Zensur in Russland:Parken im Knutschverbot

"Eine Schande für Russland": Der russische Kulturminister Solokow zensiert das Bild "Küssende Polizisten". Das Werk zirkuliert dennoch im Internet und sein Preis steigt.

Holger Liebs

Ein nicht eben pfleglicher Umgang mit zeitgenössischer Kunst hat in Russland Tradition: Als das Künstlerpaar Komar & Melamid, die Erfinder der sogenannten "SozArt", als Persiflage und Ironisierung der offiziellen Sowjetpropaganda, im Herbst 1972 Selbstporträts im Stile Lenins und Stalins in einem Wald nahe Moskau ausstellten, wurden sie verhaftet, das Werk von den Behörden zerstört und die ganze Ausstellung mit Bulldozern und Wasserkanonen plattgemacht.

Zensur in Russland: Herzenswärme in frostigen Zeiten: Das Werk "Küssende Polizisten (Ära der Barmherzigkeit)" der Künstlergruppe Blue Noses. In der Berliner Galerie Diehl zeigen sie weitere, sagen wir mal...

Herzenswärme in frostigen Zeiten: Das Werk "Küssende Polizisten (Ära der Barmherzigkeit)" der Künstlergruppe Blue Noses. In der Berliner Galerie Diehl zeigen sie weitere, sagen wir mal...

(Foto: Foto: dpa)

So brachial geht man in Moskau heute nicht mehr gegen Kunst vor. Stattdessen findet Zensur statt. Die ist allerdings so hilflos und tumb, dass sie genau das erreicht, was sie vermeiden will: die weltweite Bekanntheit der inkriminierten Werke. Gegenstand der momentanen Aufregung ist eine Fotografie der Moskauer Künstlergruppe "Blue Noses".

Auf ihr sieht man zwei im Kuss vereinte Männer, heimelig in einen verschneiten Birkenwald platziert: eine allzu deutliche Anspielung auf das Tabu öffentlich zur Schau gestellter Homosexualität in Russland. Zu allem Überfluss tragen die beiden auch noch Uniform. Dennoch durfte das Werk mit dem Titel "Küssende Polizisten (Ära der Barmherzigkeit)" anstandslos in der Ausstellung "SozArt" der Moskauer Tretjakow-Galerie im Februar gezeigt werden.

Als im Herbst das Pariser Maison Rouge die Schau übernehmen wollte, verweigerte der russische Kulturminister Alexander Solokow jedoch die Ausfuhr dieses und etwa 20 weiterer Werke nach Frankreich mit der Bemerkung, sie seien "pornographisch" und "eine Schande für Russland". Er lederte weiter, wie Le Monde berichtet: "Wenn ein Werk dem Katalog der Tretjakow-Galerie angehört, klettert sein Preis. Es handelt sich also um eine private Einmischung in die Politik des Staates. Diese Initiative ist nichts weiter als Korruption." Die Kunstwerke wurden an der Grenze beschlagnahmt.

Übrigens ist der Polizistenkuss keine Erfindung der "Blue Noses" - sie seien, bekannten die Künstler, inspiriert worden von einem Graffito des Briten Banksy, der zwei knutschende Bobbys an eine Londoner Hauswand gesprüht hatte. Mal abgesehen davon, dass Solokows krudes Korruptions-Argument offensichtlich vorgeschoben ist - eine "Schande" ist vor allem die Verkennung der Tatsache, dass die Galerie ein staatliches Institut ist und die Arbeiten zu ihrem Bestand gehören. Während die Ausstellung "SozArt" derzeit in Paris ohne die Bilder zu sehen ist, hatte der Leiter der Moskauer Galerie, Valentin Rodionow, jetzt die Nase voll. Nachdem er zunächst eine Entschuldigung von Solokow verlangt hatte, weil er sein Haus "in den Dreck gezogen" sah, hat er den zeternden Kulturminister nun verklagt.

Dieser hat mit seiner Aktion den Preis des Polizistenkusses eher weiter "klettern" lassen - zwar durfte das Bild auch nicht zu einer Schau nach Dresden reisen, aber auf der Pariser Kunstmesse FIAC wurde es unlängst ebenso gezeigt wie in der Berliner Galerie von Volker Diehl, der die "Blue Noses" vertritt. Diehl hatte das Motiv, das zudem im Internet zirkuliert, einfach auf CD gebrannt und aus Russland mitgenommen.

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