Nachruf:Bergwerk der Ideengeschichte

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Theodore Ziolkowski, amerikanischer Germanist, im Jahr 1992. (Foto: Robert Matthews/Office of Communications)

Theodore Ziolkowski war eine zentrale Figur der amerikanischen Germanistik und großer Komparatist. Jetzt ist er mit 88 Jahren gestorben.

Von Thomas Steinfeld

Weltfern sei die deutsche Romantik gewesen, geprägt von Künstlern, die, wie Novalis, das Weltall in sich selbst finden wollten, oder die, wie Friedrich Schlegel, den Gleichklang der Seelen in "Symphilosophie" oder "Sympoesie" suchten. So lautet ein weitverbreitetes Vorurteil. Es sei vielleicht der "Missmut ob dem jetzigen Geldglauben, der Widerwille gegen den Egoismus", vermutete Heinrich Heine in seiner Polemik "Die Romantische Schule" (1836), der die Dichter auf den Gedanken gebracht habe, "aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurückzuflüchten und die Restauration des Mittelalters zu befördern".

Dass die Romantik vor Wirklichkeit und Gegenwart geflüchtet sei, ist allerdings höchstens die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ihrer Tätigkeit besteht, wie der amerikanische Germanist Theodore Ziolkowski in einem Buch darlegt, das auf Deutsch den schönen Titel "Das Amt der Poeten" (1992) trägt, aus der Schaffung großer Institutionen, die noch heute wirken. Sie tun es vermutlich mächtiger denn je, ohne dass man an ihren Ursprung aus dem Geist der Romantik dächte. Mit fünf solcher Institutionen beschäftigt er sich in seinem Werk: mit dem Bergwerk, das zunächst als "Bild der Seele" konzipiert wurde, mit dem bürgerlichen Recht, dem "Grundbuch der Gesellschaft", mit dem Irrenhaus, dem "Asyl der Phantasie", mit der reformierten Universität, dem "Modell des Geistes", und dem Museum, dem "Tempel der Kunst". Selten vermochte es eine germanistische Fachpublikation auf eine ebenso entspannte wie grundgelehrte Weise einem gewöhnlichen Irrglauben eine so produktive Wendung ins Sachliche zu geben.

Theodore Ziolkowski war ein Kind polnischer Einwanderer, geboren im September 1932 in Birmingham/Alabama, also tief in den Südstaaten. Der helle Hut mit der breiten Krempe stand ihm immer gut, auch als er längst schon Professor für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Princeton University in New Jersey war. Als er das "Amt der Poeten" schrieb, neigte sich seine akademische Laufbahn bereits dem Ende zu: Zu jener Zeit hatte er schon ein Dutzend Bücher geschrieben, über Hermann Broch, über den modernen Roman und, gleich mehrmals, über Hermann Hesse, und er war mehr als ein Jahrzehnt lang Dekan der Graduiertenfakultät gewesen.

Der heute fast unvorstellbare Ernst, mit der er sich einer anderen Kultur zuwandte

Gewiss, man hätte ahnen können, was dann kommen sollte, wenn man sich damals nur die Titel seiner in Princeton überaus beliebten Lehrveranstaltungen angeschaut hätte: Da machte sich offenbar ein freier Geist auf, die Entwicklungslinien der europäischen Ideengeschichte neu zu vermessen, mit einem pragmatischen Sinn, der gleichwohl mit poetischen oder metaphysischen Spekulationen etwas anzufangen wusste.

Es folgten jedenfalls noch an die dreißig Monographien, darunter etliche Werke von erheblichem intellektuellen Gewicht: so das Buch über den Wehrturm als bevorzugte Heimstatt so moderner Dichter wie W. B. Yeats oder Rainer Maria Rilke (1998), so das Buch über die "Sünde des Wissens" ("The Sin of Knowledge", 2000), die scheinbar einander so entfernte mythologische Gestalten wie Adam, Prometheus und Faust miteinander verbindet, so das Buch über die Verschwörung ("The Lure of the Arcane", 2013) als geheimes Zentrum abendländischer Literatur. Hinzu kommen, eben so nützlich wie unterhaltsam, die Bücher, in denen er Ideengeschichte auf geographischer Grundlage schrieb: das Werk über die Jenenser Romantik (1998) etwa oder das Buch über Berlins Aufstieg zur Kulturmetropole im frühen 19. Jahrhundert (2002).

In den Sechzigern und Siebzigern gab es in den Vereinigten Staaten eine Germanistik, die der deutschen Germanistik ebenbürtig war, sowohl in fachlicher wie in intellektueller Hinsicht. Das lag zum einem an den Emigranten, die sich in Amerika eine akademische Existenz aufzubauen vermocht hatten. Das lag zum anderen aber an Einheimischen, die sich mit einem heute fast unvorstellbaren Ernst einer anderen Kultur zuwandten. Theodore Ziolkowski war eine Zentralgestalt unter diesen Amerikanern. Am 5. Dezember ist er, wie erst jetzt bekannt wurde, im Alter von 88 Jahren gestorben.

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