Zeichenfilm "Sinbad":Gott würfelt schlecht

Lesezeit: 4 min

Als Gott den Mann erschuf, übte sie noch - und im Zeichenfilm "Sinbad" sind alle Menschen Pausenclowns einer übellaunigen Göttin. Die göttliche Michelle Pfeiffer hat ihr Gesicht und Gestik geliehen. Sie kann dabei aber gar nicht so schlecht drauf gewesen sein.

SUSAN VAHABZADEH

(SZ v. 23.07.2003) Vielleicht gibt es wirklich eine höhere Macht; und wenn, dann hat sie sich bestimmt dem Chaos verschrieben und neigt zu menschlichem Fehlverhalten. Dass es sich dabei um eine Frau handelt, ist nicht von vornherein auszuschließen, aber wer oder was es auch immer ist, es lässt uns ausführlich teilhaben an seiner schlechten Laune. In "Sinbad - Herr der sieben Meere" ist diese höhere Macht in der Tat eine Frau, Eris, die Göttin des Chaos. Michelle Pfeiffer hat ihr ihre Gestik geliehen, das etwas spitze Gesicht und im Original auch ihre Stimme. Sie verfügt Schicksalsschläge aus Langeweile, richtet Unheil an, weil sie schlecht drauf ist - der göttliche Plan heißt Entertainment, die Menschen sind nur Pausenclowns. Wenn Eris auch auf dieser Seite der Leinwand an der Macht wäre, würde das einiges erklären.

(Foto: N/A)

Eris fehlt nur noch ein einziges Accessoire, um die Welt endgültig in jenen Zustand zu versetzen, der ihr am liebsten ist - wäre sie im Besitz des Buchs des Friedens, wäre das Chaos perfekt. Einstweilen ist der dicke Wälzer aber auf dem Weg nach Syrakus, wo er eigentlich hingehört. Das Schiff, mit dem der Prinz Proteus das Buch dort hinbringen soll, kreuzt den Weg des Piraten Sinbad, der in dieser Version der Legende gebürtiger Syrakuser ist. Die Erde ist, nebenbei bemerkt, doch eine Scheibe - aber als Sinbad über ihren Rand segelt, tut sich ein so fantastisches Gruselreich auf, dass man Hollywood, wie oft in solchen Fällen, für den Mangel an Realitätssinn sofort vergibt.

Dreamworks hat mit "Prince of Egypt" und "Shrek" versucht, den erwachsenentauglichen Zeichenfilm zu etablieren. "Sinbad" verfolgt einen ähnlichen Plan, ist kein reiner Kinderfilm - man kann auch eine romantische Komödie mit Action-Elementen darin sehen, in der Brad Pitt Catherine Zeta-Jones verfallen ist; aber eben als Zeichentrick. Proteus und Sinbad sind alte Freunde, aber Sinbad hat Syrakus verlassen - weil er sich, auf den ersten Blick, in Proteus' Verlobte verknallt hat, Marina. Eris mischt sich ein, und schon geht es ziemlich chaotisch zu. Eris stiehlt das strahlende Buch des Friedens in Sinbads Gestalt, Proteus will sich an seiner Stelle hinrichten lassen, und um das zu verhindern, muss Sinbad das Buch wiederbringen - und findet, als er losgesegelt ist, an Bord Marina, die sich eigentlich noch nie viel aus Syrakus gemacht hat.

John Logan, der vorher das Drehbuch zu "Gladiator" geschrieben hat, hat die Geschichte gründlich entstaubt. "Who's bad? Sinbad!" posaunt der Seefahrer kokett in der Dreamworks-Variante - eine sehr modern erzählte Geschichte mit sehr zeitgemäßen Moralvorstellungen. Sinbad, der sich selbst als Taugenichts einschätzt, wächst mit seinen Aufgaben; am Ende sind Sinbad und Marina doch Meister ihres Schicksals, weil Eris sich an ihr Wort gebunden fühlt, was Sinbad eher peinlich findet für eine Göttin. "Vorsicht," sagt sie, "du bist niedlich, aber so niedlich nun auch wieder nicht."

Mit den Geschichten aus Tausendundeinernacht hat das alles zwar nicht viel zu tun, es borgt sich aber rotzfrech alles, was es brauchen kann, bei der griechischen Mythologie und macht dann damit, alten Hollywood-Traditionen folgend, was es will. Der Dreamworks-Sinbad hat , wenn auch unfreiwillig, die Lösung für das Sirenen-Problem gefunden: Wesentlich besser als am Steuer Festbinden funktioniert eine Frau an Bord.

Die Sirenen, die Monster, das Wüstenreich der Göttin - "Sinbad" schafft Bilderwelten, die auch in Zeiten der Spezialeffekte dem Zeichenfilm allein gehören. Es gehen einem die Augen über: Keine Computeranimation in einem Realfilm könnte so wunderschön sein wie das malerische Spektakel, das sich am Himmel abspielt, wenn man das Buch des Friedens öffnet. Keine Szene, die Brad Pitt und Michelle Pfeiffer zusammen spielen, kann so aussehen wie das Balzritual, das sich die beiden hier unter Wasser liefern, Sinbad in einer Luftblase und Eris als eine wässrige Silhouette ihrer selbst. Keine Bauten sind so zauberhaft wie das gezeichnete Syrakus, weil sich die Magie ja aus dem Irrealen speist, die Zeichnungen so faszinierend sind, weil sie künstlich wirken.

Trotzdem konnte der Film an den amerikanischen Kinokassen nur gerade ein Viertel seines 60-Millionen-Dollar-Budgets wieder einspielen. Auch Disney hat gerade ein ähnliches Desaster durchgemacht mit einem traditionellen Zeichenfilm, der Schatzinsel-Adaption "Der Schatzplanet". Die märchenhafte Ästhetik dieser Filme zieht nicht mehr, und die Frage ist, wie oft die Studios solch teure Reinfälle noch riskieren. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Markt einfach übersättigt ist - im Gegensatz zu früher, als im Jahr zwei, drei große Zeichentrickproduktionen fertig wurden, hat die Computer-Revolution eine Flut von Trickfilmen zur Folge gehabt - magische Massenware. Pixar, das neue Zeichentrickstudio, hat eine eigene, sehr sichtbar am Computer entstandene Ästhetik und kann sich damit derzeit wunderbar behaupten - Pixars "Findet Nemo" ist nicht einfach nur erfolgreich, sondern die erste Kinoproduktion des laufenden Jahres, deren Einspiel die 300-Dollar-Grenze überschritten hat. Der Hafen von Sydney sieht in diesem Film aus wie der Hafen von Sydney.

Natürlich steckt auch hinter "Sinbad" und dem "Schatzplaneten" enormer Computer-Aufwand, aber er bleibt unsichtbar, wird nur genutzt, um sich leichter zu tun bei einer Malerei, für die im Prinzip ein Malkasten, sehr viel Talent und noch mehr Zeit genügen würden. Eine altmodische Zauberformel - aber zusammen mit genug Fantasie, sich eine Welt ohne Schwerkraft und Logik vorstellen zu können, kann eben doch ein schöner Spuk draus werden.

SINBAD: LEGEND OF THE SEVEN SEAS, USA 2003 - Regie: Patrick Gilmore, Tim Johnson. Buch: John Logan. Musik: Harry Gregson-Williams. Mit den deutschen Stimmen von Benno Fürmann, Jasmin Tabatabai, Daniela Hoffman. UIP, 86 Minuten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: