Zukunft des Journalismus (14):"Ein sehr riskantes Geschäft"

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Frankreichs Zeitungsauflage hat sich halbiert. Daniel Vernet von "Le Monde" sprach mit sueddeutsche.de über Presse und die Einflußnahme von Politik und Wirtschaft.

Leif Kramp

sueddeutsche.de: Monsieur Vernet, in den vergangenen Monaten häufen sich die schlechten Nachrichten über die französische Zeitungsbranche. Wie dramatisch ist die Situation?

Anlass zur Sorge: Daniel Vernet von "Le Monde" in Paris weiß, dass die Zeitungsauflagen sinken. (Foto: Foto: privat)

Daniel Vernet: Es gibt Anlass zur Sorge: Seit etwa 20 bis 30 Jahren sinkt die Gesamtauflage unserer Tageszeitungen kontinuierlich. Im Vergleich zu der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sie sich sogar halbiert und liegt jetzt bei etwa drei Millionen Exemplaren. Man muss dabei berücksichtigen, dass die Struktur der französischen Zeitungslandschaft ungewöhnlich ist: Auf der einen Seite haben wir die in Paris erscheinenden Nationalzeitungen, auf der anderen die Regionalzeitungen. Letzteren geht es sehr viel besser als uns, weil sie ein Monopol in bestimmten Regionen besitzen. Die Pariser Blätter dagegen müssen hohe Anstrengungen auf sich nehmen und Kosten aufwenden, um im ganzen Land präsent zu sein. Ihr politischer Einfluss ist zwar viel höher, aber ihre Auflage geringer. Die größte Zeitung in Frankreich ist Ouest-France mit 800.000 Exemplaren täglich, Le Monde und Le Figaro liegen bei etwa 300.000.

sueddeutsche.de: Wie beurteilen Sie die Krise der Presse in Frankreich im Vergleich zu den USA oder Deutschland?

Vernet: In diesen Ländern beobachten wir relativ ähnliche Tendenzen. Aber in Frankreich müssen wir mit einer besonderen Situation hinsichtlich der Produktions- und Vertriebskosten zurechtkommen. Wir leben noch mit Regelungen aus der Periode nach der Nazi-Zeit und das bedeutet, dass die Kosten sehr hoch sind, auch im Personalsektor. Die Ursache dafür liegt in den Verträgen, die damals mit den Gewerkschaften geschlossen worden sind. Die Personalkosten waren immer sehr hoch, und die französischen Zeitungshäuser leiden darunter auch heute noch sehr.

sueddeutsche.de: Aber Sie bekommen doch finanzielle Unterstützung vom Staat, zum Beispiel in Form direkter Beihilfen...

Vernet: Für große Zeitungsunternehmen ist das keine Erleichterung, auch nicht für die kleinen, für die diese Regelung ursprünglich gedacht war. Im Kern geht es bei der Staatshilfe, die kurz nach dem Krieg beschlossen wurde, um die Sicherung der Meinungsvielfalt. Doch in der jetzigen Situation ist es nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Insgesamt liegen die staatlichen Zuschüsse bei etwa 170 Millionen Euro pro Jahr. Zusätzlich gibt es noch Steuererleichterungen und geringere Versandkosten. Leider gibt es ansonsten bisher keine Modelle zur finanziellen Unterstützung der Qualitätspresse. Dafür ist beispielsweise das Stiftungssystem in Frankreich gerade auch im Vergleich zu Deutschland viel zu unterwickelt.

sueddeutsche.de: In Deutschland wurde in letzter Zeit viel über die Nähe des französischen Staatspräsidenten zu einigen wichtigen Medienpersönlichkeiten spekuliert. Wie groß ist Nicolas Sarkozys Einfluss auf die Presse wirklich?

