Zu Besuch bei ehemaligen Taliban:Unterrichtsziel: Umgang mit Hass

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Kein Land der Welt hat sich so sehr in der Schizophrenie des Krieges gegen den Terror verheddert wie Pakistan, auf dessen Boden Bin Laden getötet wurde. Zu Besuch bei einem Entradikalisierungsprogramm für die Taliban im Nordwesten des Landes.

Elisabeth Kiderlen

"Die Zukunft liegt noch immer in deiner Hand." Der optimistische Spruch ist an die Wand eines pakistanischen Entradikalisierungszentrums für Taliban gepinselt, einmal auf Urdu für die Aufständischen, die hier resozialisiert werden sollen, und einmal auf Englisch für die wenigen Ausländer mit Besuchserlaubnis. Der militärische Komplex der 19. Armeedivision liegt etwas abseits im Swat-Tal, im Nordwesten Pakistans, nicht weit von der afghanischen Grenze. Die verschneiten Gipfel des Hindukusch schimmern in der Ferne, in der Nähe blühen die Aprikosenbäume.

Pakistan: Ein Junge spielt Krieg in Abbottabad, in der Nähe des Hauses, in dem Osama bin Laden getötet wurde. (Foto: REUTERS)

Kein Land der Welt hat sich so sehr in der Schizophrenie des Krieges gegen den Terror verheddert wie Pakistan. Auf der einen Seite soll es als Partner der USA an der Front stehen. Auf der anderen Seite muss es mit dem radikalen Islam im eigenen Land umgehen, und mit den Taliban, die das Erbe einer längst vergangenen Zeit mit sich schleppen, als Pakistan die Basis für den gemeinsamen Kampf des Westens und der Dschihadis gegen die sowjetischen Besatzer im benachbarten Afghanistan war. Eine Doppelrolle, die das Land und seine Politik gerade jetzt wieder zerreißt, da der meistgesuchte Terrorist der Welt auf pakistanischem Boden getötet wurde.

Zeig uns den geraden Weg

Noch ein Spruch fällt bei der Ankunft ins Auge. Das breite Tor zur Anlage wird gekrönt von einem Vers aus der Eröffnungssure des Korans: "Zeig uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du gnädig bist." Den Ankömmlingen soll deutlich werden: Dies ist weder ein Ort westlicher Gottesferne noch ein Ort des terroristischen Fundamentalismus eines Osama bin Laden oder eines Mullah Omar.

Ein hochgewachsener Offizier erläutert das Entradikalisierungsprogramm der pakistanischen Armee. "Der Islam ist eine Religion der Toleranz und des Friedens, und die Armee ist dafür da, den Frieden zu sichern", sagt er. Und einer der Ausbilder fügt hinzu: "Unser Unterrichtsziel ist es, dass die Aufständischen moderate Bürger werden."

Deshalb hat die Armee auch gemäßigte Geistliche eingestellt, Dorf-Imame wie auch islamische Gelehrte, die mit den Taliban über das richtige und das falsche Verständnis von Dschihad sprechen.

Am Tag zuvor hat ein neuer Kurs begonnen, 261 Taliban in einem Durchgang. Alle tragen die gleichen weißen Pluderhosen, das lange weiße Hemd, die dunkle Weste und den Pakol, die traditionelle Kopfbedeckung. Ein Imam nimmt gerade das Thema Selbstmord und Selbstmordattentat durch, beides sei "haram", das heißt vom Koran verboten. Ein Allah-gefälliges Selbstmordattentat sei ein Widerspruch in sich.

Gut 50 Männer in einem Klassenraum. Der Jüngste ist 13, der Älteste 50. Gut 40 Prozent haben einen bäuerlichen Hintergrund, 17 Prozent waren Lohnarbeiter, fünf Prozent Lehrer, und sieben Prozent hatten ein kleines Geschäft. Entsprechend die Schulbildung: 36 Prozent sind Analphabeten und zwei Prozent haben einen Hochschulabschluss.

Nun sitzen sie verunsichert und bedrückt auf den Schulbänken. Und brüllen ihren neuen Schlachtruf: "Lang lebe Pakistan, lang lebe die Armee!"

Das Programm des zwölfwöchigen Kurses ist voll: der Islam und die Moderne, die Rolle des Staates im Dschihad, "Anger-Management", also der Umgang mit Hass und Wut, persönliche Hygiene. Die Schüler sollen auch Einblick in die nationale Geschichte und Kultur Pakistans bekommen, etwas über die Heroen des Landes lernen und ein Grundverständnis globaler Zusammenhänge entwickeln.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum am Ende das gleiche Problem steht wie am Anfang.

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Die Armee bemüht sich, bei den Schülern einen patriotischen Geist zu entfachen und sie mit neuen Informationen und Denkanstößen zu konfrontieren. Frauen kommen in dieser neuen Welt allerdings genauso wenig vor wie in ihrer alten.

Die wichtigste Voraussetzungen für die Taliban in Pakistan sind das Versagen des staatlichen Bildungssystems und der nach wie vor ausgeprägte Feudalismus auf dem Land. Dort existieren Schulen meist nur auf dem Papier. Großgrundbesitzer funktionieren die Klassenräume zu Scheunen oder Ziegenställen um, weil sie sich von der Schulbildung ihrer Knechte nur Aufsässigkeit und Landflucht erwarten.

