Süddeutsche Zeitung

Zerstörungen in Palmyra:Wie die Politik das Kulturerbe Syriens retten will

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In Berlin beraten Experten aus der ganzen Welt über die Rettung Syriens - mit den Mitteln der Kultur. Symbolisch dafür steht die beschädigte Ruinenstadt Palmyra.

Von Lothar Müller

Ein Friedensschluss in Syrien ist nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund beginnt an diesem Donnerstag im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin das "Internationale Expertentreffen zum Erhalt des Kulturerbes in Syrien". Eingeladen haben die Generaldirektorin der Unesco, Irina Bokova, und die Sonderbeauftragte für das Unesco-Welterbe im Auswärtigen Amt, die Staatsministerin Maria Böhmer. In einer Chiffre verdichtet sich das Thema der Konferenz: Palmyra, Weltkulturerbe, Zerstörungsopfer und Kriegsgebiet, auch nach der Vertreibung der Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates.

Etwa 170 Archäologen, Altertumswissenschaftler, Denkmalpfleger, Architekten, Städteplaner, Museumskuratoren aus 25 Ländern sind angekündigt, unter ihnen viele Syrer. Es wird darum gehen, Wissen über Zerstörungen zusammenzutragen, die Träger des Wissens zu vernetzen, Technologien der Bestandsaufnahme, Archivierung und Erhaltung mit Strategien der Rekonstruktion zu verbinden.

Viele Syrer reisen aus Ländern an, in denen sie Zuflucht gefunden haben, andere kommen aus Syrien selbst wie der Leiter der syrischen Antikenbehörde, Mamun Abdul Karim. Er hat es geschafft, dass im Nationalmuseum von Damaskus Tausende Objekte aus Provinzmuseen zusammengeführt wurden, um sie vor Plünderungen zu schützen, darunter 40 000 mit Keilschrift beschriebene, sehr empfindliche Tontafeln. Deren Lagerung, Konservierung und Erschließung könnten eines der Fachthemen auf der Konferenz sein, im Dialog der Syrer mit Experten aus dem Berliner Museum für Islamische Kunst oder dem Deutschen Archäologischen Institut.

Aber das Fachliche allein ist nicht das Entscheidende. Sondern der Umstand, dass der Leiter der syrischen Antikenbehörde an einem Ort sprechen wird, an dem die Devise gilt, dass die deutsche Außenpolitik eine Nachkriegslösung in Syrien mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad für "schwer vorstellbar" hält. Und dass neben ihm Experten aus der Türkei sitzen werden. Vor der Tagung sprach Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in der FAZ von der "Berliner Syrien-Konferenz", auf der es nun um eine "langfristige Strategie" gehen müsse, um eine "Road Map" für Syrien.

Die deutsche Gelehrtenrepublik ist älter als der Nationalstaat und hat viele Krisengebiete erforscht

In solchen Anspielungen auf die politische Rhetorik der Krisenlösungen im Nahen Osten zeigt sich die Hoffnung, von der diese Kultur-Konferenz getragen ist: dass der internationalen Gelehrtenrepublik in ihrer Sphäre gelingen kann, woran die politische Diplomatie auf ihren Treffen so häufig scheitert. Diese Hoffnung hat tiefe Wurzeln. Die kosmopolitische europäische Gelehrtenrepublik ist älter als die Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts, sie hat seit der Frühen Neuzeit in den heutigen Krisengebieten des Nahen Ostens die Architektur und bildende Kunst der alten Kulturen erforscht, in Bücher und Bilder geholt, auch in Privatsammlungen, die später in die großen öffentlichen Museen eingingen. Nicht erst seit der napoleonischen Ära war die Gelehrtenrepublik ein Wissens-Pool auch über Kunstraub und Kulturzerstörung. Ihre Bindungen an den Raum, für den "Palmyra" steht, sind eng.

Das Bild, das die alteuropäische Gelehrtenrepublik von sich entwarf, kehrt nun wieder und schafft sich eine Infrastruktur, die mehr sein will als nur ein Medium der Wissensakkumulation. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind derzeit gespannt - auch mit Blick auf das militärische Engagement Russlands auf Seiten Assads. Und natürlich gibt es die Befürchtung, Russland arbeite längst daran, im Kultursektor Syriens eine führende Rolle zu spielen - auch in Palmyra.

Umso deutlicher hebt Parzinger die Schlüsselrolle der im Juni tagenden Arbeitsgruppe Kultur des Petersburger Dialogs für eine Road Map in Syrien hervor. Die Gelehrtenrepublik, so die Grundidee der Konferenz, bringt im Blick auf die Kriegsschauplätze in Palmyra, Aleppo und andernorts die Botschaft der Orte gegen ihre Zerstörung zur Geltung. Sie legt die kulturellen Fundamente einer künftigen Nachkriegsordnung, durch die Stärkung der Erinnerung an die "einzigartigen multikulturellen und multireligiösen Handelsmetropolen".

Im deutschen Außenministerium unter Frank-Walter Steinmeier, das unweit vom Humboldt-Forum residiert und Mitglied in dessen Stiftungsrat ist, hat die Hoffnung auf die Kultur als normative Ressource, die politischen Druck entfalten kann, ein Heimspiel. Niemand würde hier behaupten, schon gar nicht Staatsministerin Maria Böhmer, die Deutschen wollten oder könnten bei dieser "Syrien-Konferenz" der Experten eine Führungsrolle spielen. Die liegt bei der Unesco - und natürlich bei den Syrern als aktuellen Akteuren wie als Akteuren einer künftigen Nachkriegsordnung, mögen sie heute auch noch so verfeindet sein. Aber zugleich ist die Integration der Kulturpolitik in die Außenpolitik zum Zwecke der Konfliktabfederung einer der wichtigsten roten Fäden in der Amtszeit Steinmeiers. Die Nebenfolgen kultureller Projekte sollen das klassische Instrumentarium der Diplomatie erweitern.

Für die Ausstattung der Unesco wäre viel gewonnen, wenn die USA und Israel zurückkehrten

Ein gemeinsamer, von der Unesco getragener Aktionsplan ist das Ziel der Konferenz. "Langfristige Strategie" heißt nicht zuletzt langfristige Finanzierung. Zu den verlässlichen Trägern gehören bisher die Stiftungen. Zwei Millionen Euro hat die Gerda Henkel Stiftung 2015 und 2016 für Initiativen von Forschern in Krisengebieten zur Verfügung gestellt, im Frühjahr 2016 noch einmal eine Million Euro im Rahmen eines "Soforthilfeprogramms für Syrien". Zu den geförderten Projekten gehört das Young Experts Forum, das vor der Konferenz tagt, mit 20 deutschen und internationalen Nachwuchswissenschaftlern zwischen 20 und 30 Jahren. Projekte wie dieses illustrieren einen der Schlüsselbegriffe der Berliner Syrien-Konferenz: das Capacity Building, die Aus- und Weiterbildung von Museumsfachleuten, Archäologen, Stadtplanern, die an Krisenherden Schäden dokumentieren und Rekonstruktionsprogramme entwerfen.

Privates Stiftungskapital wird für "langfristige Strategien" und Road Maps der Krisenlösung und Kriegsfolgenminimierung nicht ausreichen. Adressat der Konferenz-Chiffre "Palmyra" ist daher nicht zuletzt die Unesco selbst. Es wäre für deren finanzielle Ausstattung viel gewonnen, wenn die im Konflikt über Palästina als Beitragszahler ausgestiegenen USA und Israel zurückkehren würden.

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SZ vom 02.06.2016
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