Zeitkapsel von 1977:Piep, Piep kleiner Satellit

Was ist eigentlich aus der Zeitkapsel geworden, die 1977 als galaktische Flaschenpost ins All geschossen wurde? Welche Botschaft hatten wir damals für die Außerirdischen?

Alex Rühle

3 Bilder

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Quelle: Yukuta Nagata/UN Photo

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Was ist eigentlich aus der Zeitkapsel geworden, die 1977 als galaktische Flaschenpost ins All geschossen wurde? Welche Botschaft hatten wir damals für die Außerirdischen?

Silvester: Der Tag, der den Menschen dabei hilft, sich im endlosen Meer der Zeit zu orientieren. Der Tag, an dem man ein sorgsam portioniertes und sauber kartographiertes Stück Zukunft begrüßt und ein eben so kleines Stück Vergangenheit verabschiedet. Hallo 2011, tschüss 2010. Beruhigend. Geradezu wohnlich. Und alle, ausnahmslos alle gehen mit. Nur im Weltall, da machen die siebziger Jahre weiter, als ob es kein Morgen gäbe. Genauer gesagt: das Jahr 1977.

Das war ja insgesamt ein großes Jahr für die Raumfahrt, das Universum und alle Außerirdischen. "Krieg der Sterne" kam in die Kinos. In Brasilien und am Bodensee gab es Ufo-Sichtungen (in den USA sowieso). Erich von Däniken brachte "Beweise" auf den Markt, sein grundstürzendes Werk über die Prä-Astronautik, derzufolge Außerirdische die Erde in prähistorischer Zeit besuchten. Und Carl Sagan war endlich am Ziel seiner Träume. Der amerikanische Astronom hatte jahrelang dafür gekämpft, eine intergalaktische Flaschenpost ins Dunkel des Weltalls zu werfen, einen freundlichen Gruß von uns Menschen an alle Aliens da draußen.

SZ vom 31.12.2010/sueddeutsche.de/kar

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Quelle: Yukuta Nagata/UN Photo

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Im August und September 1977 starteten Voyager 1 und 2, die Sonden, die die ferneren Planeten unseres Sonnensystems erkunden und dann einfach weiterfliegen sollten, immer weiter in Richtung Ewigkeit und Schwarze Löcher. Carl Sagan legte beiden Sonden eine goldene Platte bei, auf der Geräusche, Musik, Fotos, Grafiken und Grüße in 55Sprachen eingraviert sind, eine Platte aus Gold, die angeblich 500 Millionen Jahre hält.

Jetzt, wo Voyager 1 das Ende unseres Sonnensystems erreicht hat, haben wir uns einmal die Bilder angeschaut, die da seit 33 Jahren unterwegs und mittlerweile hinterm Pluto angelangt sind (http://goldenrecord.org). Sind sie nicht rührend? Kinder hätten diese Bilder nicht besser zusammenstellen können. Es wirkt so naiv, so freundlich und unbedarft, was da mit 60 000 Kilometern pro Stunde in Richtung AC+793888 rauscht, dem Nachbarstern im Kleinen Bären, bei dem die Voyager in 38 000 Jahren ankommt: Der Lehrer, der sich über seinen Schüler beugt. Die Kinderschar um den Globus. Die Rushhour in Indien. Das absurde Bild, das den Titel trägt: "Formen der Nahrungsaufnahme: Lecken, Essen, Trinken". Diese Frau, die vor 33 Jahren vor einem amerikanischen Supermarktregal stand und in ein paar Weintrauben biss - sie wirkt eingeschweißt in der Fotostarre wie die Basketbälle in ihren Geschenkkartons.

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Quelle: Yukuta Nagata/UN Photo

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Carl Sagan sagte damals, die Voyager sei eine Zeitkapsel, die "immer tiefer in die Zukunft reist". In Wahrheit ist es eine Kapsel, die mit jedem Jahr aus einer tieferen Vergangenheit kommt. Aus einer Zeit, in der Jimmy Carter Präsident der USA und Kurt Waldheim UN-Generalsekretär war, weshalb die Aliens eines Tages von einem Erdnussfarmer und einem Altnazi in teutonisch knatterndem Englisch begrüßt werden. Einer Zeit, in der die Fotos allesamt diesen Kodacolor-Rotstich hatten. In der die Zukunft noch vor der Menschheit zu liegen schien wie der schütter befahrene Highway in Ithaca, ein breites gerades Band, das immer weiter in die Great Plains der Hoffnung führte.

Es kann einem schwindlig werden bei der Überlegung, dass dieses kleine Menschheitsmemory noch durchs dunkle Nichts der Raumzeit unterwegs sein wird, wenn wir hier unten längst zu Sternenstaub zerfallen sind.

© SZ vom 31.12.2010/kar
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