"Zero Zero Zero" von Roberto Saviano:Auf der Spur des Kokains

Italian journalist Roberto Saviano

Roberto Saviano lebt seit Erscheinen seines Debüt-Romans "Gomorrha" versteckt an wechselnden Orten.

(Foto: dpa)

Geld wird nicht gezählt, sondern gewogen: Der weltweite Handel mit Kokain erwirtschaftet Milliarden. Roberto Saviano beschreibt in seinem neuen Buch "Zero Zero Zero" die Wege der Droge. Er hält sie für einen Motor der Globalisierung.

Von Henning Klüver

Vor sieben Jahren veröffentlichte Roberto Saviano "Gomorrha". Der Tatsachenroman über die neapolitanische Mafia wurde ein Welterfolg - und veränderte das Leben seines Autors grundlegend. Die im Buch namentlich genannten und bei öffentlichen Lesungen vorgeführten Camorra-Bosse schworen blutige Rache. Seitdem wird Saviano rund um die Uhr von Carabinieri bewacht, wechselt laufend seine Aufenthaltsorte und kann ohne Polizeischutz nicht in der Öffentlichkeit auftreten.

Sein neues Buch "Zero Zero Zero" (Null Null Null) über den weltweiten Kokainhandel, das bei Feltrinelli mit einer Startauflage von 500.000 Exemplaren erschienen ist und nur wenige Tage benötigte, um den ersten Platz der Bestsellerliste zu erklimmen, hat der Autor seinen Leibwächtern und den "38.000 gemeinsam verbrachten Stunden" gewidmet - "und denen, die noch zu verbringen sind. Wo auch immer".

Unter diesen Lebensumständen kreativ zu arbeiten und ein Buch zu schreiben, das mehr ist als eine Sammlung von Zeitungsartikeln oder TV-Moderationen (wie zuletzt "Der Kampf geht weiter", 2010 erschienen), ist eine kaum zu unterschätzende Willens- und Arbeitsleistung.

"Über Kokain zu schreiben, ist so, wie es zu nehmen"

Saviano, der seit fünf Jahren an dem Thema gearbeitet und dafür monatelang auch inkognito außerhalb Italiens recherchiert hat, ist dabei dem Gegenstand seiner Arbeit geradezu verfallen. "Über Kokain zu schreiben, ist so, wie es zu nehmen. Du willst immer mehr Hinweise, immer mehr Informationen. Und die, die du findest, sind köstlich, du kommst ohne sie nicht mehr aus", schreibt der Autor im Klappentext seines neuen Buches, das 444 Seiten umfasst.

Der Titel bezieht sich auf die in Italien gebräuchlichen Klassifizierungen von Mehl mit der höchsten Reinheitsstufe "00" (ZeroZero). Und Kokain ist eben ein ganz besonderes Mehl - eines mit drei Nullen. Darüber hat Roberto Saviano keinen Roman, keine Reportage, kein Sachbuch nach dem Motto "Alles, was man über Kokain wissen muss" geschrieben, auch wenn die jeweiligen Stilmittel hin und wieder auftauchen.

Das Buch enthält keine Tabellen, Karten, Belege und schon gar kein Literaturverzeichnis. Es ist ein in sieben Kapitel geteilter literarisch-journalistischer Redefluss, der Dutzende Namen, Orte, Fakten mit sich reißt. Der Geschichten, Handlungen, Szenen wie Puzzleteile (manchmal etwas gewaltsam) miteinander verknüpft. Der Text liest sich wie ein Bühnenmonolog, eine Performance, in die der Leser mit der Anrede "du" immer einbezogen wird, als sei er Teil eines Kunstwerks und nicht dessen kritisches Gegenüber. Und ein kleines Kapitel ist sogar in Verse gesetzt.

Eine "Rede übers Kokain"

Bei dieser "Rede übers Kokain" verfolgt Roberto Saviano den Weg von der Gewinnung der Droge bis zu ihrem Gebrauch. Er beschreibt die Arbeitsbedingungen der Hungerleider, die die Coca-Pflanze vor allem in Süd- und Mittelamerika oder in Afrika anbauen, ebenso wie die Wirkungen des Rauschgifts. Aber im Mittelpunkt steht der wirtschaftlich-kriminelle Aspekt eines globalen Geschäftsnetzes, dessen Brennpunkte in Mexiko (bei den Handelskartellen) und in Italien (bei den Mafiaorganisationen, allen voran die kalabrische 'Ndrangheta) liegen.

