Zukunftsangst:Mehr Vorfreude wagen!

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Glühbirne (rechts) und Halogenlampe: Erstere machte früher schöneres Licht. (Foto: dpa)

Die Debatten des Frühjahrs 2014 sind über Lager hinweg von einem breiten Konsens geprägt: dass der Fortschritt auch schon mal besser war. Der Glaube an die Gestaltbarkeit von Morgen scheint fast abhanden gekommen zu sein - zu unrecht.

Von Dirk von Gehlen

Man stelle sich vor, wir lebten in einer Welt ohne Elektrizität. Man stelle sich weiterhin vor, die Wortführer des Frühjahrs 2014 würden die Entdeckung elektrischer Energie hierzulande so bewerten, wie sie es mit anderen gesellschaftlichen Phänomenen tun, in derselben Art, die ihnen dieser Tage Aufmerksamkeit sichert. Die gemeinhin als taugliche Errungenschaft geschätzte Elektrizität käme nicht gut weg: In der Bibel findet sich schließlich kein einziger elektrischer Kühlschrank und hätte Gott gewollt, dass der Mensch nach Sonnenuntergang sehen kann, hätte er uns ja Nachtsichtgeräte statt Augen schenken können.

Die Nutzung von elektrischem Strom würde deshalb als "widernatürlich" (Sybille Lewitscharoff), "irgendwie undeutsch" (Thilo Sarrazin), "schwul, im negativen Sinn" (Matthias Mattusek), "verdummend" (Manfred Spitzer) oder zumindest "überflüssig" (Hans Magnus Enzensberger) beurteilt. Dass Menschen auf alles Andere und Unbekannte skeptisch reagieren, ist nicht gerade ungewöhnlich. Das gilt auch für jeden Wandel, der von der Mehrheit positiv aufgenommen und somit als Fortschritt gilt. Sei es der Fortschritt auf gesellschaftlicher Ebene, wo sich in Sachen Familienplanung, Multikulturalismus und Akzeptanz von Homosexualität sehr viel verändert hat. Oder sei es der Fortschritt auf der technischen Ebene, wo sie Revolutionen in ungleich schnellerem Takt vollziehen.

Für den Science-Fiction-Autor Douglas Adams ist diese Skepsis sogar eine Konstante im Umgang mit allem Neuen: Es wird als normal angesehen, wenn es zum Zeitpunkt der eigenen Geburt existiert. Deshalb finden wir eine Debatte über Stromabhängigkeit und die Gefahren der Elektrizität albern, über Internet-Sucht wird hingegen mit großer Ernsthaftigkeit diskutiert.

Was erfunden wird, bis man etwa 30 Jahre alt ist, wird als große Chance empfunden. Und alle Neuerungen und Trends, die nach dem 30. Geburtstag entstehen, nimmt der Mensch als Bedrohung wahr - und als sicheres Zeichen für den Niedergang der Kultur. Douglas Adams beschrieb diesen Dreischritt 1999, die Diskutanten des Frühjahrs 2014 bestätigen ihn auf breiter Front. Denn so unterschiedlich die oben genannten Personen und deren Debatten auch sein mögen, eines vereint sie zum prägenden Zeitgeist dieser Tage: Sie sind im Sinne Douglas Adams' über 30, sie hatten alle mal eine Zukunft.

Sicherheit eigentlich im Überfluss

Eine Zukunft zu haben ist eine positive Haltung zur Welt. Es bedeutet, die Sicherheit zu genießen, ohne Angst nach vorne schauen zu können und das Morgen aktiv gestalten zu wollen. Diese Haltung ist ein wenig außer Mode gekommen - gerade bei denen, die diese Sicherheit eigentlich im Überfluss hätten. Was sie stattdessen haben ist eine Vergangenheit, die so toll gewesen sein muss, dass sie sie um jeden Preis verteidigen wollen - und damit die Debatten der Gegenwart bestimmen. Dieser Wunsch des Bewahrens und Verteidigens ist nicht neu. Neu ist, dass der angstvolle Blick nach vorne heute die eint, die früher politisch in links und rechts unterschieden wurden. Der Status Quo ist über einst rivalisierende Lager hinweg zum romantisierten Maßstab im Umgang mit der Zukunft geworden: Von der Glühbirne ("machte früher schöneres Licht") über Algorithmen ("bedrohlich") bis zur Homo-Ehe ("sowas gab es früher nicht") urteilt ein nostalgischer Zeitgeist über das, was - Achtung, romantische Verklärung - früher mal Fortschritt hieß.

