Süddeutsche Zeitung

Zerstörte Kulturstätten im Irak:Schutt und Asche, wo einmal assyrische Schutzgötter thronten

Der IS verwüstete antike Stätten alter Hochkulturen in Mossul und Nimrud. Auf befreitem Gebiet werden nun die zertrümmerten Zeugnisse sichtbar. Ein Besuch.

Reportage von Paul-Anton Krüger

Der Weg ins Mossul-Museum führt noch nicht wieder durch den Haupteingang vorbei an den Säulen-Kolonnaden. Denn noch immer haben Scharfschützen der Terrormiliz Islamischer Staat die Straße im Visier; nur wenige Hundert Meter entfernt wird gekämpft. Also klettert man durch ein Loch, das auf Bauchhöhe in der Rückwand des Gebäudes klafft. Innen liegen graue Steinfragmente im Schutt, offenkundig aus größeren Platten herausgebrochen. Eines zeigt Federn und Teile einer Schwinge - ein typisches Element der geflügelten assyrischen Schutzgötter, Lamassu genannt, die Menschenköpfe auf Stierkörpern tragen. Auf dem anderen sind Keilschriften zu erkennen. Und auf beiden Schrammen, wie Pressluftmeißel oder Vorschlaghämmer sie auf hartem Material hinterlassen.

Mit solchen Werkzeugen hatten die Dschihadisten die Statuen und Reliefs in dem Museum bearbeitet, und die Welt erfuhr von dem Verbrechen, als der IS am 26. Februar 2015 im Internet ein Video aus Mossul veröffentlichte. Im April folgte eines aus der Ruinenstadt Nimrud, 30 Kilometer von Mossul entfernt. Die Zeugnisse der Antike, die geflügelten Schutzgötter, die Statuen galten den Terroristen als Götzenbilder, so behaupteten sie, deshalb müssten sie zerstört werden. Dass sie zugleich mit gestohlenen Antiken Handel trieben, war für den IS kein Widerspruch.

Der Boden ist zentimeterdick mit Asche bedeckt. Wände und Decken sind schwarz verkohlt

Die Zerstörung des Museums in Mossul war der Auftakt zu einem dschihadistischen Bildersturm, für den es kein Vorbild gibt. Qais Hussein Raschid, Iraks Vizeminister für Kultur und zuständig für die Antikenverwaltung, gab jüngst auf einer Unesco-Konferenz in Paris an, allein in der Region Mossul habe die Terrormiliz 66 archäologische Stätten zerstört.

Im Museum findet sich kaum noch etwas außer schwarzen Podesten und leeren Nischen an pastellgrün gestrichenen Wänden, wo einst die Statuen präsentiert wurden. Im Boden klafft ein Loch von fünf Metern Durchmesser. Eine Stehleiter führt zwischen Betonbrocken und verbogenem Stahl ins Untergeschoss. Die Dschihadisten haben sich den Weg in den Keller freigesprengt, dort suchten sie Artefakte, für die kein Platz in der Ausstellung war, vermutet der begleitende Oberleutnant der irakischen Bundespolizei. Leuchtet man mit einer Lampe hinunter, sind aufgebrochene Metallschränke zu sehen, möglicherweise ein Teil des Magazins.