Es ist ein Geschäft, in dem Geld nicht gezählt, sondern gewogen wird, in dem der Wert menschlichen Lebens dagegen gegen null tendiert und Mord und Folter an der Tagesordnung sind. Verbrechen zahlt sich eben doch aus, wie die ungeheueren Gewinnspannen zeigen. Und die Geldwaschanlagen, die Milliardenbeträge in die "gesunde" Wirtschaft pumpen und sie so vergiften, machen den weltweiten Kokainhandel in den Augen das Autors zu einem Motor der Globalisierung. Kokain wird für Saviano das, was einst Petroleum für Pasolini war - der Schlüssel zum System des Kapitalismus.

Die Droge legalisieren?

Besonders diese Überhöhung, der zufolge sich die Welt gleichsam dem Griff der Drogenmafien nicht entziehen könne und hier jedem Gerechtigkeitssinn Hohn gesprochen werde, ist in ersten Rezensionen in Italien kritisiert worden. "Wenn du 1000 Euro Anfang 2012 in Apple investiert hättest, würdest du heute 1670 haben", schreibt Saviano. Aber wenn man sie in Coca "investiert" hätte, "würdest du heute 182.000 haben: hundert Mal so viel wie bei einer Investition in die Rekordaktie des Jahres!" Die Wirtschaftszeitung Il sole 24 ore lobt die Griffigkeit des Bildes und prangert zugleich den Unsinn des Vergleichs an. Denn was heißt, in Kokain "investieren"? Kaufen, konservieren, verschneiden und wieder verkaufen? Wenn überhaupt, so die Zeitung, wäre nicht die Apple-Aktie, sondern Tim Cook der Vergleichsmaßstab.

Roberto Saviano wird in Italien wie ein Pop-Star gefeiert - und von seinen Gegnern ebenso kritisiert. Die Medien, in denen er als Hausautor auftritt (la Repubblica, L'Espresso) beschreiben das Buch als "faszinierend und gefährlich", weil es dem Leser unter die Haut gehe. Andere Blätter verteilen vorsichtig Lob und Tadel. Der Corriere della Sera stellt die manchmal fehlende Distanz zum Thema heraus, denn der Autor fühle sich von Kriminellen der Coca-Szene wie Félix Gallardo (genannt "El Padrino") oder Osiel Cárdenas Guillén (genannt "El Mata Amigos" - der "Freundeskiller") einerseits literarisch angezogen, andererseits verurteile er ihre Schandtaten. Einige Hintergrundseiten, so wendet ein Kriminologe in einem Beitrag für La Stampa ein, gingen vom Informationsgehalt her kaum über Wikipedia hinaus. Doch lobt der Rezensent die Art, wie es dem Autor gelinge, die "Mechanik des Todes" zu beschreiben, indem er "ins Fleisch der Opfer wie der Schänder eindringt und uns zwingt, die Augen zu öffnen".

Beschreibungen driften hier und da in Banalitäten ab, wenn Mädchen "zwei Perlen anstelle der Augen" haben. Oder sie "superblond in ein Kleid wie eine zweite Haut gewickelt auf schwindelerregend hohen Absätzen stelzen". Solche Ausrutscher bemängelt etwa Christian Raimo, der einst im römischen Verlag minimum fax erste Texte von Roberto Saviano lektoriert hatte, bevor der mit "Gomorrha" zum Erfolgsautor wurde. In einer langen Rezension auf der Internetplattform Linkiesta analysiert Raimo, wie Saviano heute in seiner Rolle als öffentliche Figur gefangen sei und dadurch nicht der große Schriftsteller geworden ist, der er hätte werden können. In "Zero Zero Zero" sei er zur Parodie seiner selbst geworden, die nur noch in Slogans rede und den Leser mit jeder Zeile in Erregung versetzen wolle.

Roberto Saviano schlägt am Ende eines Buchs, das Seite für Seite zur Ächtung der Droge aufruft, überraschend vor, Kokain zu legalisieren. Nur über einen kontrollierten Gebrauch könnte man den kriminellen Drogenhandel unterbinden. Mit einem Schlag. "Aber das wird nicht passieren. Wir müssen mit ihm leben, leider. Und ihm widerstehen, solange das möglich ist."

Roberto Saviano: Zero Zero Zero. Feltrinelli Editore, Mailand 2013. 444 Seiten, 18 Euro.

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