So bleibt den Jungen als einzige Möglichkeiten die meist von Saudi-Arabien finanzierten Koranschulen, in denen der simple, rückwärtsgewandte Islam der Wahhabiten vermittelt wird. Aus diesen Schulen kommen die Rekruten der Taliban, die auf der anderen Seite der Grenze, in Afghanistan, zu Tausenden in den Kämpfen verheizt werden.

Auch das 2007 im Swat-Tal errichtete Mini-Emirat des Mullah Maulana Fazlullah, dem eine enge Beziehung zu al-Qaida nachgesagt wird, beruhte auf dem nachwachsenden Rohstoff Taliban. Der "Radio-Mullah", wie er genannt wurde, traktierte allmorgendlich über seinen Privatsender die Bewohner des Swat-Tals mit fundamentalistischen Belehrungen.

Die Beziehungen zwischen Staat und islamistischem Aufstand waren eng. Im Frühjahr 2009 schloss die Provinzregierung in Peshawar mit dem Radio-Mullah ein Abkommen: Wenn die Taliban die Waffen ruhen ließen und sich mit ihren Aktivitäten auf das Swat beschränkten, dürften sie dort nach ihrer Fasson regieren. Die Zentralregierung in Islamabad schaute weg, als Mädchenschulen für unislamisch erklärt und nachts gesprengt wurden.

Was die Amerikaner mit ihrem Drängen und Drohen nicht erreichten, schafften die Taliban, als die ersten von ihnen an der Peripherie von Islamabad auftauchten: Aufgeschreckt erklärte Pakistans Premierminister Jusuf Raza Gilani dem Taliban-Staat den Krieg und verkündete in einer Rede an die Nation: "Wir haben die bewaffneten Truppen angewiesen, die islamischen Kämpfer und Terroristen auszulöschen."

Mit Bomben, Mörsergeschossen und Raketen ging die Militärs im Swat-Tal gegen die Islamisten vor, sie zerstörten die Infrastruktur und trieben zwei Millionen Zivilisten - und die Taliban - in die Flucht. "Wir haben unser dunkles Gesicht gezeigt", erklärt der Offizier, der für die Umerziehung der Taliban zuständig ist, "dabei sind 3000 unserer Soldaten gestorben, mehr als in allen drei Kriegen mit Indien zusammen."

Gottes Zorn

Dann kam Ende Juli 2010 die große Flut. Der Radio-Mullah und seine Gefolgsleute deuteten die Überschwemmungen als Zeichen von Gottes Zorn über die Kooperation der Menschen mit den internationalen Hilfstruppen. Doch die Drohung verfängt nicht mehr, unter den Bedingungen der Katastrophe erscheint der Kampf gegen den Westen als selbstzerstörerisch.

Wo sind jetzt die Taliban, fragen viele. Die Präsenz des Militärs soll Sicherheit beim Wiederaufbau vermitteln und eine Rückkehr der Aufständischen verhindern. "Wir kontrollieren alle Koranschulen, zurzeit gibt es in der Region keine, die ein radikales Dschihad-Konzept vertritt", erklärt die Armee. Die Zeichen stehen auf Aussöhnung und versuchte Integration.

Drei Entradikalisierungszentren wurden 2010 im Nordwesten Pakistans eingerichtet, finanziert von der Armee und der Unesco. Seitdem wurden mehr als 1000 Aufständische "reintegriert", wie ein Offizier guten Mutes sagt: "100 Prozent Erfolg." Doch der Erfolg hängt wohl von der Auswahl ab. Die Kandidaten kommen aus den Gefangenenlagern der Armee. Sie werden von einem Komitee, das auch Psychologen und Sozialarbeiter einbezieht, sehr genau ausgesucht:

Keine ideologisch gefestigten Fundamentalisten sollen es sein, keine Männer, die an Terroranschlägen beteiligt waren, niemand, der länger als ein Jahr vom Militär festgehalten worden ist: "Sonst hassen sie die Armee zu sehr." Und was ist mit den anderen? "Das sind Kriminelle, und Kriminelle müssen vor Gericht."

Die Armee versucht, auch das familiäre Umfeld mit einzubeziehen. "Alle vier Wochen treffen wir uns mit den Familien unserer Zöglinge, wir reden mit ihnen, und es gibt religiöse Vorträge." Doch nicht wenige "Integrierte" fürchten, nach der Entlassung von den radikaleren unter ihren ehemaligen Kumpanen umgebracht zu werden. Die Armee wird sie nicht ewig schützen können.

Letztlich hängt der Erfolg des Programms davon ab, dass die Einzelnen später ihren Lebensunterhalt verdienen können. Je nach Fähigkeit dürfen die Schüler einen Computer-Kurs oder eine Schnellausbildung zum Elektromechaniker absolvieren. Oder sie werden in einfache Arbeit eingewiesen. Und danach? Die Arbeitslosigkeit ist hoch. "Wir wollen nicht, dass sie zu lange ohne Beschäftigung bleiben."

Also sorgt das Militär für Stipendien zum Beispiel in einem College in Oman oder in einer Fachoberschule im eigenen Land, andere werden Fahrer, Kellner, Handwerker bei der Armee. Die Armee gibt sich alle Mühe und ist nicht erfolglos.

Doch hier ist es wieder, das Problem, das schon am Anfang aller Taliban-Karrieren stand: die Armut. Wie das Abrutschen ins Elend verhindern? Wenn sich keine andere Möglichkeit bietet? Und ist nicht zuletzt Söldner auch ein ordentlicher Beruf?

© SZ vom 05.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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