Zukunft des Journalismus (16):"Bei Null beginnen"

Qualitätsjournalismus ist keine Fließbandproduktion: Stephen B. Shepard sieht die Zukunft des Journalismus in Online-Zeitungen, teurerer Werbung und fähigem Nachwuchs.

Leif Kramp/Stephan Weichert

SZ: Mister Shepard, Sie haben vor zwei Jahren die "Graduate School of Journalism" ins Leben gerufen. Glauben Sie, dass dies der richtige Zeitpunkt war, um in die Journalistenausbildung zu investieren - immerhin geht dem amerikanischen Qualitätsjournalismus allmählich das finanzielle Rückgrat flöten?

Zukunft des Journalismus (16): Will Studenten den Spaß am Studieren zurückgeben: Journalismusexperte und-dozent Stephen B. Shepard.

Will Studenten den Spaß am Studieren zurückgeben: Journalismusexperte und-dozent Stephen B. Shepard.

(Foto: Foto: Iris Ockenfels)

Stephen B. Shepard: Gerade weil sich die Branche in einer so schwierigen Übergangsphase befindet, war dies der richtige Zeitpunkt! Die Technologie verändert sich derzeit so radikal, dass es viel mehr zu lehren gibt als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wir konnten bei der Planung der Schule und des Lehrplans bei Null beginnen, mit einem frischen Blickwinkel auf den Journalismus, und mussten nichts Bestehendes ändern. Die Studenten haben wieder das Gefühl, dass es sich lohnt, noch einmal zur Schule zu gehen.

SZ: Ihre Worte klingen so, als sei das Schlimmste schon überstanden. Fakt ist aber, dass bei vielen Zeitungsverlagen die drakonische Spar- und Entlassungswelle gerade erst losgeht....

Shepard: Es ist absehbar, dass Zeitungen, wie wir sie kennen, verschwinden werden. Eine Zukunft ohne gedruckte Zeitung ist durchaus realistisch - aber das bedeutet ja noch lange nicht das Ende des Journalismus. Wir haben hunderte Möglichkeiten, einen zukunftsfähigen Journalismus zu betreiben - einen multimedialen Journalismus, einen interaktiven Journalismus, einen Journalismus, der das Publikum mit einbezieht. Dieser neue Journalismus wäre ein Prozess, nicht mehr nur ein Produkt, er würde zu einem Gespräch zwischen Produzenten und Nutzern.

SZ: Sehen Sie die zunehmenden "Laienjournalisten" im Internet eher als Nutzen oder Last für den Qualitätsjournalismus?

Shepard: Bürgerjournalismus und Bürgerbeteiligung können sehr nützlich sein, es gibt aber natürlich auch Risiken: Die Hintergrund-Story, die investigative Recherche, für die der traditionelle Journalismus einsteht, sind bedroht, wenn Journalismus nur noch auf dem Handy oder dem Computer konsumiert wird - denn dort ist kein Platz für lange, tiefgehende Geschichten.

SZ: Welche Gefahr geht vom Einstieg der Finanzinvestoren oder branchenfremden Großunternehmern wie dem Immobilienmagnaten Sam Zell in den US-Zeitungsmarkt aus?

Shepard: Ich weiß nicht, was Sam Zell mit der Zeitungsbranche vorhat. Aber jeder, der denkt, Qualitätsjournalismus beschränke sich auf's Wörterzählen, hat nichts kapiert. Zell misst journalistische Produktivität offenbar daran, wie viel einzelne Journalisten schreiben. Er kümmert sich nicht um Inhalte oder die Qualität einer Story. Journalismus mit Fließbandproduktion gleichzusetzen, ist eine fundamentale Verkennung dessen, was er sein kann und auch sein sollte.

SZ: Welche US-Qualitätsblätter werden überleben, welche verschwinden?

Shepard: Was passieren wird, ist, dass kleine Zeitungen nicht nur überleben, sondern prosperieren. Derzeit gibt es einen Trend in den USA hin zu so genannten "Community Papers". Die sind wirtschaftlich gesund und wachsen. Nicht zufällig hat Rupert Murdoch vor einigen Monaten zwei Verlage gekauft, die solche Zeitungen herausgeben. Die kleinen Zeitungen werden also am Ende ironischerweise die sein, die besser gestellt sind. Es sind die mittelgroßen Zeitungen in den mittelgroßen Städten, die große Schwierigkeiten haben werden.

SZ: Wie kann es für diese mittelgroßen Blätter weitergehen?

