Alfred Rosenbergs Tagebücher:Selbstgespräch eines Völkermörders

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Hitler fand, er sei eigentlich eine Frau: Alfred Rosenberg. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Die erstmals vollständig publizierten Tagebücher von Hitlers Parteidenker Alfred Rosenberg korrigieren die Faktenlage über das Dritte Reich nur in Nuancen.
  • Wertvoll sind die Tagebücher vor allem durch die intime Perspektive eines gewissenlosen Völkermörders.
  • Aus den Tagebüchern geht deutlich hervor, dass Rosenbergs emotionale Abhängigkeit von Hitler hoch war.

Von Till Briegleb

Diesmal müssten sicher nicht "weite Teile der Geschichte neu geschrieben werden", sagt Frank Bajohr mit einem Seitenhieb auf die Präsentation der Hitler-Tagebücher 1983 durch den Stern. Denn die erstmals vollständig publizierten Tagebücher von Hitlers Parteidenker Alfred Rosenberg, die der Leiter des Münchner Zentrums für Holocaust-Studien jetzt mit Jürgen Matthäus vom Holocaust-Museum Washington in Hamburg vorstellte ( Alfred Rosenberg: Die Tagebücher von 1934 bis 1944, Fischer Verlag, 650 Seiten, 26,99 Euro), sind weder gefälscht, noch eine "Sensation".

Was der sogenannte Chefideologe der NSDAP auf 440 Seiten notierte, korrigiert die Faktenlage über das Dritte Reich sicherlich nur in Nuancen.

Zu gut dokumentiert ist Rosenbergs Hassfeldzug gegen den "jüdisch-bolschewistischen Weltfeind", den er zunächst als von Hitler geschätzter Schriftsteller und später in diversen Ämtern der NS-Herrschaft führte.

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Die lange verschollenen Tagebücher, die erst 2013 in New York beschlagnahmt wurden, sind vielmehr wertvoll durch die intime Perspektive eines gewissenlosen Völkermörders. Die Täterpsychologie des NS-Regimes zeigt sich hier ungeschönt, weil im Gegensatz zu Joseph Goebbels, dem einzigen anderen Tagebuchschreiber von Hitlers engstem Kreis, Rosenberg seine Aufzeichnungen nie zur späteren Veröffentlichung vorsah.

Sinnliche Führer-Liebe

Und so offenbart sich in diesen "Erinnerungsstützen" die perverse Ambivalenz eines Gefühlshaushaltes, der auf schreckliche Weise fehlgepolt war. Während Rosenberg die Ermordung von Millionen Menschen mit der empathielosen Sprache "historischer Notwendigkeit" beschrieb, ist sein Verhältnis zum "Führer" von einer emotionalen Anhänglichkeit, die Bajohr und Matthäus treffend als "hündisch" bezeichnen.

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Gegenseitige "Rührung" ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Rosenberg und Hitler. Ständig hat der Führer in diesem Tagebuch Tränen in den Augen, wenn er über die Verdienste Rosenbergs und anderer alter Kameraden spricht, und Rosenberg selbst verzeiht in totaler Selbstverleugnung dem Führer alle Beschlüsse, die sich gegen die eigenen eng gefassten Vorstellungen von richtiger NS-Politik richten, etwa den Hitler-Stalin-Pakt.

Und wenn Rosenberg über mehrere Seiten bewundernd beschreibt, wie Hitler 1934 "höchstpersönlich" Röhm und seinen "geschminkten Lustknaben" ein Ende bereitete, da klingt ausgerechnet an dieser Stelle ganz sinnliche Führer-Liebe heraus.

Der Grundton von Rosenbergs Aufzeichnungen ist immer dort von der Kälte technokratischer Massenmörder gezeichnet, wo er die Maßnahmen der faschistischen Genozide in konkrete Worte hätte fassen müssen. Dann spricht er etwa von "harter, biologischer Humanität", die walten müsse. Zur konkreten Praxis des Tötens schweigt sich sein Tagebuch vollständig aus. Emotionale Hitze bricht dagegen ständig mit dem Zorn narzisstischer Kränkung aus ihm heraus.

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Während seine Tochter nur in einem einzigen Satz ohne große Zuneigung auftritt, erfasst Rosenberg "immer wieder die Wut, wenn ich mir überlege, was dieses jüdische Parasitenvolk Deutschland angetan hat". Wobei "Deutschland" hier ziemlich durchgängig wie ein Synonym für "Rosenberg" klingt.

Der Mann, der alles Fremde als "unwert" abqualifizierte, ist von krankhafter Verletzlichkeit. Und in diesem eitlen Gebaren zeigen Rosenbergs Notizen doch ein sehr strukturiertes Bild vom Umgang der NS-Führungsspitze. Rosenberg spricht hier in aller Offenheit über seine Parteigenossen, wie diese vermutlich über ihn gesprochen haben.

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Als einziger, der "im Kreise der obersten Parteiführung den Nationalsozialismus bitterernst nahm", wie sich ein ehemaliger Mitarbeiter erinnerte, war Rosenberg unter seinen Mittätern wenig geschätzt. Auch Hitler soll über ihn gesagt haben, er sei "eine Frau, die gut kocht, aber statt zu kochen Klavier spielt".

Nur zu Göring besteht ein gutes Verhältnis - das auch nicht getrübt wird, als der Reichsmarschall bei den Kunstplünderungen in Frankreich durch Rosenbergs "Einsatzstab" diesem die besten Stücke wegschnappte. Voll Stolz berichtet Rosenberg vielmehr seinem Tagebuch, wie er "jüdisches Kunst- und Kulturgut" im Wert von "nahezu 1 Milliarde Mark!" für den Führer erbeutet habe.

Infantile Gefühle und Sentimentalitäten, wie sie für viele NS-Führer als Kehrseite ihrer Unmenschlichkeit dokumentiert sind, bilden also den dürren emotionalen Grundstock dieses verhängnisvollen Demagogen.

Seine ständige Forderung nach "innerer Härte" verwandelt sich deswegen mit zunehmender Entfernung aus dem Hitler-Kreis in Weinerlichkeit. So trieft dieses Tagebuch bis zur letzten Zeile von Selbstgerechtigkeit. Das ist eine nur schwer zu ertragende Lektüre, aber vermutlich eine sehr nötige.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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