Dass die Menschheit vor entscheidenden Durchbrüchen stehe, dass sie bald die schlimmsten Krankheiten besiegen, die organische Alterung aufhalten, mechanische Arbeiten überflüssig machen, mit gigantischen elektronischen Rechenleistungen die Gesellschaft steuern und Kriege von blutigen Schlächtereien in technische Entwaffnung verwandeln könne; dass der Mensch selbst optimierbar sei, durch genetische Ummodelung, psychopharmakologische Unterstützung, durch Verbindung von organischer mit künstlicher Intelligenz, dass er gottgleich ins Räderwerk der Natur eingreifen werde - dergleichen liest man öfter. Aber meistens sind es Naturwissenschaftler, Technikutopisten, die solche Hochrechnungen von aktuellen Fortschritten auf die Zukunft vornehmen.
Als Historiker kann man das mit Interesse lesen und sich doch zurücklehnen: Wie viel vergangene Zukunft ist nicht schon den Zeitenbach heruntergegangen! Meist war sie ein kurioser Mix aus partiellem Scharfsinn und vollkommenem Danebenliegen. Das Industriezeitalter imaginierte seine Zukunft industriell, nur umfassender. Die Neuordnung der Welt in global vernetzten Algorithmen sah kaum jemand, bevor sie da war. Noch vor einem Vierteljahrhundert war sie unvorstellbar, obwohl alle Elemente längst bereitlagen.
Yuval Noah Harari aber ist kein Technikfreak, sondern Historiker. Er ist ein Vertreter der jungen Disziplin der "Big History", die Naturwissenschaft und Menschheitsgeschichte überspannt, also auch die Zivilisationsgeschichte in eine kosmologische, erst am Ende auch biologische Fluchtlinie bringt. Eine ihrer wichtigsten Fragen lautet, was die Menschen von den anderen Lebewesen unterscheidet. Darum fragt sie auch mit eigener Autorität danach, was die vom Menschen geschaffene Technik mit ihm als Gattung anstellt.
Mit seinem Bestseller "Eine kurze Geschichte der Menschheit", der 2011 in Israel erschien und seither in vierzig Sprachen übersetzt wurde, hat Harari das populärste Buch der "Big History" überhaupt geschrieben. Dazu ist der 1975 geborene Historiker auch ein seriöser Forscher, vor allem der Kriegsgeschichte Europas seit dem Mittelalter, ein eher konventionelles Forschungsgebiet. Er hat sein Fach also ganz handwerklich gelernt. "Homo Deus" ist als "Geschichte von Morgen" das Sequel der Menschheitsgeschichte. Das Buch zeigt, wie der Mensch seine Umwelt als ganze übernimmt, am Ende aber von seinen eigenen Schöpfungen verschlungen werden könnte. Auch das ist als Gedankenfigur nicht neu.
Dafür muss Harari einiges aus dem Vorgängerbuch rekapitulieren. Er zeigt, wie es dem Menschen gelungen ist, sich zum Herrn der Erde zu machen und diese in ein riesiges Nutztierlager und Anbaugebiet zu verwandeln. Worauf beruht dieser Vorsprung? Menschen können in anonymen Großgruppen kooperieren, in gigantischen, sozial differenzierten und technisch-wirtschaftlich spezialisierten Verbänden. Man nennt es "Gesellschaften", ein Begriff, den Harari auffällig meidet. Auch Tiere arbeiten zusammen, aber immer nur in Gruppen auf Hör- und Sichtweite, Menschen aber bilden Städte, Imperien, Nationalstaaten, Firmen. Was für ein Wunder: Ich befolge die schriftlichen Anweisungen einer Finanzbeamtin aus einem fremden Ort, die ich nie sehen werde!
