Süddeutsche Zeitung

ZDF: Gespräch mit Thomas Bellut:"Frau Kiewel zeigt Reue"

ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut über den schweren Umgang mit leichter Unterhaltung, Fehler, Lehren, Ziele - und die Rückkehr von Andrea Kiewel.

Christopher Keil

Thomas Bellut, 53, zählt sich selbst zu den Langstreckenläufern. Bis 2012 ist er Programmdirektor beim ZDF. 2002 trat er mit Intendant Markus Schächter an, um den in seinen Gremien politisch durchfärbten, damals inhaltlich steifen Sender für die Zukunft auszurichten. Tatsächlich ist heute mehr Leben und Bewegung im Programm. Allerdings fehlt in der Unterhaltung weiterhin das anerkannte Showformat, das einen Klassiker wie "Wetten, dass...?" ersetzen könnte. Und es mangelt an der Konsequenz, bei Filmen und Serien Qualität als Mittel für langfristigen Quotenerfolg einzubringen. Bellut stammt aus Osnabrück. Er studierte in Münster u. a. Geschichte und war Leiter der Hauptredaktion Innenpolitik. So einer könnte mal Intendant werden.

SZ: Herr Bellut, haben Sie den überflüssigsten Job im öffentlich-rechtlichen Programm? ARD und ZDF sollen Qualität in der Information, bei Dokumentationen und beim Fernsehspiel liefern. Sie liefern auch Unterhaltung, die viele gar nicht bei ARD und ZDF sehen wollen, sondern als Aufgabe privater TV-Veranstalter verstehen.

Thomas Bellut: Richtig ist, dass gebührenfinanzierte Unterhaltung in der Öffentlichkeit besonders argwöhnisch betrachtet wird. Sehr schnell wird zu starke Nähe zu den kommerziellen Sendern unterstellt. Dokumentationen finden leichter Lob.

SZ: Dokus sind leicht?

Bellut: Jedenfalls zählt Unterhaltung zum Schwierigsten, das kann ich nach sechs Jahren als Programmdirektor sagen. Bei Unterhaltung kann jeder mitreden, und sie ist sehr geschmacksunterworfen. Außerdem hat Unterhaltung eine wahnsinnige Bandbreite, vom TV-Movie über Kochen und Johannes B. Kerner bis zur Show. Meine Lehre lautet: Kategorien taugen nichts. Klassisch definiert sind nur die Nachrichten. Der große Rest besteht aus Mischformen, sogar unsere Reihe "Die Deutschen". Sie war unterhaltend und informierend.

SZ: Auch "Die Deutschen" standen als zu populär in der Kritik - mit Hinweis auf das BBC-Niveau bei zeitgeschichtlichen Themen.

Bellut: Also, wir hatten eine interne Qualitätsdebatte zu den "Deutschen". Wir haben uns gefragt: Wie stehen wir international da? Wir stehen gut da. Das ZDF ist bei Dokumentationen in Deutschland Marktführer. Der Maßstab ist natürlich die BBC, ich sehe uns da in Schlagweite. Die Deutschen sind die erfolgreichste deutsche Doku-Reihe der vergangenen zehn Jahre gewesen.

SZ: Was heißt das: "interne Qualitätsdebatte"?

Bellut: Zum einen die klassische Diskussion, zum anderen arbeiten wir seit 2008 als einziger deutscher Sender mit PAP. PAP ist eine Internet-Zuschauer-Befragung, in der regelmäßig das Programm bewertet wird. Wir haben so für einige Sendungen, beispielsweise im Fall von Carmen Nebel, beobachten können, wie erst die PAP-Benotung stieg und mit Verzögerung die Quote.

SZ: Was gut gemacht ist, setzt sich also beim Publikum durch?

Bellut: Das ist grundsätzlich meine Überzeugung. Leider gibt es auch gute Projekte, die das Publikum ablehnt.

SZ: Ihr "Kanzleramt" (13-teilige ZDF-Serie, 2005) zählt dazu.

