SZ: Mister Shepard, Sie haben vor zwei Jahren die "Graduate School of Journalism" ins Leben gerufen. Glauben Sie, dass dies der richtige Zeitpunkt war, um in die Journalistenausbildung zu investieren - immerhin geht dem amerikanischen Qualitätsjournalismus allmählich das finanzielle Rückgrat flöten?
Will Studenten den Spaß am Studieren zurückgeben: Journalismusexperte und-dozent Stephen B. Shepard.
(Foto: Foto: Iris Ockenfels)Stephen B. Shepard: Gerade weil sich die Branche in einer so schwierigen Übergangsphase befindet, war dies der richtige Zeitpunkt! Die Technologie verändert sich derzeit so radikal, dass es viel mehr zu lehren gibt als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wir konnten bei der Planung der Schule und des Lehrplans bei Null beginnen, mit einem frischen Blickwinkel auf den Journalismus, und mussten nichts Bestehendes ändern. Die Studenten haben wieder das Gefühl, dass es sich lohnt, noch einmal zur Schule zu gehen.
SZ: Ihre Worte klingen so, als sei das Schlimmste schon überstanden. Fakt ist aber, dass bei vielen Zeitungsverlagen die drakonische Spar- und Entlassungswelle gerade erst losgeht....
Shepard: Es ist absehbar, dass Zeitungen, wie wir sie kennen, verschwinden werden. Eine Zukunft ohne gedruckte Zeitung ist durchaus realistisch - aber das bedeutet ja noch lange nicht das Ende des Journalismus. Wir haben hunderte Möglichkeiten, einen zukunftsfähigen Journalismus zu betreiben - einen multimedialen Journalismus, einen interaktiven Journalismus, einen Journalismus, der das Publikum mit einbezieht. Dieser neue Journalismus wäre ein Prozess, nicht mehr nur ein Produkt, er würde zu einem Gespräch zwischen Produzenten und Nutzern.
SZ: Sehen Sie die zunehmenden "Laienjournalisten" im Internet eher als Nutzen oder Last für den Qualitätsjournalismus?
Shepard: Bürgerjournalismus und Bürgerbeteiligung können sehr nützlich sein, es gibt aber natürlich auch Risiken: Die Hintergrund-Story, die investigative Recherche, für die der traditionelle Journalismus einsteht, sind bedroht, wenn Journalismus nur noch auf dem Handy oder dem Computer konsumiert wird - denn dort ist kein Platz für lange, tiefgehende Geschichten.
SZ: Welche Gefahr geht vom Einstieg der Finanzinvestoren oder branchenfremden Großunternehmern wie dem Immobilienmagnaten Sam Zell in den US-Zeitungsmarkt aus?
Shepard: Ich weiß nicht, was Sam Zell mit der Zeitungsbranche vorhat. Aber jeder, der denkt, Qualitätsjournalismus beschränke sich auf's Wörterzählen, hat nichts kapiert. Zell misst journalistische Produktivität offenbar daran, wie viel einzelne Journalisten schreiben. Er kümmert sich nicht um Inhalte oder die Qualität einer Story. Journalismus mit Fließbandproduktion gleichzusetzen, ist eine fundamentale Verkennung dessen, was er sein kann und auch sein sollte.
SZ: Welche US-Qualitätsblätter werden überleben, welche verschwinden?
Shepard: Was passieren wird, ist, dass kleine Zeitungen nicht nur überleben, sondern prosperieren. Derzeit gibt es einen Trend in den USA hin zu so genannten "Community Papers". Die sind wirtschaftlich gesund und wachsen. Nicht zufällig hat Rupert Murdoch vor einigen Monaten zwei Verlage gekauft, die solche Zeitungen herausgeben. Die kleinen Zeitungen werden also am Ende ironischerweise die sein, die besser gestellt sind. Es sind die mittelgroßen Zeitungen in den mittelgroßen Städten, die große Schwierigkeiten haben werden.
SZ: Wie kann es für diese mittelgroßen Blätter weitergehen?
Shepard: Viele dieser Zeitungen müssen sich auf den Lokaljournalismus besinnen. Dort sind ihre Marken fest verankert, dort verfügen sie über Kontakte und niemand wird ihnen dort das Revier streitig machen. Vermutlich werden sie ihre eigene nationale und internationale Berichterstattung zurückfahren und diese Inhalte stattdessen von der New York Times oder von Agenturen wie AP oder Reuters übernehmen. Die großen überregionalen Zeitungen profitieren von dieser Entwicklung: Sie werden Geld damit verdienen, dass sie ihre Kultur- und Politikberichterstattung an jene Zeitungen verkaufen, die ihre nationale Berichterstattung und ihre Auslandsbüros aufgeben.
SZ: Gibt es überhaupt Geschäftsmodelle für Zeitungen im Internet, mit denen langfristig Geld verdient werden kann?
Shepard: Die Frage nach künftigen Geschäftsmodellen ist das Schlüsselthema. Denn der derzeitige Wandel vollzieht sich nicht ausschließlich auf der technischen Ebene, von Druckerschwärze hin zu digitaler Verbreitung. Gleichzeitig erodiert das alte Geschäftsmodell: Zeitungen im Internet sind kostenlos oder zumindest für einen Bruchteil der Kosten der Druckausgabe zu bekommen. Die Werbe- und Verkaufserlöse für gedruckte Zeitungen gehen zurück, während die Einnahmen aus dem Online-Geschäft diese Verluste nicht ausgleichen können. Wir planen derzeit das "Center for Journalistic Innovations", wo es um neue Produktideen und Geschäftsmodelle für den Journalismus geht.
SZ: Aber woher sollen die Einnahmen kommen, wenn die traditionellen Geschäftsmodelle der Zeitungen nicht mehr funktionieren?
Shepard: Es gibt natürlich Online-Werbung, aber auf tausend Mediennutzer gerechnet erlöst sie viel weniger als im Print oder beim Rundfunk. Die wichtige Frage besteht darin, wo künftig das Geld für Qualitätsjournalismus herkommen soll. Für mich gibt es für dieses Problem nur eine Lösung: Die Preise für Werbung müssen steigen und diejenigen, die Inhalte der Qualitätsblätter nutzen, müssen dafür in irgendeiner Weise bezahlen. Auch Suchmaschinen wie Google und Yahoo werden den Inhalte-Produzenten künftig mehr zahlen müssen.
Lesen Sie auf der zweiten Seite, welche Anforderungen an zukünftige Journalisten-Generationen gestellt werden.