sueddeutsche.de: Monsieur Vernet, in den vergangenen Monaten häufen sich die schlechten Nachrichten über die französische Zeitungsbranche. Wie dramatisch ist die Situation?
Anlass zur Sorge: Daniel Vernet von "Le Monde" in Paris weiß, dass die Zeitungsauflagen sinken.
(Foto: Foto: privat)Daniel Vernet: Es gibt Anlass zur Sorge: Seit etwa 20 bis 30 Jahren sinkt die Gesamtauflage unserer Tageszeitungen kontinuierlich. Im Vergleich zu der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sie sich sogar halbiert und liegt jetzt bei etwa drei Millionen Exemplaren. Man muss dabei berücksichtigen, dass die Struktur der französischen Zeitungslandschaft ungewöhnlich ist: Auf der einen Seite haben wir die in Paris erscheinenden Nationalzeitungen, auf der anderen die Regionalzeitungen. Letzteren geht es sehr viel besser als uns, weil sie ein Monopol in bestimmten Regionen besitzen. Die Pariser Blätter dagegen müssen hohe Anstrengungen auf sich nehmen und Kosten aufwenden, um im ganzen Land präsent zu sein. Ihr politischer Einfluss ist zwar viel höher, aber ihre Auflage geringer. Die größte Zeitung in Frankreich ist Ouest-France mit 800.000 Exemplaren täglich, Le Monde und Le Figaro liegen bei etwa 300.000.
sueddeutsche.de: Wie beurteilen Sie die Krise der Presse in Frankreich im Vergleich zu den USA oder Deutschland?
Vernet: In diesen Ländern beobachten wir relativ ähnliche Tendenzen. Aber in Frankreich müssen wir mit einer besonderen Situation hinsichtlich der Produktions- und Vertriebskosten zurechtkommen. Wir leben noch mit Regelungen aus der Periode nach der Nazi-Zeit und das bedeutet, dass die Kosten sehr hoch sind, auch im Personalsektor. Die Ursache dafür liegt in den Verträgen, die damals mit den Gewerkschaften geschlossen worden sind. Die Personalkosten waren immer sehr hoch, und die französischen Zeitungshäuser leiden darunter auch heute noch sehr.
sueddeutsche.de: Aber Sie bekommen doch finanzielle Unterstützung vom Staat, zum Beispiel in Form direkter Beihilfen...
Vernet: Für große Zeitungsunternehmen ist das keine Erleichterung, auch nicht für die kleinen, für die diese Regelung ursprünglich gedacht war. Im Kern geht es bei der Staatshilfe, die kurz nach dem Krieg beschlossen wurde, um die Sicherung der Meinungsvielfalt. Doch in der jetzigen Situation ist es nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Insgesamt liegen die staatlichen Zuschüsse bei etwa 170 Millionen Euro pro Jahr. Zusätzlich gibt es noch Steuererleichterungen und geringere Versandkosten. Leider gibt es ansonsten bisher keine Modelle zur finanziellen Unterstützung der Qualitätspresse. Dafür ist beispielsweise das Stiftungssystem in Frankreich gerade auch im Vergleich zu Deutschland viel zu unterwickelt.
sueddeutsche.de: In Deutschland wurde in letzter Zeit viel über die Nähe des französischen Staatspräsidenten zu einigen wichtigen Medienpersönlichkeiten spekuliert. Wie groß ist Nicolas Sarkozys Einfluss auf die Presse wirklich?
Vernet: Meiner Meinung nach wird Sarkozys Einfluss überschätzt. Zweifellos unterhält er freundschaftliche Beziehungen zu Leuten wie Arnaud Lagardère, dem Besitzer der Hachette-Gruppe und damit einer der mächtigsten Medienunternehmer, der auch - wenn auch nur wenige - Anteile an Le Monde besitzt. Auch hat er ein enges Verhältnis zu dem Leiter des ersten Fernsehkanals, Martin Bouygues, sowie zu François Pinault und einigen anderen. Ob dieser Einfluss sich allerdings auf die redaktionelle Arbeit auswirkt, lässt sich schwer bestimmen - aber zumindest vermuten: So hat der gefeuerte Chefredakteur von Paris Match behauptet, dass seine Kündigung mit einer Titel-Story zusammenhing, die er über die Ex-Frau von Sarkozy veröffentlicht hatte. Der Verlag zumindest begründete seinen Rausschmiss mit sinkenden Auflagenzahlen. Ab Anfang nächsten Jahres wird sich in dieser Hinsicht jedoch Einiges ändern, wenn auch nicht im Pressesektor: Sarkozy setzte sich mit dem Beschluss durch, in Zukunft den Vorsitzenden der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt Frankreichs persönlich und alleinig bestimmen zu können. Bisher oblag diese Entscheidung einem Gremium mit über zehn Mitgliedern, die vom Staatschef, dem Präsidenten der Nationalversammlung und dem Präsidenten des Senats ernannt wurden.
Lesen Sie auf Seite zwei, wie die Politik in Frankreich in den Journalismus eingreift.