Zukunft des Journalismus (17):"Zeitungen retten sich nicht selbst"

Ohne Werbegelder keine Qualität: Publizist Eric Alterman spricht über Perspektiven für Prestigezeitungen und Online.

Leif Kramp und Stephan Weichert

SZ: Mr. Alterman, erübrigt sich in diesen Krisen geschüttelten Zeiten die Frage, ob die klassische Zeitung auf Papier noch überlebt?

Zukunft des Journalismus (17): Eric Alterman sieht für die Zukunft der klassischen Print-Zeitung eher schwarz.

Eric Alterman sieht für die Zukunft der klassischen Print-Zeitung eher schwarz.

(Foto: Foto: Deborah Copaken Kogan)

Eric Alterman: Menschen werden immer Nachrichten benötigen, von der einen oder anderen Plattform. Ob es noch die gute alte Zeitung sein wird, ist fraglich. Man kann die Informationen auch aus vielen anderen Quellen beziehen. Die meisten meiner Altersgenossen haben sich über Jahrzehnte mit der Zeitung angefreundet. Mir geht es nicht anders. Wenn das Wochenende langsam zu Ende geht und ich mit der U-Bahn vom Strand zurück nach Manhattan fahre, sehe ich jede Menge Fahrgäste, die immer noch die dicke Sonntagsausgabe der New York Times lesen.

SZ: An der lokalen Leserschaft liegt es also nicht, dass die Times Probleme hat?

Alterman: Die Zeitungskrise hat in erster Linie ökonomische Ursachen im Anzeigengeschäft. Das ist auch das Hauptproblem, wenn es um die Online-Pläne von Zeitungsverlagen geht. Internet-Werbung ist keine tragende Basis für ein funktionierendes Nachrichtengeschäft. Werbung im Netz richtet sich nicht mehr an die Masse, sondern an partikulare Zielgruppen und ist weit entfernt davon, eine Nachrichtenorganisation refinanzieren zu können. Kritisch ist es dadurch geworden, dass Zeitungsunternehmen nicht mehr in der Lage sind, die Kosten für Nachrichtenbeschaffung und -verbreitung aufzubringen. Das sind aber genau die öffentlichen Bereiche, über die wir als demokratische Gesellschaft Informationen beziehen.

SZ: Sie läuten also das Totenglöcklein der Demokratie?

Alterman: Nicht ganz. Ich bin überzeugt davon, dass die großen überregionalen Prestige-Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post überleben werden. Doch sie werden herbe Einschnitte über sich ergehen lassen müssen, die ihren Status schmälern werden, was direkte Folgen für den Fortbestand unserer Demokratie haben wird.

SZ: Das Internet suggeriert, dass Informationen überall kostenlos zu haben sind. Welche Rolle spielt es, dass immer weniger Mediennutzer bereit sind, für Medienangebote zu zahlen?

Alterman: Das Durchschnittsalter des US-Zeitungslesers beträgt 55 Jahre und steigt weiter. Ältere Generationen sind mit der Zeitung sozialisiert worden und gewohnt, dafür zu zahlen. Junge Mediennutzer dagegen informieren sich längst woanders, wobei wichtige Nachrichten immer noch aus professionellen Redaktionen stammen - woher auch sonst? Ich frage mich aber, ob Werbekunden gewillt sind, höhere Anzeigenpreise im Online-Markt zu bezahlen, um Nachrichten zu finanzieren, die nicht unbedingt ein breites Publikum erreichen? Vermutlich nicht.

SZ: Wo wird zuerst gespart?

Alterman: Dort, wo hohe Kosten bei geringem Refinanzierungspotenzial entstehen. Die New York Times zahlt zum Beispiel pro Jahr drei Millionen Dollar, um ihr Korrespondentenbüro in Bagdad zu unterhalten. Das ist wirtschaftlich kaum zu rechtfertigen, weil sie mit dem Büro keine drei Millionen Dollar pro Jahr verdient. Die Frage ist also, ob sich die Zeitung auch in Zukunft solche journalistischen Engagements noch leisten kann. Das Internet verspricht keine Besserung: Online-Werbung ist zwar ungeheuer attraktiv, weil sie zielgerichteter eingesetzt werden kann, aber sie ist viel zu billig, als dass sie den journalistischen Apparat, den wir kennen und von den Qualitätsblättern erwarten, tragen könnte.

SZ: Es fällt schwer zu verstehen, dass ausgerechnet die New York Times mit ihrem neuen Redaktionsgebäude mitten in Manhattan zum Symbol der Zeitungskrise hochstilisiert wird.

Alterman: Die New York Times ist beispiellos für das Anzeigengeschäft. In der gesamten Zeitungsbranche gibt es kein anderes Blatt, das ein derart hochattraktives Publikum erreicht. Erschreckend ist aber, dass trotzdem immer mehr Werber günstigere und letzten Endes auch effektivere Möglichkeiten des Marketings vorziehen. Meine Prognose ist daher nicht gerade rosig: Auch die Times wird sich redaktionell verkleinern müssen.

SZ: Was wird aus all den erstklassigen Journalisten, die demnächst entlassen werden?

Alterman: Einige werden beruflich überleben, wenn sie ein professionelles Blog gründen. Sie können mit Blogs sogar Geld verdienen, weil aufgrund Ihrer fachlichen Expertise und hoher Nutzerzahlen Werbegelder fließen werden. Aber dieser Markt ist begrenzt. Die meisten werden dem Journalismus wohl den Rücken zukehren.

SZ: Heißt das, ein Ende der Krise ist noch längst nicht in Sicht?