Zu behaupten, dass dieser tatsächlich dazu führt, dass etwas besser wird, taugt aktuell fast schon zu einer kontroversen These. Denn der Fortschritt als besondere Spielart der Zukunft hat gerade keinen besonders guten Ruf. Aus zwei Gründen: Zum einen wurde er zu oft als Vorwand für Entwicklungen genutzt, die in Wahrheit zu Verschlechterungen führten. Der vom Komiker Ralf Kabelka erfundene Politiker Dr. Udo Brömme hat diese Haltung in dem Slogan "Zukunft ist für alle gut" treffend auf den Punkt gebracht.

Und zum zweiten ist der Status Quo für die Wortführer des Bewahrens und Verteidigens viel zu angenehm, als dass sie sich vom Fortschritt eine Verbesserung erhoffen würden. In den lautesten Debatten der vergangenen Wochen wird deshalb ein Narrativ bedient, das die Geschichte des technologischen und gesellschaftlichen Fortschritts mit bedrohlichem Unterton erzählt. Denn das wichtigste Instrument im skeptischen Umgang mit dem Neuen ist die Angst. Nur wer sich echte Sorgen macht um die Folgen von Windrädern oder Homo-Ehe, wird den Wert einer Welt zu schätzen wissen, in der sich ordentlich vermählte Hetero-Paare mit Strom aus Kohlekraftwerken wärmen.

Das Narrativ der Sorge kann sehr platt aber auch sehr elaboriert vorgetragen werden: Das Schaudern im Blick nach vorn ist im Bereich der Digitalisierung derzeit besonders ausgeprägt, denn die Protagonisten sind sehr leicht zu beurteilen (amerikanische Großkonzerne = böse), während die dahinterliegenden Vorgänge sehr intransparent wirken (Algorithmen = versteht eh keiner so genau).

Beides führt dazu, dass die analoge Vergangenheit sich besonders schön verklären lässt. Die Behauptung, dass die Digitalisierung nicht nur eine Bedrohung für das geschätzte Gestern, sondern vielleicht auch Lösungen für das schwer umsorgte Morgen bieten kann, überlässt man hierzulande lieber denjenigen, die sich gerade eher auf der Technikkonferenz South by South West (SXSW) als auf der Cebit treffen.

Man muss dieser Haltung nicht folgen, trotzdem würde man der aktuellen Debatte um den technische Veränderungen auch außerhalb dessen, was bedrohlich als kalifornische Ideologie beschrieben wird, etwas mehr Gelassenheit wünschen. Vielleicht würde dann auch irgendwer bemerken, dass es ein Hohn ist, ausgerechnet den Premierminister des Landes eine Messe zum Thema Datensicherheit eröffnen zu lassen, dessen Geheimdienst äußerst aktiv ist beim Missbrauch von Daten. Der britische Regierungschef David Cameron empfand es jedenfalls nicht als deplatziert, dass er am Wochenende die Cebit in Hannover eröffnen durfte.

Angst erschwert "digitale Mündigkeit"

Angst, sagt ein englisches Sprichwort, ist ein schlechter Ratgeber. Angst vor dem Neuen führt nicht zu dem, was Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club als "digitale Mündigkeit" beschreiben: ein aufgeklärter Umgang mit den Chancen aber auch mit den Risiken einer Technologie. Ein Gefühl der Überforderung oder gar Machtlosigkeit vor dem bösen Mächten von Google und NSA ist populär, aber falsch. Ironischerweise nützt dieses Gefühl am Ende nur denen, vor denen man eigentlich warnen will.

Das heißt nicht, dass man die Unwägbarkeiten und Veränderungen, die schon immer zum Wesen des nächsten Tages gehören, ausblenden oder verschweigen soll. Es heißt, dass man mal auf das blicken kann, was der nächste Tag auch auslösen kann: Vorfreude auf eine gestaltbare Zukunft. Ein Gefühl, das in den aktuellen Debatten nicht gerade im Überfluss vorhanden ist.

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