Süddeutsche Zeitung

Paragraf 129:Kunst, Spaß oder Terror?

  • Am Dienstag kam heraus, dass die Staatsanwaltschaft Gera gegen das Zentrum für politische Schönheit (ZPK) wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.
  • Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zeigt "wenig Verständnis" für die Ermittlungen.
  • Das ZPK reichte am Donnerstag eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim zuständigen thüringischen Behördenleiter ein und stellte dem Staatsanwalt eine strafbewehrte Unterlassungsbeschwerde zu.

Von Alex Rühle

Am Telefon in der Berliner Zentrale hebt Eskalationsexperte Stefan Pelzer ab. Eskalationsexperte? "Das ist bei uns am Zentrum anerkannter Ausbildungsberuf", sagt Pelzer, "weil wir ja gern die Fetzen fliegen sehen." Die fliegen gerade reichlich - aber nicht so, wie sich das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) die Fetzenfliegerei vorstellt, in Form kunstpolitischer Aktionen, über die sich dann die Leute in die Haare kriegen: Darf man etwa vor dem Wohnhaus von Björn Höcke das Holocaustmahnmal nachbauen, nachdem der AfD-Rechtsaußen das Berliner Denkmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet hat? Darf man behaupten, man observiere Höcke, und später sagen, war nur Spaß und ist ja Kunst?

Am Dienstag kam aufgrund einer Anfrage im thüringischen Landtag heraus, dass die Staatsanwaltschaft Gera gegen das ZPS wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Der Abgeordnete Steffen Dittes (Die Linke) hatte gefragt, wie viele Ermittlungen nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch es derzeit gebe. In dem Antwortschreiben, in dem sich Verfahren gegen IS-Mitglieder, Anhänger der Al-Nusra-Front und Holocaustleugner fanden, war auch von Ermittlungen gegen eine Künstlergruppe die Rede. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass damit das ZPS gemeint ist und dass gegen deren Gründer Philipp Ruch ermittelt wird (SZ vom 4. April).

Anlass war anscheinend die Höcke-Aktion beziehungsweise ein Video, in dem das ZPS behauptet hatte, einen "zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz gegründet" und Höcke in seinem Wohnhaus überwacht zu haben. In Bornhagen laufe "die aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland". Später erklärten die Künstler, die Überwachung sei nichts als eine Farce gewesen, "mit billigstem Überwachungsspielzeug und lächerlichen Kostümen".

Nun wurde der Paragraf 129, der den Zugang zu verdeckten Ermittlungen und anderen Überwachungsmethoden eröffnet, noch nie gegen Künstler in Stellung gebracht. Am Mittwoch lief denn auch eine Welle der Empörung durchs Land. So zeigte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) "wenig Verständnis" für die Ermittlungen. Auf Twitter schrieb er: "Alle zivilen Verfahren gegen das ZPS blieben erfolglos und nun Strafrecht als kriminelle Vereinigung? Seltsam!" (Wegen der Höcke-Aktion kam es zu neun zivil- oder strafrechtlichen Verfahren. Die zivilrechtlichen Prozesse wurden eingestellt, die strafrechtlichen gewonnen.) Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff verwies auf die Kunstfreiheit und zeigte sich im MDR irritiert, dass andere Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Recht auf Privatsphäre durch das Verfahren verletzt werden könnten.

Zumindest merkwürdig ist, dass der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Gera, Martin Zschächner, der am Mittwoch den meisten Medienvertretern, so auch der SZ, beschied, die Staatsanwaltschaft könne keine Auskünfte erteilen, justament derselbe Staatsanwalt ist, der gegen das ZPS ermittelt. Er hätte diese Doppelfunktion zumindest erwähnen sollen. Zum anderen gab er wohl doch verschiedentlich Auskunft, während er den Anwälten des ZPS jede Akteneinsicht verwehrte. So erfuhr der Spiegel, dass das Verfahren eingeleitet wurde wegen der Behauptung des ZPS, Höcke observiert zu haben.

Einige Kommentatoren schrieben, die Staatsanwaltschaft Gera folge mit ihrem Verfahren dem Rechtsverständnis der AfD und ihres Rechtsaußen Björn Höcke, der den ZPS-Aktivisten vorgeworfen hatte, "Kriminelle und Terroristen" zu sein. Ein Staatsanwalt aus einem anderen Bundesland, der namentlich nicht genannt werden wollte, zeigte hingegen gegenüber der SZ Verständnis dafür, dass der Paragraf 129 angewendet wurde. Schließlich sei der Nötigungsstraftatbestand schon gegeben, wenn jemand behaupte, andere über einen längeren Zeitraum hin zu überwachen. "Dass das nur Spaß ist, kann man im Nachhinein ja schnell behaupten."

Das ZPK reichte am Donnerstag eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim zuständigen Thüringer Behördenleiter ein, stellte dem Staatsanwalt eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu und prüft eine Anzeige wegen Paragraf 344 Strafgesetzbuch "Verfolgung Unschuldiger". Die Fetzen fliegen also erst einmal weiter.

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Quelle:
SZ vom 05.04.2019/luch
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