Bellut: Eine meiner bittersten Niederlagen. Ein tolles Programm. Vielleicht wird ein Begriff wie "Qualität" einfach zu unterschiedlich definiert. Man nimmt Faktoren wie Fernsehpreise, Kritiken und PAP und bewertet das. Ungeachtet dessen müssen ARD und ZDF vom Publikum als Qualitätsmedien wahrgenommen werden. Mein Mut, deshalb neue Wege zu beschreiten, steigt tendenziell. Trotz der Erkenntnis, dass Fernsehsender wie Tanker sind. So schnell kriegt niemand die Kurve. Den Schawinski mache ich deshalb trotzdem nicht.

SZ: Den Schawinski?

Bellut: Roger Schawinski hat als Sat-1-Chef intakte Sendestrecken überraschenderweise umgebaut.

SZ: Sie könnten darüber ja ein Buch schreiben - wie Schawinski, der aus der Schweiz stammt und den Deutschen nach seinem Ausstieg bei Sat 1 Fernsehen erklärt hat.

Bellut: Sicher nicht. Ich bin ja noch aktiv und renoviere lieber im Programm. Das ist mühsame Kleinarbeit, völlig ungeeignet für laute, schrille Töne. Ich habe meine Fehlversuche, das Programm zu verjüngen, hinter mir, ein paar allerdings bestimmt noch vor mir.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum das deutsche Publikum sehr verwöhnt ist.

SZ: Was war falsch?

Bellut: Bravo TV. Eine ordentliche Sendung. Leider fehlte das Umfeld. Es saß die falsche Zielgruppe für so eine Teenager-Musikshow vor dem Fernseher. Entscheidend ist der Flow, die Menge an Publikum, die ich von einer zur nächsten Sendung mitnehme. Das hält einen von Experimenten ab. Ich habe gelernt: Es ist unsinnig, nur Programm für Jüngere machen zu wollen. Wir müssen das Programm modernisieren, für alle Altersgruppen. Das ist unser Ziel.

SZ: Stichwort modernisieren - bei Tele 5 gab es in den zurückliegenden Wochen Doppelfolgen von "Prime Suspect", eine packend gute britische Polizei-Serie mit Helen Mirren als Kommissarin. Warum sieht man so zeitgemäße, dialogstarke, reduziert und präzise inszenierte Kriminalgeschichten nicht aus deutscher Schmiede? Liegt es an den Produzenten, wie die einen behaupten, oder an den Fernseh-Redakteuren, die sich zum Nachteil des Stoffes einmischen, wie die anderen behaupten?

Bellut: Der schädliche Einfluss der Redakteure ist eine Mär, erfunden von dauerunzufriedenen Produzenten und sich ewig missverstanden fühlenden Regisseuren. Unterm Strich sind die deutschen Krimis mindestens so gut wie die englischen. Amerikanische Serien haben beim Vierfachen unseres Etats einen deutlich höheren Produktionswert. Das heißt, sie sehen unglaublich kostspielig aus. Ich gebe zu, wir könnten mehr versuchen, aber der Zuschauer reagiert extrem vorsichtig auf neue Erzählweisen, wie wir bei "KDD" (Kriminaldauerdienst) erfahren haben. Im deutschen TV-Markt muss man überwiegend auf das traditionelle Fernsehen setzen. Trotzdem werden wir uns 2009 drei, vier Versuche leisten in der Hoffnung, einen neuen Trend zu setzen.

SZ: Vielleicht müssen die Sender umdenken und weniger produzieren lassen, das wenige dann aber mit amerikanischem Aufwand und britischer Erzählkraft herstellen lassen.

Bellut: Weiß ich nicht. Was ich weiß: Das deutsche Publikum ist sehr verwöhnt. Unser System scheint so schlecht nicht zu sein. In den USA ist die Qualität weitgehend ins Pay TV abgewandert, einige Serien ausgenommen. Da gibt es eine Infrastruktur der Kreativen, die wir nicht haben, vor allem beim Humor.

SZ: ARD und ZDF haben doch Geld, circa acht Milliarden Euro jährlich. Damit lässt sich viel erreichen, jedenfalls mehr als bisher.

Bellut: Ja. Und nein. Ein Fehlversuch in der Prime Time ist eine bittere Angelegenheit. Die Folgen sind erheblich. Man kann den ganzen Abend verlieren.

SZ: Und damit die Woche, den Monat, das Jahr?

