Süddeutsche Zeitung

ZDF - "Das große Lesen":Das große Staunen

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Showmaster Johannes B. Kerner und das ZDF suchten das beste Buch. Die Frage war allerdings unpräzise gestellt - besser hätte man das Lieblingsbuch oder das wichtigste Buch der Deutschen ermitteln sollen.

Von Titus Arnu

Das beste Buch, um eine Telefonnummer zu suchen, ist sicher das Telefonbuch. Das beste Buch für siebenjährige Mädchen ist wohl Pippi Langstrumpf. Und das beste Buch, um nachzuschauen, wie man Katarrh oder Gonorrhö schreibt, ist garantiert der Duden.

Gibt es also "das beste Buch?" Die Frage ist unpräzise gestellt - womöglich hätte das ZDF lieber das Lieblingsbuch oder das wichtigste Buch der Deutschen ermitteln sollen. Andererseits hätte Johannes B.Kerner dann in der Show Unsere Besten - das große Lesen noch weniger Überraschendes zu bieten gehabt. Die zweieinhalbstündige Sendung bestand aus dem Herunterbeten von 50 Titeln und Autoren, kommentiert von Literaturexperten wie Hellmuth Karasek, Alice Schwarzer, Ottfried Fischer und Susanne Fröhlich. Das klingt wahlweise nach Deutsch-Nachhilfe für Analphabeten oder nach dem gemoppelten Ich, war aber am Ende erstaunlich spannend.

Von Moden abhängig

Das Ranking selbst war nicht die Hauptsache. Man ahnte ja schon, dass die Hitparade von Moden abhängig ist. Der Großteil der Titel in der Liste der 50 besten Bücher wurde verfilmt und ist vor allem deshalb so populär. Aber allein die Nennung der Titel und die Würdigungen machten Spaß, denn man erinnerte sich an die Zeit, in der man die Bücher las, an Bilder, die dabei im Kopf entstanden sind, an Gefühle, die man beim Lesen hatte. Was ist also das beste Buch der Deutschen? Harry Potter? Die Bibel? Disneys Lustiges Taschenbuch Nr. 313?

Also: Auf Platz eins landete überraschend Der Herr der Ringe von John R.R. Tolkien, wobei Alice Schwarzer schon vorher wusste, das ein Mann siegen wird, und zwar ein Toter. Die Bibel kam auf Platz zwei, Die Säulen des Himmels von Ken Follett auf Platz drei, Goethes Faust nur auf Platz 15 sowie Harry Potter und der Orden des Phoenix lediglich auf Platz 21. Das war immerhin noch einen Rang besser als Thomas Manns Zauberberg, obwohl Bundeskanzler Gerhard Schröder höchstpersönlich in seiner staatstragenden Teleprompter-Art die Patenschaft für das Werk über das Siechen im Sanatorium übernommen hatte.

Die Blechtrommel von Günter Grass, der dem Regierungschef Schröder bei den therapeutischen Arbeiten im Sanatorium Deutschland hilft, endete auf Platz 48 - wohingegen es der von CSU-Chef Edmund Stoiber emphatisch gepriesene Der kleine Prinz (Schwarzer: "Die kleine Kitschnudel") auf Platz fünf schaffte.

Trotz dieser seltsamen Ergebnisse, die halt durch die Fragestellung zustande kamen, machte die ZDF-Sendung (3,6 Millionen Zuschauer, Marktanteil: 15,4 Prozent) sofort Lust auf Bücher. Man wollte den Fernseher ausschalten, ein gutes Buch nehmen, sich ins Bett legen und anfangen zu lesen. Danke, Johannes B. Kerner: Das ist doch eigentlich das Beste, was eine Fernsehshow über Bücher erreichen kann.

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Quelle:
SZ vom 4.10.2004
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