Das gelingt, weil Menschen sich nach einer "kognitiven Revolution" (gleichzeitig mit der Sesshaftwerdung und dem Übergang vom Wildbeuterdasein zur Agrarwirtschaft), gestützt von Sprache und Schrift, auf "Fiktionen" wie Götter, Geld, Rechtsvorschriften und vieles mehr einigen konnten, die Umgang und Vertrauen in immer weiteren Kreisen von Fremden ermöglichten. Götter zum Beispiel bedrohen Regelverletzungen mit drakonischen Strafen - Verbände, die an Götter glauben, können Recht durchsetzen, lange bevor sie staatliche Strukturen kennen. Harari bringt diese Gruppenfiktionen in eine Reihe bis zu modernen Einrichtungen wie globalen Unternehmen und, hier beginnt die Zukunft, zu Computeralgorithmen, die demnächst schon Rechtspersonen werden und wie heutige Unternehmen Verträge schließen, Prozesse führen, Hochhäuser oder Gelddepots besitzen könnten.
Harari nennt all das also "Fiktionen", oft auch "Religionen", einmal und erst spät "Intersubjektivität". Das sind begriffliche Vorentscheidungen, die sein rasant geschriebenes Buch selbst wie ein Algorithmus prägen und Gedankenschritte nahelegen, leider solche, die ihm nicht guttun. Schwerblütigere Geschichtsphilosophien und Sozialtheorien haben für die von Harari so schmissig synthetisierten Phänomene längst eine kleinteilige, weit beschreibungsgenauere Terminologie erarbeitet, die vor elementaren Denkfehlern schützt. Hegel etwa sprach vom "objektiven Geist", Niklas Luhmann von "Kommunikationen". Beide Denker spalteten das minutiös in Sachgebiete auf, um deren besondere Logiken zu untersuchen. So entstanden eigene Theorien der Politik, des Rechts, der Künste, der Technik und des Geldes.
Bald kommt der "Dataismus", der Glaube an die selbst gesteuerte Datenverarbeitung
Für Hararis großräumigen Durchblick aber geht alles viel schneller und einfacher. Der Mensch steht kurz davor, mit den beispiellos leistungsfähigen Algorithmen der künstlichen Intelligenz zu verschmelzen. Glaubte er einst an Götter oder den einen Gott, später an sich selbst - Harari nennt das umstandslos die "humanistische Religion", alles ist ihm "Religion" -, so stehe nun in einem kühnen dritten Riesenschritt die nächste "Religion" bevor, nämlich der "Dataismus", der Glaube an die selbst gesteuerte Datenverarbeitung.
Auch biologische Organismen seien Daten verarbeitende Algorithmen, nur eben längst nicht so leistungsfähig wie die Supercomputer, an denen wir heute basteln. Mit ihnen aber werde die bisherige Vorstellung von Subjektivität und menschlicher Autonomie hinfällig. Der Mensch erkennt sich als Produkt biochemischer Prozesse, er wird zunehmend ausrechenbar, und bald könnten die Rechenmaschinen selbst das Regime übernehmen - in einem Evolutionsschritt, der die "Big History" erst richtig big macht, weil sie nun vom mit seiner Nährlösung kommunizierenden Einzeller bis zum von Nanorobotern besiedelten Mensch-Maschine-Cyborg reicht, bald auch den Kosmos einbeziehen könnte.
Fairerweise muss man sagen, dass das in einer kurzen Zusammenfassung deutlich irrsinniger klingt als in Hararis terminologisch schwankenden, gelegentlich sogar reflektiert zweifelnden Darlegungen. Trotzdem bleiben seine Begriffe viel zu grobschlächtige Algorithmen, um seriöse Hochrechnungen zu erlauben. Denn was heißt "Ende des Humanismus"? Marktsubjekte oder Wahlbürger mögen ausrechenbar sein, aber was ist mit den Rückkoppelungen solcher Befunde? Bleibe ich ausrechenbar, wenn ein optimiertes Facebook mir sagt, ich sei es, und meine geheimsten Wünsche offenlegt?
Wie alle technoiden Geschichtsphilosophen tut sich Harari schwer mit dem kaum greifbaren Faktum, das wir "Bewusstsein" nennen. Mal scheint er der jüngsten Hirnforschung anzuhängen, die den freien Willen bezweifelt, mal schreckt er selbst vor Folgerungen zurück, die wie ein Update des Films "Matrix" wirken, also doch nur nach jüngstvergangener Zukunft aussehen. Yuval Noah Harari ist so jung und supersmart wie sein Fach: Beide sollten im nächsten Arbeitsgang eine Runde Philosophie einlegen.