschismus:Zum Totlachen

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Frohsinn und Faschismus: Der Historiker Carl Dietmar bricht ein Kölsches Tabu - und spricht über die Verknüpfungen der Nazis mit den Narren.

Jochen Arntz

Die Männer auf dem Karnevalswagen waren als orthodoxe Juden verkleidet, sie trugen lange Bärte und Hüte. Über ihnen hing das Schild: "Die Letzten ziehen ab." Das war 1934, im Kölner Rosenmontagszug. Als der Historiker Carl Dietmar vor Jahren ein Bild dieses Umzugs sah, begann er, in Archiven ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte zu recherchieren - die Vereinnahmung des Karnevals durch die Nationalsozialisten.

Eine Hitler-Parodie beim traditionellen Rosenmontagszug 2007 in Düsseldorf - früher haben viele Jecken bei seinem Anblick und in seinem Namen strammgestanden. (Foto: AP)

SZ: Herr Dietmar, im Deutschen Historischen Museum wird gerade die Geschichte Adolf Hitlers präsentiert, auch das Auswärtige Amt arbeitet seine Vergangenheit auf - und nun erklären Sie den Kölnern mit Ihrem Buch Alaaf und Heil Hitler auch noch, dass der Karneval dem Dritten Reich nicht fremd war. Wer will das denn am Rhein hören?

Carl Dietmar: Nicht viele, da haben Sie recht, aber es geht ja nicht nur um den rheinischen Frohsinn. Mein Historikerkollege Marcus Leifeld und ich haben untersucht, wie die Nationalsozialisten im ganzen Land dieses Brauchtum im Sinne ihrer Volksgemeinschaft instrumentalisierten - und wie sich die Karnevalisten instrumentalisieren ließen. Am Beispiel des Karnevals kann man sehr gut aufzeigen, wie die nationalsozialistische Durchdringung der deutschen Gesellschaft nach 1933 funktionierte. Der Titel unseres Buchs ist übrigens ein zeitgenössisches Zitat - wir haben es einer Postkarte entnommen, die ein Besucher des Kölner Karnevals am Rosenmontag des Jahres 1939 nach Erfurt schickte.

SZ: Hieß es nicht gerade in Köln immer, dass die Karnevalisten sich nicht mit den Nazis eingelassen haben?

Dietmar: Ja, an dieser Legende delektieren sich die Kölner. Der Karneval hat ja auch in Köln eine größere Bedeutung für die Stadtgesellschaft als etwa der Fasching in München. Denn Köln hat infolge seiner Geschichte als freie Reichsstadt keine höfische Kultur entwickelt.

SZ: Gab es denn Widerstand im Kölner Karneval?

Dietmar: Nur ganz vereinzelt. Karneval in der NS-Zeit war lange das Kölsche Tabuthema schlechthin. Historiker haben zwar in jahrelanger Kleinarbeit den Mythos vom Bollwerk des Widerstands demontiert, das Köln angeblich gewesen sein soll. Aber in Karnevalskreisen konnte man immer noch auf die berühmte Narrenrevolte des Jahres 1935 verweisen. Da schafften es die Jecken, der Gleichschaltung zu entgehen, unter sich zu bleiben und nicht von der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) vereinnahmt zu werden. Doch bei dieser Revolte ging es nur um organisatorische Fragen.

SZ: Und inhaltlich?

Dietmar: Da hatten sich die Karnevalisten auch in Köln längst den Vorgaben der Machthaber angepasst: So wurden die bereits entrechteten Juden in den Umzügen und auch in Büttenreden verhöhnt und verspottet, wie viele Fotos und Manuskripte belegen. Selbst die Nürnberger Rassengesetze wurden im Kölner Rosenmontagszug höhnisch kommentiert.

SZ: Wie sah es in anderen Karnevalsstädten aus?

Dietmar: Unterschiedlich. In Mainz wurden zum Beispiel im Jahr 1937 noch außerordentlich intelligente, systemkritische Büttenreden gehalten, so dass man sich fragt, warum der eine oder andere Redner nicht hinter Gittern landete. Der Düsseldorfer Festkomitee-Präsident wurde 1943 mit dem Fallbeil hingerichtet, zwar nicht wegen Äußerungen in der Bütt - aber letztlich war er wegen kritischer Töne im Karneval ins Visier der Nazis geraten.

SZ: Und was geschah in München?

Dietmar: Dort wurde der Fasching so schnell und umfassend gleichgeschaltet wie nirgendwo sonst. Bereits 1934 organisierte der NS-gesteuerte Verein "Münchner Fasching" den Umzug, Vorsitzender war ein altgedientes Parteimitglied, Max Reinhard, Leiter der Abteilung Literatur und Theater des Münchner Kulturamtes. Bei den Faschingsumzügen durften NS-Organisationen mitmachen, zum Beispiel die SS-Standarte Deutschland, die NSDAP-Motorstandarte, ja selbst Flak-Regimenter und Pionierbataillone der Wehrmacht - was auch vielen Münchnern merkwürdig vorkam. Fasching und Soldatentum seien keine Gegensätze, so rechtfertigte Reinhard die ungewohnte Symbiose. Und der Rheinländer Joseph Goebbels ließ sich übrigens schon 1935 publikumswirksam als Ehrengast im Münchner Fasching ablichten.

© SZ vom 11.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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