Alltagskultur:Ich bin eine Bürste, Baby!

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"Wie der Mundschutz eines gewaltbereiten Boxers (und teilweise wie der Schnuller eines gewaltbereiten Babys)": die "Zehn-Sekunden-Zahnbürste". (Foto: Amabrush)

Die "Zehn-Sekunden-Zahnbürste" soll die Mundpflege revolutionieren - auch, weil man die Hände frei hat. Über Wahn und Horror der Zeiteffizienz.

Von Gerhard Matzig

Eine glorreiche Innovation im Bereich der Mundhygiene ereignete sich vor 30 Jahren. Damals wandte sich Professor Doktor Best in einem akkurat aufgebügelten Laborkittel herrlich faktentreu ("Ich bin Professor Doktor Best") per TV-Spot an die Öffentlichkeit. Zur Sicherheit trug der Kittel die Aufschrift "Forschung". Der Utopismus wusste sich immer schon zu inszenieren.

Die Hauptrolle im Clip spielte jedoch eine verletzlich anmutende Tomate, wie sie auch zu einem Bürgerbegehren in Bayern inspirieren könnte. Mithilfe der bedrohten Tomate konnte der Vorzug einer flexiblen, ja feinfühlig organisierten Zahnbürstenfederung - im Bereich der Zahnprophylaxe ein Meilenstein der Ingenieurskunst - nachgewiesen werden. Noch heute erinnert das aktuelle Best-Modell "Vibration multi expert" daran, dass Zahnbürsten kurz vor dem sonst so tomaten-, respektive zahnfleischfeindlichen Bürstenkopf idealerweise nach einem hingezitterten Anfall von Delirium tremens aussehen. Selten wurde der Lehrsatz der Moderne, wonach die Form der Funktion zu folgen hat, so überzeugend umgesetzt.

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Ansonsten ist die Zahnbürste ein ungemein geschätzter Innovationsdissident. Seit ihrer Erfindung vor etwa fünftausend Jahren als altägyptisches Kaustöckchen hat sie sich ja nur unwesentlich dem Fortschritt ergeben. Wobei auf den an sich bemerkenswerten Technologiestreit zwischen den Verfechtern von Hausschweinnackenborsten (China) einerseits und den Liebhabern von Rosshaar andererseits (Europa) nicht weiter einzugehen ist. Jedenfalls: Derzeit fällt die sehr seltsame (und auch sonst sehr österreichische) Erfindung namens "Zehn-Sekunden-Zahnbürste" eher als Skandalon denn als Innovation auf.

In Kürze soll die vollautomatische Zahnbürste, die als Revolution vor dem Badezimmerspiegel gilt und vom in Wien ansässigen Unternehmen Amabrush entwickelt wird, endlich seriell gehandelt werden. Amabrush heißt "I'm a brush" und deutet wohl ein umgangssprachliches Englisch an. Insofern darf man sich vorstellen, wie Arnold Schwarzenegger umgangssprachlich kalifornisch "Ich bin eine Bürste" sagt: Amabrush, Baby!

Das Ding sieht aus wie der Schnuller eines gewaltbereiten Babys

Die Futurismusbürste, die in den Varianten Basic, Pro und Ultimate (179,99 Euro) erhältlich ist und teilweise aussieht wie der Mundschutz eines gewaltbereiten Boxers (und teilweise wie der Schnuller eines gewaltbereiten Babys), hat den Ehrgeiz, in nur zehn Sekunden das zu leisten, was sonst zahnpflegetheoretisch 120 Sekunden dauert. "Fertig. Blitzblank saubere Zähne auf Knopfdruck!" - so das Amabrush-Versprechen. Dazu dient ein Mundstück aus Silikon, in dem alle Zähne von kleinen, von Algorithmen befehligten Borsten umgeben sind. Wie in der Autowaschanlage eigentlich. Die Zahncreme wird dosisgenau eingespritzt. Oder so ähnlich.

Erste Praxistests sind ernüchternd ausgefallen. Die Universitätsklinik Wien rät alternativ zum althergebrachten Zähneputzen von Hand. Auch im Netz kursieren eher boshafte Kommentare. Ist das mal wieder die ideologisch motivierte Technologiekritik der ewiggestrigen Traditionalisten unter den Schrubbern? Sagen wir so: Richtig schade wäre es nicht, wollte man sich wieder verabschieden vom Versuch der Zahnbürstenneuerfindung unter dem Diktat der Zeiteffizienz. Ein Vorzug von Amabrush soll es sein, dass man während des zehn Sekunden dauernden Dentalvollwaschgangs die Hände nicht braucht, weil man ja die Digitalbürste wie einen Schnuller benutzt. Wieder wertvolle Sekunden gespart - und die Hände auch noch frei. Um was zur Hölle zu tun?

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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