Zehn Jahre 9/11 und die Religion:Glaube und die Saat des Bösen

Nach den Anschlägen in New York 2001 wurde die Angst vor dem Terror zu einer Angst vor dem Islam insgesamt. Es manifestierte sich ein Generalverdacht, der später auch gegen andere Religionen gerichtet war. Doch dieses Misstrauen ist fehlgeleitet.

Jürgen Schmieder

Im Jahr 2006 strahlte das britische Fernsehen eine Dokumentationsreihe aus. Sie hieß "The Root of All Evil", Moderator war der Religionskritiker Richard Dawkins. Die Serie wurde in den britischen Medien offensiv beworben mit einer Anzeige, in der die Skyline von Manhattan zu sehen war, darunter stand: "Stellen Sie sich eine Welt ohne Religion vor!"

Muslim beim Gebet vor zerstörter Buddha-Statue

Ein Muslim betet in Afghanistan vor den zerstörten Buddha-Statuen von Bamian. Die Mitglieder religiöser Gemeinschaften sollten miteinander leben, nicht nebeneinander und schon gar nicht gegeneinander.

(Foto: AP)

Vorstellen mussten sich die Menschen nicht viel, denn die Türme des World Trade Centers waren auf diesem Bild deutlich zu sehen.

Die Welt geriet aus den Fugen an diesem 11. September 2001 - zum einen wegen des Ereignisses, das derart monströs war, dass es sich bis dahin kaum einer hatte vorstellen können. Zum anderen aber, weil der Feind nicht greifbar zu sein schien. Die CIA zog später in einem Memo den Vergleich, dass man es während des Kalten Krieges mit einem Dinosaurier zu tun gehabt hätte - und nun im Dschungel in ein tiefes Loch mit gefährlichen Tieren gefallen sei.

Nur eines stand fest: Der Angriff war religiös motiviert. In New York schien plötzlich jeder verdächtig zu sein, der nicht sofort eine US-Flagge hisste oder ein "God bless America"-Schild ins Fenster hängte. An den Flughäfen Europas dachten 75 Prozent der Westeuropäer, das ergaben Studien, innerhalb von drei Sekunden mindestens einmal an das Wort "Terrorist", wenn sie einen Fluggast mit Bart und Turban sahen.

Die Angst vor dem Terror wurde zu einer Angst vor dem Islam insgesamt, es manifestierte sich ein Generalverdacht - zunächst gegen den Islam, später auch gegen andere Religionen. Der Terrorismusexperte Bruce Hoffman legte in seinem Buch "Terrorismus - der unerklärte Krieg" dar, dass sich kriegerische Handlungen auch in der Gegenwart nicht auf bestimmte Religionen beschränken.

"Hauptauslöser von Konflikten"

Es gebe nicht nur islamistische Attentäter, so Hoffman, sondern auch einen "jüdischen Terrorismus", der sich in Sprengstoffattentaten äußern würde. In seinem Buch schreibt er über das erschreckende Weltbild "christlicher Patrioten", die von der Überlegenheit der weißen Rasse predigen und 1995 ein Gebäude in Oklahoma City in die Luft sprengten.

Er berichtet von der buddhistisch motivierten Aum-Sekte, deren Mitglieder in der U-Bahn von Tokio einen Anschlag mit Nervengas verübten, und von Hindus, die 1990 den Tempel in Ayodhya stürmten, wobei mehr als 2000 Menschen starben. Das führt unweigerlich zu der Frage: Wäre die Welt nicht ein besserer, friedlicherer Ort, wenn es keine Religionen gäbe? Sind Religionen etwas Schlimmes und gehören abgeschafft, wie es Richard Dawkins fordert?

Selbst der Dalai Lama schreibt in seinem Werk "Das Buch der Menschlichkeit": "In unserer langen Geschichte ist es immer schon so gewesen, dass die Religionen zu den Hauptauslösern von Konflikten gehörten. Selbst heute werden aufgrund von religiöser Heuchelei und Hass Menschen getötet, Städte zerstört und Gesellschaften aus dem Gleichgewicht gebracht. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Menschen die Bedeutung der Religion in unserer Gesellschaft in Frage stellen."

Einfache Logik

Religiös motivierte Kriege gibt es zuhauf in der Geschichte der Menschheit. Kleisthenes von Sikyon führte auf Beschluss der amphiktyonischen Staaten den ersten so genannten Heiligen Krieg. Gegner war die Stadt Krissa, die von Pilgern auf dem Weg nach Delphi Wegzoll verlangt hatte. Acht Jahre dauerte der Krieg, ehe Krissa im Jahr 592 vor Christus erobert und zerstört wurde.

Seitdem war Religion immer wieder Katalysator von Konflikten oder wurde als Vorwand missbraucht. Wer gegen den Teufel kämpft, der hat Gott automatisch auf seiner Seite, lautet die einfache Logik. Und so verwundert es kaum, dass auf den Titelseiten einiger Kurz-Memos, die der damalige US-Präsident George W. Bush jeden Tag vom Pentagon überreicht bekam, Bibelzitate zu lesen waren.

Die "Worldwide Intelligence Updates" wurden offenbar unter US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit Bibelzitaten angereichert, um den strenggläubigen Präsidenten zu ermutigen. "Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst."

Das soll auf einem Memo gestanden haben, und auf einem anderen soll über einem Foto von drei Soldaten zu lesen gewesen sein: "Ihre Pfeile sind scharf und alle ihre Bogen gespannt. Ihrer Rosse Hufe sind wie Felsen geachtet und ihre Wagenräder wie ein Sturmwind."

Gemeinsames Aufbegehren

Die amerikanische Regierung reagierte also auf den Fanatismus der Terroristen mit einer Art Selbst-Fanatismus. Über den Koran wurde gesprochen, als sei er eine Anleitung zu Kriegsführung und Bombenbau - und als Gegenstück wurde die Bibel präsentiert, als sei sie die Blaupause für das himmlische Königreich auf Erden.

Das führt zurück zu der Frage, ob Religion tatsächlich die Wurzel allen Übels ist - oder ob Menschen, wäre es nicht der Religionen wegen, einen anderen Grund finden würden, um sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Mehrere Studien zeigen nämlich, dass es in den vergangenen 20 Jahren genau so viele nicht-religiöse Suizidbomber gab wie jene, die es aus religiösen Gründen tun. Lediglich sechs Prozent aller terroristischen Akte in den Jahren zwischen 1998 und 2004 waren religiös motiviert.

Der französische Denker Voltaire schrieb einst: "Nicht der Atheismus stachelt die blutigen Leidenschaften an, sondern der Fanatismus." Man müsste diesen Satz erweitern: Nicht der Atheismus und nicht Religion stacheln die blutigen Leidenschaften an, sondern der Fanatismus.

Die Mitglieder religiöser Gemeinschaften müssen miteinander leben, nicht nebeneinander und schon gar nicht gegeneinander. Der Heilige Krieg des 21. Jahrhunderts sollte deshalb nicht stattfinden zwischen den einzelnen Religionen - es bräuchte vielmehr ein gemeinsames Aufbegehren aller Religionen gegen jene, die Religion pervertieren.

Der Autor hat sich fünf Jahre lang mit verschiedenen Religionen beschäftigt und ist der Verfasser des Buches "Ich will in den Himmel - oder als glückliche Kuh wiedergeboren werden" (C. Bertelsmann).

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