Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Politik aus kritischer Distanz

Michelle Obamas Auto­bio­grafie "Becoming" in einer Ausgabe für Jugend­liche.

Von Hilde Elisabeth Menzel

Jugendliche suchen nach Vorbildern, nach Persönlichkeiten, die sie bewundern können und die ihnen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Könnte Michelle Obama ein solches Vorbild für junge Leser sein? In ihrem Vorwort zu der Ausgabe für Jugendliche ihres Weltbestseller "Becoming", der mit dem Untertitel "erzählt für die nächste Generation" jetzt in einer überarbeiteten Übersetzung erschienen ist, wendet sich Michelle Obama mit großer Offenheit und Selbstkritik "An meine Leserinnen und Leser" und ermutigt sie, sich darüber klar zu werden, dass der spannende Prozess von "Becoming" nie aufhört.

Acht Jahre lang war Michelle Obama als erste afroamerikanische Frau die First Lady der USA, und es war alles andere als leicht, dieser Aufgabe gerecht zu werden. So musste sie ihre eigene Karriere aufgeben und rassistische Anfeindungen aushalten. Dass sie es schaffte, trotz allen Glamours an der Seite ihres Mannes sich ihre kritische Distanz zur Politik zu bewahren, verdankt sie ihrer Intelligenz, ihrem Humor und weil sie zu Selbstkritik fähig ist.

Im ersten Kapitel "Becoming me - Ich werden" erzählt sie von ihrer Kindheit und Jugend, die geprägt war von der liebevollen Unterstützung ihrer Eltern, die sie und ihren Bruder Craig selbstlos begleiteten und ihnen immer das Gefühl vermittelten, alles aus eigener Kraft schaffen zu können. Sie lebte in Süd-Chicago, und Diskriminierung begleitete sie durch ihre ganze Kindheit. Humorvoll und schonungslos und mit der Fähigkeit zur Selbstkritik kommentiert Michelle Obama ihren Ehrgeiz und ihren Fleiß als Schülerin.

Zu einem Schlüsselerlebnis wurde der Besuch einer Studienberaterin am Ende ihrer Highschool-Zeit. Michelle hatte es in die "National Honor Society" geschafft, eine Auszeichnung für die besten Schüler. Doch als sie der Beraterin erzählte, dass sie in Princeton studieren wolle, antwortete diese: "Ich bin mir nicht sicher, ob Sie zu Princeton passen." Anstatt sich entmutigen zu lassen, war ihre Reaktion: "Der werd ichs zeigen!" Und sie fügt hinzu: "Letztendlich musste ich ihr gar nichts zeigen. Ich zeigte es einzig mir selbst."

Nach ihrem Studium in Princeton wechselte sie an die Harvard Law School und nach ihrem Abschluss begann sie eine Karriere als Anwältin in einer Kanzlei in Chicago, wo sie Barack Obama zum ersten Mal begegnete und die beiden sich verliebten.

Im mittleren Teil des Buches "Becoming us - Wir werden" erzählt Michelle Obama von dieser Liebe, von der Geburt ihrer beiden Töchter, aber vor allem von ihrem inneren Konflikt, als Barack Obama beschloss eine politische Karriere anzustreben, ein Gräuel für Michelle, die Politik mit so viel Skepsis betrachtete. Aber letztlich trug sie seine Entscheidung mit, für das Präsidentenamt zu kandidieren, weil sie seine Vision einer besseren Gesellschaft und sein Engagement für die schwarze Bevölkerung achtete.

Im dritten Teil des Buches Becoming more - mehr werden" zog sie nach Barack Obamas Sieg mit den beiden Töchtern Malia und Sasha und ihrer Mutter ins Weiße Haus ein und gewährt ihren jungen Leserinnen und Lesern Einblick in den Alltag der Präsidenten-Töchter, die erstaunlich locker mit all den Einschränkungen umgingen.

Dass es Michelle Obama gelungen ist, trotz des Rampenlichts an der Seite eines amerikanischen Präsidenten ihren eigenen Werten treu zu bleiben, sich aber auch im Sinne von "Becoming more" weiter zu entwickeln, macht das Lesen ihrer Autobiografie spannend. Sie unterscheidet sich nicht sehr von der Erwachsenenausgabe. Doch die vielen Fotos, die die verschiedenen Stationen ihres Lebens dokumentieren, machen sie für Jugendliche zusätzlich attraktiv. (ab 13 Jahre)

Michelle Obama: Becoming - erzählt für die nächste Generation. Aus dem Englischen von Kristin Lohmann und Heike Brillmann-Ede. cbj Verlag, München 2021. 608 Seiten, 20 Euro.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2021
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