Vernet: Meiner Meinung nach wird Sarkozys Einfluss überschätzt. Zweifellos unterhält er freundschaftliche Beziehungen zu Leuten wie Arnaud Lagardère, dem Besitzer der Hachette-Gruppe und damit einer der mächtigsten Medienunternehmer, der auch - wenn auch nur wenige - Anteile an Le Monde besitzt. Auch hat er ein enges Verhältnis zu dem Leiter des ersten Fernsehkanals, Martin Bouygues, sowie zu François Pinault und einigen anderen. Ob dieser Einfluss sich allerdings auf die redaktionelle Arbeit auswirkt, lässt sich schwer bestimmen - aber zumindest vermuten: So hat der gefeuerte Chefredakteur von Paris Match behauptet, dass seine Kündigung mit einer Titel-Story zusammenhing, die er über die Ex-Frau von Sarkozy veröffentlicht hatte. Der Verlag zumindest begründete seinen Rausschmiss mit sinkenden Auflagenzahlen. Ab Anfang nächsten Jahres wird sich in dieser Hinsicht jedoch Einiges ändern, wenn auch nicht im Pressesektor: Sarkozy setzte sich mit dem Beschluss durch, in Zukunft den Vorsitzenden der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt Frankreichs persönlich und alleinig bestimmen zu können. Bisher oblag diese Entscheidung einem Gremium mit über zehn Mitgliedern, die vom Staatschef, dem Präsidenten der Nationalversammlung und dem Präsidenten des Senats ernannt wurden.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie die Politik in Frankreich in den Journalismus eingreift.

sueddeutsche.de: In Berlin ist seit dem Regierungsumzug ein neuer Hauptstadtjournalismus entstanden, der immer stärker durch Liebedienereien und Sanktionen seitens der Politik belastet ist. Wie hart greifen Politiker im zentralistischen Frankreich durch, wenn sich Journalisten kritisch äußern?

Vernet: Das kommt manchmal, aber selten vor und liegt daran, dass das politische Leben ausschließlich in Paris stattfindet. Andere Metropolen wie Lyon oder Marseille sind nebensächlich. Durch diese Ballung in der Hauptstadt entstand eine Art Komplizenschaft zwischen Politikern und Journalisten, die eine Rolle spielen könnte in der Frage, ob die Medienberichterstattung teilweise Fremdeinflüssen oder Parteilichkeiten unterliegt. Aber man kann generell noch überall recherchieren - im Zweifelsfall hilft immer, Rivalitäten in den Parteien auszunutzen, um Informationen zu bekommen.

sueddeutsche.de: Wie ist es generell um die Unabhängigkeit der französischen Zeitungshäuser bestellt?

Vernet: Das Überleben unabhängiger Pressegesellschaften hat sich immens erschwert, weil die Kosten in allen Bereichen weiter zugenommen haben und der Bedarf an Investitionen gestiegen ist. Ohne Fremdkapital geht oft nichts mehr. Nehmen wir das Beispiel Le Monde: Noch vor 15 Jahren war der Haupteigentümer die Redaktion, doch das reduzierte sich immer weiter: Heute besitzt sie nur noch etwa 30 Prozent und ein Vetorecht, das ihr demnächst aber wohl auch noch genommen wird, wenn es zu weiteren Zwangskapitalerhöhungen kommt wie vor gut eineinhalb Jahren, wodurch die spanische Firma Prisa, die unter anderem El Pais herausgibt, und Lagardère jeweils 15 Prozent des Kapitals bekommen haben.

sueddeutsche.de: Diese Enteignung läuft den aktuellen Entwicklungen nachgerade zuwider: US-Fachleute sehen in der Beteiligung von Lesern und Mitarbeitern das Geschäftsmodell der Zukunft.

Vernet: Uns hat das nichts gebracht. 1985 hatten wir eine solche Lesergesellschaft gegründet, das half ein paar Jahre, aber es reichte letztlich nicht. Genauso verhielt es sich mit der Beteiligung der Belegschaft, allen voran der Journalisten: Prinzipiell haben Journalisten kein Geld, und wenn sie investieren müssen, dann können sie nicht der Kapitalerhöhung folgen.

sueddeutsche.de: Welche Konsequenzen haben die wachsenden Anteile fremder Unternehmen wie Lagardère für die Integrität Ihrer Zeitung?

Vernet: Ich sehe tatsächlich eine Gefährdung für die Unabhängigkeit der Zeitungen, wie wir sie bisher verstanden haben und weiterhin verstehen möchten: Wenn zum Beispiel die Groupe Lagardère ihren Anteil an Le Monde auf 30 Prozent aufstocken würde, könnte sie zumindest in den nächsten zehn Jahren keinen Einfluss auf die Redaktion ausüben. Aber auf lange Sicht kann ich das nicht beurteilen, vor allem wenn sich die Zeitungskrise verschärft.

sueddeutsche.de: Es zeichnet sich immer stärker ab, dass eine neue Generation von Investoren aktiv in die Pressemärkte eingreift, und zwar nicht nur mit Devisen, sondern auch durch inhaltliche Einflussnahme.

Vernet: Das sehe ich in Frankreich noch nicht, und für Le Monde kann ich sagen, dass wir gegenüber Lagardère vielleicht sogar noch kritischer sind, seitdem sie Anteilseigner wurden.

sueddeutsche.de: Kritik am etablierten Journalismus kommt vor allem aus der Bloggerszene. Sehen Sie in der Bloggerkultur eher ein Konkurrenz- oder Ergänzungsverhältnis zu den Profis?

Vernet: In Frankreich sind Blogs zwar nicht so einflussreich wie in den USA, aber auf alle Fälle stärker im Aufwind als in Deutschland. Auch Journalisten haben die Möglichkeiten dieser Ausdrucksform erkannt und nutzen sie, um all das zu schreiben, was nicht auf Sendeplätze oder in Zeitungsspalten passt. Aber das macht die Satirezeitschrift Le Canard enchaîné schon seit 50 oder 60 Jahren, indem sie kurze Geschichten veröffentlicht, die sonst keine Erwähnung finden. Etwas anders verhält es sich mit privaten Blogs: Die sehe ich zwar nicht als Bedrohung für den Journalismus, aber als Herausforderung. Was wir versuchen, in der Qualitätspresse zu produzieren, sind verlässliche Informationen, die aufwendig recherchiert und verifiziert werden. Dieser Produktionsprozess findet bei Blogs nicht statt. Ebenso wenig gibt es ein gemeinsames Ethos, auf das sich die Bloggergemeinde verbindlich verständigt wie im Fall von Journalisten, die von Berufs wegen eine spezielle Erziehung durchlaufen haben. Das ist ein ernstes Problem.

Lesen Sie auf Seite drei, wie sich die Qualitätszeitungen im digitalen Zeitalter neu erfinden.

sueddeutsche.de: Nun ist Le Monde weniger bekannt für reinen Nachrichtenjournalismus, sondern eher für brillante Kommentare und Analysen. Inwiefern müssen sich Qualitätszeitung im digitalen Zeitalter neu erfinden?

Vernet: Wir müssen mehr Analysen bringen und unser Angebot an die neuen Technologien anpassen, indem wir Qualitätszeitungen als wichtige Ergänzung für Angebote in Internet, Rundfunk und Fernsehen begreifen. Vielerorts hört man das Motto Online First - das scheint der Leitspruch der Zukunft zu sein, aber bei Le Monde stoßen wir auf folgendes Problem: Im Internet bringen wir die Zeitungsartikel erst gegen 14 Uhr, wenn die betreffende Druckausgabe schon verteilt wurde. Aber wenn wir eine exklusive Geschichte haben, sind wir mittlerweile gezwungen, schon früher damit über unsere Website an die Öffentlichkeit zu gehen, weil wir immer damit rechnen müssen, dass die Konkurrenz wie Le Figaro Online möglicherweise schneller ist. Unsere Zeitungsmarke wollen wir durch ein solches Vorgehen stärken - und hoffen, dass die Online-Leser sich trotzdem die Zeitung kaufen. Aber wer weiß, vielleicht gibt es Le Monde irgendwann nur noch im Internet.

sueddeutsche.de: Sind Ihre Mitarbeiter denn so weit, dass sie sich vollständig auf Online einlassen könnten?

Vernet: Diese Anpassung hat noch längst nicht stattgefunden. Viele ältere Redakteure können sich nicht so recht mit dem Internet anfreunden und haben teils große Defizite im Umgang mit den neuen Medien. Für die jungen Online-Kollegen ist das kein Problem, doch werden diese sehr viel schlechter bezahlt. Das ist brisant und könnte sich noch zuspitzen, zum Beispiel in der Frage, ob Online- und Print-Redaktionen gemischt werden oder getrennt bleiben sollen. Wenn Alt und Jung nebeneinander sitzt, könnte es durch das Gehaltsgefälle und die unterschiedlichen Medienphilosophien zu ganz neuen internen Konflikten kommen.

sueddeutsche.de: Noch werden die Online-Angebote fast vollständig durch die Umsätze der gedruckten Zeitung finanziert. Welche Modelle gibt es, durch die sich ein Internet-Ableger finanziell selbst tragen könnte?

