Süddeutsche Zeitung

ZPS-Aktionskunst:"Hier liegt die deutsche Diktatur im Frieden"

Das Zentrum für Politische Schönheit hat in Sichtweite des Reichstages eine "Gedenkstätte gegen den Verrat an der Demokratie" errichtet.

Von Jan Kedves

Exhumierungen sind unappetitlich. Aber wenn man Holocaust-Opfer exhumiert, um im Gegenzug dafür die Diktatur zu begraben und die Demokratie zu retten, dann ist das moralisch und künstlerisch bestimmt schon in Ordnung? Dachte man sich beim Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) und eröffnete am Montagmorgen im Nieselnebel des Berliner Regierungsviertels - gegenüber des Reichstags, an der Grenze zum Tiergarten - eine "Gedenkstätte gegen den Verrat an der Demokratie".

Beziehungsweise: Um acht Uhr morgens, als die ersten Fotografen und Journalisten den kreuzförmigen Grundriss der Installation umschritten, die aus Stangen, Transparenten, PVC-Platten, Kerzen und Blumen zusammengebastelt ist, war von exhumierter Asche noch nichts zu sehen. Sie war mit Mullstoff verhüllt, die Stele wurde noch von einer jungen Frau poliert.

Man staunte erst einmal über die Grabplatte, die am Ende des Mahnmals in die Wiese eingelassen ist: "Hier liegt die deutsche Diktatur im Frieden", steht auf ihr. Komisch: Wenn das ZPS mit seiner Aktion dagegen protestieren will, dass die CDU/CSU eventuell schon bald mit der AfD koalieren könnte, etwa in Thüringen, und wenn skandalisiert werden soll, dass "die schweigende Mehrheit von 60 Millionen Deutschen sich gegen eine AfD-Diktatur nicht wehren" würde (so steht es auf einem der Transparente), dann müsste die Grabplatte doch vielmehr der Demokratie gewidmet sein?

Wie frei die Kunst wirklich ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen

Der Mull wurde dann gegen neun Uhr abgenommen und die gesamte hydraulische Logik der Installation erschloss sich. Zum Vorschein kam nämlich diese bräunliche, von innen illuminierte Masse. Ein Fotograf witzelte noch: "Sieht aus wie die Parteiprogramme der CDU und der AfD zusammengequirlt".

Man mochte auch denken: tausend Jahre deutscher Morast. Bis das ZPS seine ausgedruckte Pressemitteilung verteilte, aus der man schließen mochte, dass es sich um die Asche von Holocaust-Opfern handeln soll. Zitiert wird dort der wissenschaftliche Aufsatz der Historikerin Anna Zieba aus dem Jahre 1970: "An der Grenze des Dorfs Harmense und Plawy schütteten Häftlinge aus Asche einen Damm auf." Das ZPS habe diesen Damm geöffnet. "Aber nicht nur in Harmense in einem Damm bei Auschwitz." An 23 Orten "in Deutschland, Polen und der Ukraine wurden über 200 Proben genommen. Laboruntersuchungen ergaben in über 70 Prozent Hinweise auf menschliche Überreste."

Das mag schwammig formuliert sein, aber: Selten war ein Moment der Bedeutungszuweisung eindrücklicher. Erst dieses unspezifische Braun, das dann zur großen Bedrückung wird, zur Masse, in der man plötzlich wirklich noch Knochen ausmacht, die man gerade eben nicht gesehen hatte. Oder nicht sehen wollte.

Doch, die Aktion ist gelungen. Das ZPS kann sich, trotz eventueller Vorwürfe der Pietätlosigkeit, darauf berufen, dass es Opfern des Holocausts und Widerstandskämpfern wie dem 1944 ermordeten Salmen Gradowski, zu Lebzeiten noch gelang, Notizen zu hinterlassen, in denen sie die Nachwelt instruierten, nach ihrer Asche zu suchen und mit ihr das Gedenken an die Millionen Ermordeten wachzuhalten. Die Frage wäre heute wohl eher, ob die Nachfahren jüdischer Holocaust-Opfer Anstoß daran nehmen könnten, dass die Überreste ihrer Vorfahren hier, eingegossen in von innen beleuchtetem Klarsichtharz, auch deutlich an eine katholische Reliquienmonstranz erinnern? Vielleicht ist das Haarspalterei.

Der Logik Philipp Ruchs und der Logik seines "aggressiven Humanismus" zufolge ist es jedenfalls "immer noch besser" so als irgendwie anders. "Eine vage Vorstellung der Verbrechen halte ich für immer noch besser als gar keine Vorstellung. Versuchen zu verstehen ist immer noch besser, als nie mit der Suche zu beginnen", schreibt er in seinem Buch "Schluss mit der Geduld", erschienen Ende August. Ruch erklärt hier die Logik des ZPS, und dieser Logik kann man sich schwer entziehen. Zu ihr gehört auch das Selbstverständnis, dass die freie, politische, drastische Kunst eine fünfte Säule der Demokratie ist - neben der Legislative, der Exekutive, der Judikative und der freien Presse. Solch ein Kunstverständnis kann man in der Berliner Aschenstele auch gut erkennen.

Wie frei die Kunst wirklich ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Das ZPS hat eine gefälschte Hausmitteilung an die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag geschickt, fiktiv unterzeichnet von Wolfgang Schäuble. Er habe für sie bereits einen verbindlichen Termin zum Besuch dieses "Mahnmals gegen jeden Versuch einer faschistischen Machtergreifung" vereinbart, schreibt "Schäuble" darin, der Termin sei "verpflichtend und unbedingt wahrzunehmen!" Die Namen der Abgeordneten und die ihnen zugewiesenen Besuchstermine sind am Mahnmal auf einer Tafel aufgelistet - "von Abercron, Michael" bis "Zimmer, Matthias".

Wie soll man das nun nennen? Alphabetisches Abgeordneten-Antreten für die Demokratie, gegen die Alternative für Deutschland? AAAfD gegen die AfD, sozusagen. Vermutlich werden die Abgeordneten nicht kommen. Oder vielleicht doch? Es ist derzeit sitzungsfreie Woche.

Anm. d. Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise, das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) habe eine ausgedruckte Pressemitteilung verteilt, "aus der hervorging, dass es sich um die Asche von Holocaust-Opfern handeln soll, zu Tage gefördert in Harmense bei Auschwitz". Das ZPS hat in seiner Mitteilung geschrieben, man habe an 23 Orten "in Deutschland, Polen und der Ukraine über 200 Proben genommen. Laboruntersuchungen ergaben in über 70 Prozent Hinweise auf menschliche Überreste".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4706218
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.12.2019/biaz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.