Alterman: Vielleicht sind wir im letzten Viertel, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Talfahrt noch weiter geht. Die große Hoffnung der Verleger, mit dem Anzeigengeschäft im Internet zu punkten und die Verluste im Printsektor zu kompensieren, laufen offenbar ins Leere.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Zukunft Eric Alterman für den Bürgerjournalismus sieht.

"Zeitungen retten sich nicht selbst"

SZ: Wäre ein milliardenschweres Rettungspaket denkbar, wie es zur Stützung des Bank- und Kreditwesens verabschiedet wurde?

Alterman: Ich hätte kein Problem damit, wenn die Regierung in Krisensituationen den Zeitungsverlagen finanziell unter die Arme greifen würde wie jetzt bei den Banken. Aber natürlich ist ein solches Szenario gerade in den USA riskant und umstritten, weil es die Furcht vor politischer Einflussnahme und Abhängigkeit schürt. Doch gerade in Europa gibt es öffentlich-rechtliche Geschäftsmodelle, wie die BBC, die sich vor redaktioneller Einflussnahme und Korruption zu schützen wissen.

SZ: Die US-Presse ist längst zum Spekulationsobjekt der Börse geworden. Wird sich diese Entwicklung noch zuspitzen, und welche Folgen hat sie für das Wesen des Journalismus?

Alterman: Journalismus wird immer weniger verlässlich. Er wird zu einem Forum, in dem es hauptsächlich um das Publikum, seine Erfahrungen und Ansichten geht. Es wird künftig weniger Wert auf Fachwissen und die klassische Schleusenwärterfunktion des Journalisten gelegt werden, dafür aber immer mehr auf die Partizipation des Publikums. Wir werden uns davon verabschieden müssen, Journalismus und Verifikation, also die Überprüfung von Informationen, in eins zu denken.

SZ: Es gibt immer wieder Anstrengungen, Bürger- und Profijournalismus zu vereinen.

Alterman: Seien wir doch ehrlich: Zeitungen sind nicht sonderlich gut darin, die Leser als Produzenten in ihre Redaktionsstrukturen einzubinden. Wenn der Leser eingeladen wird sich zu beteiligen, dann immer nur unter Kontrolle der Redaktion. Das hat natürlich juristische Gründe: Laien sind in ihren Äußerungen sehr viel unvorsichtiger als Journalisten. Es kommt mir so vor, als komme es den Nutzern heutzutage weniger auf die Wahrheit an, als darauf, an einer öffentlichen Debatte teilzunehmen. Blogs sind dafür ideal: Sie sind schneller, robuster und unterliegen keinen Restriktionen. Die New York Times beschäftigt elf Redakteure, die Kommentare ihrer Nutzer überprüfen, bevor sie veröffentlicht werden. Das ist nicht nur teuer, sondern verhindert auch eine echte Konversation. Zeitungen sind nicht gerade der perfekte Ort, um frei, offen und vor allem zeitnah über Themen zu diskutieren.

SZ: Welche Strategien gibt es, um junge Leser an das alte Druckmedium zu binden?

Alterman: Es gibt momentan nicht viele Ansätze. Eine viel versprechende Möglichkeit sind die stark frequentierten Social Networks, die für viele Nutzer eine Art Nachrichtenersatz darstellen. Wir alle haben das Gefühl, dass sich Zeitungen das Konzept irgendwie zu Nutze machen könnten - nur wie, das weiß noch keiner so genau.

SZ: Könnte das Geschäftsmodell Zeitung also doch irgendwie überleben?

Alterman: Insgesamt bin ich pessimistisch: Ich glaube nicht, dass sich die Zeitungsbranche selbst retten kann. Vielmehr muss die Gesellschaft eintreten und deutlich machen, dass sie auf ein solch wichtiges Gut nicht verzichten kann und will.

SZ: Sie schreiben seit Jahren für etliche renommierte Zeitungen und Zeitschriften wie den New Yorker. Haben Sie keine Angst, dass Sie bald alle Ihre Kolumnistenjobs los sind?

Alterman: Um ehrlich zu sein, wäre ich nur ungern abhängig von meiner Autorentätigkeit. Ich beziehe ein stabiles Einkommen als Journalismusprofessor von der City University of New York und war glücklicherweise immer in stabilen Beschäftigungsverhältnissen. Ich rate meinen Studenten, sich ein Spezialgebiet zu suchen oder eine besondere Fähigkeit zu entwickeln, die sie im hart umkämpften Medienmarkt einzigartig macht. Das Bild vom Journalisten als Generalisten, der über alles berichtet, ist nicht mehr zeitgemäß.

Eric Alterman, 1960 in Queens, New York, geboren, studierte Politikgeschichte und Internationale Beziehungen an den Universitäten Cornell und Yale und promovierte in Geschichte an der Universität von Stanford. Seit 1983 arbeitet Alterman als freier Autor und Publizist. Seine Texte erschienen u.a. in Vanity Fair, The Nation, The New Yorker, Time Magazine und Le Monde Diplomatique. Seit 1995 ist er Kolumnist bei The Nation. 2007 wurde Alterman zum Professor für Journalismus und Englisch an der City University of New York ernannt, wo er bereits seit 2004 Medienwissenschaft und Mediengeschichte lehrte. Darüber hinaus schreibt er regelmäßig das Blog "Altercation" für die gemeinnützige Recherche- und Informationsplattform Media Matters for America und die Kolumne "Think Again" für das "Center for American Progress".

Alterman hat sieben Bücher veröffentlicht, darunter "What Liberal Media? The Truth About Bias and the News" und "The Book on Bush: How George W. (Mis)leads America" (zusammen mit Mark Green). Sein neuestes Buch "Why We're Liberals: A Political Handbook to Post-Bush America" ist gerade erschienen.

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