Vernet: Ich glaube nicht, dass schon jemand die Lösung für das Finanzierungsproblem gefunden hat. Vor einiger Zeit haben einige ehemalige Kollegen von Le Monde eine Internetzeitung nur auf Abonnementbasis gegründet, die etwa 65.000 zahlende Leser braucht, um sich zu amortisieren. Das ambitionierte Projekt mit dem Titel Mediapart, das rund 60 redaktionelle Mitarbeiter beschäftigt, hat aber nach einem halben Jahr erst etwa ein Zehntel davon erreicht. Das ist natürlich bedauerlich.

sueddeutsche.de: Für wie aussichtsreich halten Sie die Zusatzgeschäfte der Verlage?

Vernet: Wir haben regelmäßig Beilagen wie zum Beispiel Filme, Musik-CDs oder Bücher. Außerdem gibt es geschäftliche Aktivitäten abseits des Kerngeschäfts: Der frühere Verleger Jean-Marie Colombanie, der von 1994 bis 2007 im Amt war, wollte aus Le Monde eine Mediengruppe machen mit dem Ziel, das Unternehmen auf ein breiteres Fundament aus verschiedenen Aktivitäten zu stellen. Wenn es also bei Tageszeitungen mal schlecht läuft, könnte man die Verluste beispielsweise mit den Gewinnen aus dem Zeitschriftengeschäft oder mit Regionalzeitungen auffangen. Das hat sehr viel Geld verschlungen, und nun kommt ein neuer Verleger mit einer neuen Politik und verkauft alles wieder, um die Verschuldung des Unternehmens zu verringern. Das alles ist ein sehr riskantes Geschäft. Ich halte aber - theoretisch allemal - eine Diversifikationsstrategie immer noch für den klügeren Weg.

sueddeutsche.de: Wie lange wird die gedruckte Presse Ihrer Ansicht nach noch fortexistieren?

Vernet: Das ist mir egal, in zwei Jahren werde ich pensioniert (lacht). Im Ernst: Zeitungen wird es noch lange geben, wenn es uns gelingt, dem Leser immer wieder Neues, Interessantes und Intelligentes zu bieten. Es wird zwar weitergehen, aber nicht mit 400.000 Exemplaren und nicht mit 250 Redakteuren. Was uns die Zukunft bringt, könnte eine völlig andere Zeitung sein. Und wenn wir ehrlich sind: Es muss eine andere Zeitung sein als heute.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von Futurologen, die ein baldiges Aussterben der Zeitung vorhersagen?

Vernet: Ich bewerte die Lage lieber mit Marcel Proust, der sinngemäß schrieb, dass er eine Zeitung lese, weil er dann das Gefühl habe, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die diese Zeitung gleichzeitig lese wie er. Das Dazugehörigkeitsgefühl ist stark und wichtig. Als Zeitungsleser fühlt man sich in Zukunft vielleicht als Mitglied einer kleinen Elite. Das entspräche dann wieder dem alten Bild des typischen Parisers, der mit einer Zeitung unterm Arm durch St. Germain lustwandelt.

Daniel Vernet ist Leiter der Auslandsabteilung der französischen Tageszeitung Le Monde in Paris, bei der er seit 1973 als Redakteur tätig ist. Er arbeitete als ständiger Korrespondent in Bonn, Moskau und London und wurde später Co-Leiter des Auslandsressorts, Chefredakteur und Redaktionsdirektor. Bevor er zu Le Monde kam, schrieb er für La Montagne und die Compagnie Francaise d'Edition, nachdem er am Institut d'Études Politiques de Paris studiert hatte. Daniel Vernet hat mehrere Bücher verfasst, darunter "Was wird aus Deutschland?"(1993), "Le rêve sacrifié. Chroniques des guerres yougoslaves" (1994) und zuletzt "L'Amérique messianique" (2004).

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