Zeitgeschichte:Zurück zur Familie

Das Bayerische Nationalmuseum restituiert sechs Objekte, die derzeit noch in der Ausstellung "Silber für das Reich" zu sehen sind

Von Evelyn Vogel

Silber für das Reich, Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum

Zwei der Leuchter aus dem Besitz von Karl Neumeyer.

(Foto: Bastian Krack)

Achtzig Jahre und die Dauer von vier Generationen - das klingt nicht nur wie eine halbe Ewigkeit, das ist eine halbe Ewigkeit für einen Menschen. Und es ist ein Vielfaches im Vergleich zu den zwölf Jahren, die das nationalsozialistische Regime in Deutschland währte - auch wenn es einst als "Tausendjähriges Reich" apostrophiert wurde. 80 Jahre also mussten die in Übersee lebenden Nachfahren des Gelehrten Karl Neumeyer und seiner Frau Anna, einer Vorkämpferin für Frauenrechte, sich gedulden, bis sie in den Besitz einiger weniger Objekte ihrer Vorfahren gelangten, die diesen einst verfolgungsbedingt entzogen worden waren. Ebenso lange mussten der Sohn und der Enkel des Kaufmanns und Musikers Leo Marx aus Saarbrücken warten, bis ihnen ein kleines Stück Familiengeschichte zurückgegeben wurde.

Silber für das Reich, Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum

Karl Neumeyer, der hier mit seinem mittlerweile 90-jährigen Enkel Peter Florian Neumeyer zu sehen ist.

(Foto: Privat)

Nun aber ist es so weit. Die beiden Familien erhalten sechs Silberobjekte aus dem ursprünglichen Eigentum ihrer Vorfahren zurück, welche sich in den vergangenen Jahrzehnten im Besitz des Bayerischen Nationalmuseums befanden. Derzeit sind sie noch in der Ausstellung "Silber für das Reich. Silberobjekte aus jüdischem Eigentum" zu sehen. Von dort wird sie Kunstminister Bernd Sibler gemeinsam mit dem Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums Frank Matthias Kammel am 13. Januar entnehmen und den Nachfahren übergeben. Dabei handelt es sich um einen vergoldeten Silberpokal und ein silbernes Gewürzgefäß aus Marx'schem Besitz sowie um drei Leuchter und einen Kelch, die einst Familie Neumeyer gehörten. Allesamt sind es keine kostbaren Kunstschätze, sondern Alltagsgegenstände. Aber für die Nachfahren stellen sie ein emotionales Stück Familiengeschichte dar, wie Michael Marx, der Sohn Leos aus dessen dritter Ehe, schon bei der Eröffnung der Ausstellung vor fast einem Jahr betont hatte.

Silber für das Reich, Ausstellungsobjekt

Der vergoldete Silberpokal war einst Eigentum der Familie von Leo Marx.

(Foto: Walter Haberland)

Die Stücke kamen, wie so viele in jener Zeit, im Februar 1939 im Zuge der Zwangsabgabe von Silberobjekten ins Bayerische Nationalmuseum. Grundlage des legitimierten Raubs durch die Nationalsozialisten war die reichsweit erlassene "Dritte Anordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden". Als jüdisch eingestufte deutsche Staatsbürger wurden damit gezwungen, alle Edelmetallgegenstände, Edelsteine und Perlen gegen eine lächerlich geringe Entschädigung abzuliefern. Wie viele Museen - auch das Münchner Stadtmuseum bediente sich damals reichlich - erwarb das Bayerische Nationalmuseum in den Jahren 1939 und 1940 vom Städtischen Leihamt München aus diesen Beständen insgesamt 322 Silbergegenstände.

Leo Heinrich Marx

Leo Marx.

(Foto: Bayerisches Nationalmuseum)

Bis 1969 konnten 207 Silberobjekte an die ursprünglichen Eigentümer oder ihre Erben zurückgegeben werden. Bei 112 Objekten aber wusste man nicht, wer anspruchsberechtigt war. So viele Familien waren im Holocaust vollständig ausgelöscht worden, von vielen verloren sich die Spuren für immer in einem der Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Leo Marx hatte sich durch eine erzwungene Emigration nach Shanghai retten können, seine erste Frau Dina wurde mit den Kindern deportiert und ermordet. Karl und Anna Neumeyer nahmen sich unter dem wachsenden Verfolgungsdruck am 17. Juli 1941 in ihrem Haus am Westrand des Englischen Gartens, nur wenige Hundert Meter vom Nationalmuseum entfernt, das Leben. Im Rahmen eines Forschungsprojekts konnte man die Namen der Personen ermitteln, die diese Silberobjekte 1939/40 beim Städtischen Leihamt abgegeben hatten. Aber nur die Erben von den beiden Familien konnten bisher auch ausfindig gemacht werden.

Noch sind viele Fälle offen. Der Provenienzforscher Alfred Grimm ist vergangenes Jahr in Pension gegangen. Doch die Hoffnung bleibt, dass mit den Restitutionen weitere offene Fälle in den kommenden Monaten in ähnlicher Weise abgeschlossen werden können.

Silber für das Reich. Silberobjekte aus jüdischem Eigentum, noch bis 19. Januar im Bayerischen Nationalmuseum, Prinzregentenstraße 3

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