Shepard: Viele dieser Zeitungen müssen sich auf den Lokaljournalismus besinnen. Dort sind ihre Marken fest verankert, dort verfügen sie über Kontakte und niemand wird ihnen dort das Revier streitig machen. Vermutlich werden sie ihre eigene nationale und internationale Berichterstattung zurückfahren und diese Inhalte stattdessen von der New York Times oder von Agenturen wie AP oder Reuters übernehmen. Die großen überregionalen Zeitungen profitieren von dieser Entwicklung: Sie werden Geld damit verdienen, dass sie ihre Kultur- und Politikberichterstattung an jene Zeitungen verkaufen, die ihre nationale Berichterstattung und ihre Auslandsbüros aufgeben.

SZ: Gibt es überhaupt Geschäftsmodelle für Zeitungen im Internet, mit denen langfristig Geld verdient werden kann?

Shepard: Die Frage nach künftigen Geschäftsmodellen ist das Schlüsselthema. Denn der derzeitige Wandel vollzieht sich nicht ausschließlich auf der technischen Ebene, von Druckerschwärze hin zu digitaler Verbreitung. Gleichzeitig erodiert das alte Geschäftsmodell: Zeitungen im Internet sind kostenlos oder zumindest für einen Bruchteil der Kosten der Druckausgabe zu bekommen. Die Werbe- und Verkaufserlöse für gedruckte Zeitungen gehen zurück, während die Einnahmen aus dem Online-Geschäft diese Verluste nicht ausgleichen können. Wir planen derzeit das "Center for Journalistic Innovations", wo es um neue Produktideen und Geschäftsmodelle für den Journalismus geht.

SZ: Aber woher sollen die Einnahmen kommen, wenn die traditionellen Geschäftsmodelle der Zeitungen nicht mehr funktionieren?

Shepard: Es gibt natürlich Online-Werbung, aber auf tausend Mediennutzer gerechnet erlöst sie viel weniger als im Print oder beim Rundfunk. Die wichtige Frage besteht darin, wo künftig das Geld für Qualitätsjournalismus herkommen soll. Für mich gibt es für dieses Problem nur eine Lösung: Die Preise für Werbung müssen steigen und diejenigen, die Inhalte der Qualitätsblätter nutzen, müssen dafür in irgendeiner Weise bezahlen. Auch Suchmaschinen wie Google und Yahoo werden den Inhalte-Produzenten künftig mehr zahlen müssen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, welche Anforderungen an zukünftige Journalisten-Generationen gestellt werden.

"Bei Null beginnen"

SZ: Wird dann nicht die Kombination aus Print- und Onlineprodukt auf absehbare Zeit das einzige Überlebensmodell der Presse bleiben?

Shepard: Das sehe ich so, ja. Die New York Times wird in den kommenden Jahren wohl kaum ihre Druckausgabe einstellen. Auf kurze Sicht werden wir also weiterhin Hybride produzieren: Einiges liest man online, einiges in der Zeitung. Schlussendlich wird es aber auf die Online-Zeitung hinauslaufen, denn sie ist praktischer. Ich lese beispielsweise nie den Kansas City Star, aber wenn dort etwas erscheint, das mich interessiert, bekomme ich es durch das Internet automatisch mit.

SZ: Warum sind die Werbeeinnahmen im Internet so gering - schließlich könnten nach der Long-Tail-Theorie durch gezielte Platzierung von Werbung mehr Waren abgesetzt werden?

Shepard: Unternehmen können heute praktisch überall werben. Früher gab es in Kleinstädten höchstens zwei Zeitungen und wenn ein Kaufhaus eine Anzeige schalten wollte, kam es an einem der beiden Blätter nicht vorbei. Heute gibt es unzählige Möglichkeiten. Zudem verbringen Leute, die Zeitung lesen, viel mehr Zeit mit diesem Medium. Bei Business Week haben wir ständig Leserbefragungen durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass Leser wöchentlich im Schnitt 60 bis 90 Minuten mit der Lektüre der Business Week verbringen. Dagegen verbringen sie nur sechs Minuten auf der Website von Business Week. Was sollten Werbetreibende daran wertvoll finden?

SZ: Wie gehen Sie in der Journalistenausbildung mit dieser Ambiguität von traditionellen und Online-Medien um?

Shepard: Wir wählen nicht zwischen alten und neuen Medien, wir lehren traditionellen Journalismus! Das bedeutet: tiefgehende Berichterstattung, gutes Schreiben und die Fähigkeit, lange wie kurze Storys erzählen zu können. Wir lehren außerdem Interaktivität, Rundfunk, Video und Audio. Wir lehren alles, denn es wird durch neue Hybridmodelle für Journalisten notwendig sein, sowohl ein Video zu machen, als auch auf die Straße zu gehen, mit einer Fotostrecke für's Web zurückzukommen oder ein längeres Stück zu schreiben.

SZ: Müssen sich Journalisten also auch handwerklich zu Allroundern entwickeln?

Shepard: Ja, sie müssen beides beherrschen: Das traditionelle Schreiben und die technische Seite, also Bilderstrecken, Interaktivität, Video. Wir akzeptieren keine Trennlinien.

SZ: Auch Ihre Studenten lernen das Bloggen. Denken Sie, dass angesichts des immer größer werdenden Einflusses von Blogs in den USA überhaupt die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz zwischen Journalisten und Bloggern besteht?

Shepard: Natürlich, weil erstens viele Journalisten auch bloggen und kommentieren. Zweitens gibt es da draußen Blogger, die beachtliche journalistische Fähigkeiten entwickeln. Und dann gibt es drittens Blogger, die man als "Bürgerjournalisten" bezeichnen würde - Augenzeugen, die etwas sehen und darüber berichten. Je spezieller ein Thema ist, desto eher sind Blogger gefragt. Die Aufmerksamkeit liegt momentan aber bei den politischen Blogs. Politik ist natürlich auch ein Spezialgebiet, aber eines, zu dem jeder eine Meinung hat.

SZ: Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass Blogger irgendwann den klassischen Journalismus verdrängen?

Shepard: Die Stärken des Bloggens sind Verweise und Verknüpfungen zu anderen Informationsangeboten. Ich finde, auch Zeitungen sollten sich stärker auf die Möglichkeit besinnen, einen normalen Artikel mit Daten, Statistiken und Hintergründen anzureichern. Was das Verhältnis zwischen Blogs und Journalismus angeht: Heute bieten sich mehr Möglichkeiten denn je, Journalismus zu betreiben. Aber auch schon im traditionellen Journalismus konnte man als Journalist zwischen den 25 Hauptformen wählen. Durch Video, Audio, Multimedia und alle möglichen Mischformen haben wir nun eben eine Auswahl von 250 Varianten.

SZ: Sie scheinen selbst ein wenig zwischen Euphorie und Defätismus zu schwanken...

Shepard: Wir werden journalistisch gesehen alle möglichen Wege verfolgen und integrieren müssen. Dann werden wir sehen, ob der Leser und die Werbetreibenden bereit sind, dafür zu zahlen. Die Anzeigenpreise müssen ja gar nicht so hoch sein wie beim Print, weil die Kosten online viel geringer sind. Bei der Business Week haben wir die größten Ausgabeposten immer "die drei P's" genannt: Print it, Post it und Paper. Zusammen waren sie teurer als die Redaktion. All dies verschwindet in der Online-Welt. Ich denke, wenn Zeitungen Qualitätsinhalte für die elektronische Verbreitung produzieren, diese mit Audio- und Videoangebote anreichern und mit externen Blogs verlinken, kann ein Paket entstehen, für das Leute bereit sein werden, Geld auszugeben.

SZ: Also abschließend eine positive Prognose für den Journalismus?

Shepard: Ich bin überzeugt, dass sich neue Finanzierungsmechanismen finden werden - denn das Bedürfnis nach Informationen, Verständnis und Selbstbestimmung wird nicht verschwinden. Und genau deshalb wird auch der Journalismus nicht verschwinden.

Stephen B. Shepard ist Gründungsdekan der "Graduate School of Journalism" der City University of New York. Shepard war über 20 Jahre, bis 2005, Chefredakteur der wöchentlich erscheinenden Wirtschaftszeitschrift Business Week. Zuvor leitete er bei Newsweek das Inlandsressort und war Redakteur der Wochenzeitschrift Saturday Review. 1999 wurde Shepard in die "Hall of Fame" der American Society of Magazine Editors berufen und erhielt eine Reihe von Auszeichnungen, u. a. den "Gerald M. Loeb Foundation Lifetime Achievement Award" für Wirtschaftsjournalismus, den "Henry Johnson Fisher Award" und den "President's Award". Von 1992 bis 1994 war Shepard Präsident der "American Society of Magazine Editors" und ist Mitglied des "Council on Foreign Relations", des Auslands-Presseclubs, sowie der Gesellschaft "Century Association".

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