Was die Dschihadisten nicht vor laufender Kamera zertrümmerten, wollten sie zu Geld machen. Sie sollen versucht haben, Hunderte Artefakte außer Landes zu schmuggeln. Manche stammten aus vorchristlicher Zeit, andere aus der Ära des Osmanischen Reiches. Etwa 1700 von 2400 wertvolleren Stücken waren bereits früher ins Nationalmuseum nach Bagdad gebracht worden und sind den Plünderungen so entgangen. Als die Stadt im Sommer 2014 an den IS fiel, hatte das Museum in Mossul kurz vor der Wiedereröffnung gestanden. Es war gerade renoviert worden. Dann brach der Terror ein. Knapp drei Jahre später, am 7. März, wurde das Museum von irakischen Truppen befreit, aber eine wissenschaftliche Inventur hat es noch nicht gegeben. Durch die Löcher im Dach dringt dumpf das Dröhnen von Granatfeuer und Kampfhubschraubern. Noch kann hier kein Archäologe arbeiten. Auf einer Theke liegen Bücher, am Boden Schilder aus den Vitrinen, dazwischen Bögen aus Personalakten der Museumsmitarbeiter. Lediglich zwei schwere Holzsarkophage mit arabischen Inschriften haben die Zerstörungswut einigermaßen intakt überstanden. Verloren dagegen sind die assyrischen Türhüterfiguren aus dem 7. Jahrhundert vor Christus und Königsstatuen aus Hatra, die aus römischer Zeit stammen. Einige Standbilder, die IS-Schergen in dem Video zertrümmert haben, stellten sich als Repliken aus Gips heraus, doch die größeren Stücke waren wohl überwiegend Originale, und nur schwer, wenn überhaupt zu restaurieren.

Während die Dschihadisten die Haupthalle des Museums offenbar nicht nutzten, schätzten sie offenbar den Verwaltungstrakt für administrative Tätigkeiten. Am Boden liegen Briefumschläge der Abteilung für Almosen. Offenbar war dies eine Art Finanzamt des IS. Hier entrichteten die Menschen den "Sakat", die im Koran vorgeschriebene Abgabe auf Einkommen und Vermögen - oder vielmehr das, was der "Islamische Staat" von ihnen verlangte. Als die irakische Armee vorrückte, steckten die Dschihadisten das Gebäude in Brand. Der Boden ist zentimeterdick von Asche bedeckt, die Wände und die Decken sind schwarz verkohlt. In einer Ecke stehen Metallgestelle, Überreste von mehr als 30 Computern, daneben verschmorte Überbleibsel von Kopierern und Laserdruckern. Der IS hat sie wohl mit Benzin übergossen, als die irakischen Soldaten näherkamen. "Sie haben versucht mitzunehmen, was ihnen wertvoll erschien", sagt der Offizier der Bundespolizei. "Den Rest wollten sie vernichten, so gut es ging."

Hier druckten die Terroristen ihr Propaganda-Blatt: 32 Seiten im A-3-Format

Durch die Nähe zu den Kulturschätzen war das Gebäude sicher vor Luftangriffen der US-geführten Militärkoalition, deshalb druckte der IS hier sein wöchentliches Propaganda-Blatt Al-Naba. Es berichtete von den Siegen des Kalifats, während der Spielraum der Terroristen zusehends kleiner wurde. In einem Keller finden sich stapelweise Ausgaben, 32 Seiten im A-3-Format, schwarz-weiß, mit dem Layout einer Schülerzeitung. Der IS habe den Kampf nach Bagdad getragen, so eine Titelgeschichte, eine Anspielung auf einen Selbstmordanschlag auf ein Einkaufszentrum im Stadtteil Karrada, bei dem am 3. Juli 2016 mehr als 340 Iraker starben.

Überall liegen Dokumente aus der Museumsverwaltung, Fotos von früheren Festen und von Vorträgen über die Bedeutung der vorislamischen Geschichte für die Stadt Mossul. Viele Bewohner der Stadt verstehen sich unabhängig von ihrer Religion auch als Nachfahren der Assyrer und der alten Hochkulturen, sie sind stolz darauf, dass sich die antiken Zeugnisse in den Grenzen der heutigen Stadt befinden - und darüber hinaus.

Dabei reicht die Zerstörung bis zum Horizont, bis zur antiken Ruinenstadt Nimrud, 30 Kilometer Luftlinie vom Museum entfernt. Ein Schild, unbeachtet an der Straße neben einem Checkpoint, weist noch darauf hin, dass über den grünen Hängen des Hügels, der Zitadelle, einst die Hauptstadt des Assyrer-Reiches stand, gegründet im 13. Jahrhundert vor Christus.

Wo einst eine der wenigen erhaltenen und wohl bestausgestatteten archäologischen Stätten Iraks mit weitläufigen Palästen früheren Glanz erahnen ließ, sind heute nur ein paar Mauer-Grundrisse übrig, aufgefüllt mit Schutt. Manche lassen noch die Ketten-Spuren von Bulldozern erkennen, obwohl der Frühjahrsregen seit Wochen die rote Erde auswäscht. Auch hier haben die Dschihadisten Reliefs mit Elektromeißeln und Baumaschinen zerstört, haben mit Winkelschleifern Metallklammern zerschnitten, die Platten an den Wänden hielten. Nur ein Relief, von tiefen Rissen durchzogen und mit zahlreichen Spuren von Hammerschlägen, hängt noch immer am Eingang zum Nordwest-Palast des Königs Assurnasirpal II.

Die Überreste zweier Lamassu-Statuen liegen unter einer grauen Plastikplane, die sie vor der Witterung des Frühjahrs schützen soll. Ein paar Soldaten in Badelatschen bewachen das Gelände. Noch mehr graue Planen, verteilt über das Ruinenfeld, lassen erkennen, wo weitere Überreste von Figuren liegen. Vielleicht lassen sie sich noch retten.

Die Dschihadisten hatten um die Gebäude Tonnen voller Sprengstoff angebracht. Als sie alles in die Luft jagten, flogen die Trümmer Hunderte Meter weit. Heute stecken Teile von Statuen weit von ihrem ursprünglichen Platz in der Erde. Vielleicht sollte die Sprengung aber auch nur verschleiern, welche Artefakte die Dschihadisten fortschafften, um sie zu Geld zu machen. Denn die Dschihadisten waren eifrige Tunnelgräber, um auch unter der Erde nach Verwertbarem zu suchen. Die Zugänge zu den Tunneln sind inzwischen mit Holzplatten und Sandsäcken abgedeckt.

Der IS grub überall Tunnel. Einige sind eingestürzt, andere bis heute befestigt

Im befreiten Osten von Mossul, in Ninive, einst eine der strahlendsten Städte der Assyrer, Ort der Gelehrsamkeit und der Bibliotheken, biblische Stätte des Propheten Jona, bietet sich ein ähnlich bedrückendes Bild. Das Adad-Tor und größere Teile der Umfassungsmauer sind vermutlich mit Baumaschinen zerstört worden, übrig sind Haufen von Schutt. Auch das Nergal-Tor im Norden steht nicht mehr; seine beiden monumentalen Lamassu-Figuren wurden mit Elektromeißeln zerlegt. Die Gegend ist weiterhin unsicher, fast täglich schlagen Granaten und Raketen ein, die Militante über den Tigris feuern, um die Menschen in diesem Teil der Stadt zu terrorisieren.

Nabi Junis heißt das angrenzende Viertel, nach der Prophet-Jona-Moschee. Auch diese haben die Dschihadisten gesprengt wie so viele andere Schreine im Irak, denn Heiligenverehrung gilt ihnen als Götzendienst, als Heidentum. Auch hier bewachen Soldaten den Eingang, und eine Zutrittsgenehmigung lässt sich auch bei vier verschiedenen und jeweils ranghöheren Kommandeuren der Armee nicht bekommen.

In den Hügeln, so erzählt einer der Bewaffneten, haben die Dschihadisten ebenfalls systematisch Tunnel gegraben. Einige seien befestigt, einige drohten einzustürzen. Und doch brachten sie erstaunliches zutage: Der Soldat zeigt Fotos auf seinem Handy, ein Relief geflügelter Stiere, Türwächter eines antiken Palastes. Darunter eine Inschrift, auf der Wissenschaftler den mutmaßlichen Erbauer identifizieren konnten: Asarhaddon, einen assyrischen Großkönig, der von 680 bis 669 vor Christus regierte.

Es wäre eine traurige Ironie der Geschichte, wenn Archäologen künftig ausgerechnet an der Stätte einer Raubgrabung des IS bedeutende Funde machen würden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3448860
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.04.2017/smb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.