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Zerstörte Kippenberger-Installation:Wenn es auf den Fleck ankommt

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Ist es Kunst? Oder doch nur Schmutz? Der Fall der Putzfrau, die im Dortmunder Museum Ostwall ein Kippenberger-Kunstwerk teilweise weggeschrubbt hat, zeigt: Die Debatte hat seit dem Verschwinden von Beuys' Fettfleck im Jahr 1986 nicht an Brisanz verloren.

Ein Grund zum Lachen? Oder eher einer, um sich Sorgen um das allgemeine Kunstverständnis zu machen? Im Dortmund Museum Ostwall hat eine Putzfrau Teile des Kippenberger-Kunstwerks "Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen" einfach weggesschruppt. Den weißliche Kalkfleck im Gummitrog unter einem Holzpalettenturm hatte sie entfernt, weil sie ihn für Schmutz hielt. Doch nicht nur ein zerstörtes und mit einem Wert von 800.000 Euro versichertes Kunstwerk bleiben zurück. Gleichzeitig hat die unbedarfte Aktion die Frage aufgeworfen: Was ist Kunst?

Ob im Büro, beim Abendessen oder beim Treffen mit Freunden: wo auch immer die kuriose Geschichte erzählt wird, stellt sich diese immergleiche Frage. Und man erinnert sich daran, wie 1986 die berühmte Fettecke des Joseph Beuys ebenfalls von einer beflissenen Reinigungskraft beseitigt wurde.

Was Kunst ist und was nicht, war zu allen Zeiten schwer zu definieren. Die Impressionisten wurden auch als Schmierfinken beschimpft. Kalk- und Fettflecken können Kunst sein, wenn damit eine Aussage verbunden ist. Mit dem Fett wollte Beuys zum Beispiel ein Werk schaffen, das seine Farbe und Konsistenz verändert, das "lebt" und - genauso wie der Mensch - irgendwann nicht mehr da ist.

Durch die Putzfrau wurde dieser Prozess des Verschwindens allerdings arg beschleunigt. Wobei es durchaus Künstler gibt, die solche Eingriffe zu schätzen wissen: Als ein Unwetter 2007 eine Skulptur von Ai Weiwei auf der documenta in Kassel einstürzen ließ, meinte der Chinese anschließend: "Das ist besser als vorher." So sieht man die Sache in Dortmund aber eher nicht.

"In dem Fall ist es so, dass das Kunstwerk sich nicht verbessert hat, sondern es hat wirklich einen Schaden erlitten", erläutert Gerhard Finckh, Direktor des Von-der-Heydt-Museums in Wuppertal. "Bei Ai Weiwei war es ja so, dass der Sturm eine interessante skulpturale Form noch interessanter gemacht hat. Da ist es ausnahmsweise so, dass die Beschädigung ein Ding besser gemacht hat."

Dass es heutzutage schwierig sein kann, Kunst als solche zu erkennen, hat auch damit zu tun, dass viele Künstler Alltagsgegenstände verwenden und das Werk nicht mehr an die Wand hängen, sondern in den Raum stellen. "Gerade bei abstrakteren Figuren ist es dann schwierig auseinanderzuhalten, was Kunst ist und was nicht", meint Finckh. "Bei so einem Kalkfleck ist die Verwechslungsmöglichkeit immer da. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler."

Wäre nicht allen geholfen, wenn man den Kalkfleck einfach wieder hinmachen würde? Ja, sagen Experten, aber es ist dann nicht mehr das selbe wie vorher. "Das Original ist eben das, wo ein Künstler zum ersten Mal etwas gemacht hat", meint Prof. Raimund Wünsche, Kunstbuchautor und pensionierter Direktor der Münchener Glyptothek. "Deshalb hat es oft eine besondere Intensität." Es geht um die Idee - nachmachen kann jeder.

Martin Kippenberger, der das Werk geschaffen hat, ist seit 14 Jahre tot. Obendrein ist das Werk eine Leihgabe. Und der Besitzer findet die Schrubb-Aktion der Putzfrau vermutlich gar nicht zum Lachen. Wie der Fall genau geregelt wird, muss erst noch geklärt werden.

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