Bellut: Genau so. Zwar ist unser Unternehmen nicht auf das Ziel ausgerichtet, eine möglichst hohe Quote zu bekommen, gleichwohl müssen wir unter die Top drei. Wir müssen prägend sein.

SZ: Kann man als Fünfter nicht auch prägend sein mit guten Sendungen und etwas weniger Quote als bisher?

Bellut: Prägend bedeutet, ein Sender muss die Kraft haben, bei einem besonderen Programm - Eventmovies zum Beispiel - auch sechs, sieben, acht Millionen Zuschauer zu erreichen. Andernfalls können Sie den gesellschaftlichen Dialog nicht prägen. Wenn Sie keine Stimme mehr haben, die laut genug ist, verhallt ihre Meinung - selbst, wenn Sie etwas ganz Wichtiges zu sagen haben. Messbarer Erfolg lohnt sich, aber sicher nicht um jeden Preis.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum das ZDF Kerner und Lanz braucht.

SZ: Warum braucht das ZDF Markus Lanz, wenn Johannes B. Kerner noch Jahre auf Sendung bleiben soll?

Bellut: Stimmt, Kerner wird bleiben. Er ist so gut wie nie. Bei Lanz setzte ich auf dessen Substanz.

SZ: Das reimt sich ja sogar. Bisher schaut er über den Kochtopf nicht hinaus.

Bellut: Ich halte ihn für einen Kopf des Infotainments: Vermittlung von Wissen mit unterhaltenden Elementen. Da haben wir Nachholbedarf.

SZ: Was für Lanz konkret bedeutet?

Bellut: Ich grenze mal negativ ab: Ich will eigentlich keine Casting-Shows mehr. Das ist zwar international ein Trend, doch unser Publikum lehnt es ab. Markus Lanz stelle ich mir bei Quiz-ähnlichen Sendungen und bei Erziehungsformaten vor. Mit dem neuen digitalen Programm (Familienkanal), das in meine Direktion gehört, bekomme ich die Erlaubnis zu experimentieren.

SZ: Relativ neu ist, dass Hape Kerkeling ein ZDF-Gesicht wird. Mitte Januar läuft "Ein Mann, ein Fjord"; eine Wissens-Serie mit Kerkeling als Moderator ist vereinbart, es geht da um die Geschichte der Welt. Was sehen Sie in ihm?

Bellut: Hape Kerkeling ist bisher mit dem Begriff Entertainer belegt. Er ist viel mehr. Er ist ein belesener, intelligenter Mensch. Und das werden wir zeigen, in einer Frequenz, die er bestimmt. Natürlich würde ich mich freuen, wenn wir auch eine Samstagabendshow für ihn fänden. Insgesamt wollen wir 2009 - unabhängig von Kerkeling - für den Samstagabend drei, vier neue Shows ausprobieren.

SZ: Stimmt es, dass das ZDF Andrea Kiewel begnadigt und wieder als Moderatorin für den sonntäglichen Fernsehgarten einsetzen wird? Frau Kiewel hatte Schleichwerbeverträge und log in einer ZDF-Talkshow, als sie nach möglichen Werbevereinbarungen befragt wurde.

Bellut: Frau Kiewel hat einen schweren Fehler begangen. Ich bin überzeugt, dass jeder Fehler macht. Wenn einer einsichtig ist, sollte man ihm eine zweite Chance geben.

SZ: Wie wollen Sie Klarheit und Ehrlichkeit durchsetzen, wenn niemand ernste und nachhaltige Sanktionen fürchten braucht?

Bellut: Wie viel Strafe wäre denn angemessen? Es ist keine leichte Entscheidung gewesen, wir haben intern ausgiebig diskutiert. Frau Kiewel zeigt ehrliche Reue. Sie war ein Jahr auf dem Abstellgleis, und sie wird sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Von Mai 2009 an soll sie den Fernsehgarten wieder präsentieren.

SZ: Dass Elke Heidenreich, die nach ihrer Kritik am ZDF ("Ich schäme mich für den Sender") nicht weiter beschäftigt wurde als Moderatorin von Lesen!, ins ZDF zurückfindet, ist ausgeschlossen?

Bellut: Frau Heidenreich hat doch schon eine Sendung im Internet. Ich wünsche ihr alles Gute im World Wide Web.

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Quelle:
SZ vom 02.01.2009/mel
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